Wie tut man liberal seriös - und wirkt doch irgendwie ganz anders? Das sind die entscheidenden Fragen, die sich der FDP-Vorsitzende Westerwelle in seinem geheimen Tagebuch stellt. Es zeigt: Auf-dem-Teppich-bleiben macht auch dem Fast-Kanzler keinen Spaß. Montag, 28. September: Kaum habe ich die Wahl gewonnen, heißt es, mir gehe es nur um Posten. Dabei sind mir Macht und gutes Aussehen mindestens genauso wichtig. Mittags Pressekonferenz: Ein Engländer will was auf Englisch wissen. Yes, yes, my Hemd is bätschnäss. Vielleicht ist Außenminister doch nicht das richtige für mich? Dauernd muss man irgendwo hin fliegen und ist abends nicht zu Hause. Nachmittags Treffen mit Merkel. Nur wir fünf: ich, sie, zwei Tässchen Tee und die Lage der Nation. Fühlte mich sehr erhaben, auch wenn es nicht gut aussieht mit den Staatsfinanzen. Kann man eigentlich gleich wieder aufhören bei so viel Schulden. Angela und ich duzen uns schon lange. Sie ist mir sehr ähnlich: bescheiden, bodenständig, klug, verschwiegen. Wir blieben beide auf dem Teppich. Dienstag, 29. September: Boah, sind wir viele in der Fraktion. 88 Leute sind da. Aber nur 87 wählen mich zum Vorsitzenden. Ich wollte gerade anfangen laut zu werden, als mir auffiel, dass ausgerechnet ich falsch abgestimmt habe. Jetzt erkläre ich das natürlich damit, dass ich so bescheiden bin. Aber welcher Vollhorst hat der Presse gesagt, dass ich "auf Augenhöhe" mit der Kanzlerin verhandeln will? Dann muss ich mich doch dauernd zu ihr runterbeugen. Mittwoch, 30. September: Abends Verleihung des ostdeutschen Medienpreises "Goldene Henne". Ich krieg nicht mal eine Tigerente. (Genscher fragen, ob man den Soli nicht abschaffen sollte!). Angela ist auch da. Muss ich als Vizekanzler eigentlich ins Kanzleramt ziehen? Und wieso machen sich jetzt alle über mein schlechtes Englisch lustig? Mein schlechtes Französisch ist viel besser. Donnerstag, 1. Oktober: Präsidiumssitzung. Jeder will was werden, und wo bleib ich? Auf dem Teppich, sagt Genscher. Silvana ist so beleidigt, dass sie Magenschmerzen kriegt. Vielleicht kann ich Silvana zur Bundesweinkönigin machen. Aber was soll ich dann mit Brüderle machen, dem rollenden Trollinger? Brauche dringend mehr gelb-schwarze Krawatten, aber seriös. Freitag, 2. Oktober: Überall heißt es jetzt, ich stehe für soziale Eiszeit. Dabei möchte ich sogar die kalte Progression abschaffen, haha! Eben, ich hab nämlich auch Humor. Wird oft unterschätzt. Noch einer? Zum Bleistift den: Dr. Westerwelle will die Erderwärmung beenden - mit nichts als seiner sozialen Kälte. Für sowas kriegt Harald Schmidt einen Haufen Geld. Aber mir vorwerfen, ich sei der böse Onkel Jobabbau. Klar, und morgens esse ich zum Frühstück immer zwei Arbeiterkinder, oder was? Ich kann auch menschlich. Samstag, 3. Oktober: Erster "Tag der Deutschen Einheit" als Fast-Kanzler. Es regnet. Eine Einladung von "Wetten, dass..?" hätte ich gern abgelehnt, aber Gottschalk hat nicht angerufen. Seine Michelle ist meine Angela. Dann zieht's mir fast die Stoppersocken aus: Auf der Couch sitzt Guttenberg und hat nicht mal eine Wette mitgebracht. Ich dagegen hätte alle FDP-Präsidiumsmitglieder am Geruch erkennen können. Blöde Auf-dem-Teppich-Bleiberei! Sonntag, 4. Oktober: Immer noch Regen. Liege lange im Bett und schmiede Regierungspläne. Eine Agenda wäre gut. Irgendwie liberal, aber auch anders. Und seriös. Montag, 5. Oktober: Die werde ich schön erschrecken bei den Koalitionsverhandlungen. Als erstes fordere ich ein neues Superministerium für Sozialabbau. Die Steuern müssen runter, Mindestlöhne weg. Mehr Netto als brutto oder so. Dann sage ich zu Angela, dass ich mindestens ein Dutzend neue Atomkraftwerke verlange, die überall dorthin gebaut werden, wo SPD oder Linke noch Direktmandate haben. Donau- und La-Ola-Wellen sind künftig nur noch als Wester-Wellen erlaubt. Dann merken Sie, dass ich nur Spaß mache. Hoffentlich. http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,653325,00.html
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