Handelsblatt.com - Meinung + Analyse / Handelsblatt-Kommentare Ohnmächtig Freitag 1. September 2006, 05:49 Uhr Manchmal erzählen Kurs-Charts spannende Geschichten. Die von der Deutschen Telekom geht so: Mit dem Amtsantritt des Vorstandschefs Kai-Uwe Ricke am 15. November 2002 beendet die T-Aktie eine traumatische 90-Prozent-Talfahrt und schwenkt in einen zögerlichen Aufwärtstrend ein.
Dabei entwickelt sich das Papier parallel zum Dax (Xetra: Nachrichten) : mal ein bisschen besser, mal ein bisschen schlechter. Aber zu keinem Zeitpunkt vermag sich die eine Linie von der anderen nachhaltig zu lösen.Das ändert sich radikal Anfang 2005. Zu diesem Zeitpunkt setzt der deutsche Leitindex zu einer kraftvollen Aufwärtsbewegung an, während die Aktie der Deutschen Telekom (Xetra: 555750 - Nachrichten) schrittweise um rund 40 Prozent abbröckelt: Ein Unternehmen, ein Management, ANZEIGE zwei Phasen. Heute, im September 2006, notiert die T-Aktie etwa zwei Prozent schwächer als zum Start der Ära Ricke. Das Schaffen von Werten sieht anders aus.
Exakt diesen Chart, der in gewisser Weise ein Leistungsnachweis des Managements ist, dürften die Aufsichtsräte des Konzerns vor ihrem geistigen Auge haben, wenn sie sich heute zu Beratungen zurückziehen. Die Themen Standortbestimmung und Strategie stehen auf der Tagesordnung. Nach schockierend schwachen Halbjahreszahlen sowie einer reduzierten Gewinnprognose muss Ricke seine Kontrolleure nun davon überzeugen, dass er noch immer der richtige Mann an der Spitze von Europas größtem Telekommunikationskonzern ist. Ist er es?
Niemand bestreitet, dass Ricke in der ersten Phase ? von 2003 bis 2005 ? der richtige Mann an der richtigen Stelle war. Der Konzern musste nach der turbulenten Ära des Sonnenkönigs Ron Sommer in ein ruhigeres Fahrwasser gelotst werden. Schuldenabbau und Konsolidierung standen auf der Tagesordnung ? Schwarzbrot statt Glamour.
Das ist Ricke und seinem Finanzvorstand Kerl-Gerhard Eick hervorragend gelungen. Die Finanzverbindlichkeiten, die Ende 2002 noch bei 65 Milliarden Euro lagen, konnten bis heute auf 39 Milliarden Euro gesenkt werden. Eine Begradigung des Portfolios und der Abbau Zehntausender Arbeitsplätze gehörten ebenso zum Programm wie massive Abschreibungen auf viel zu teuer erworbene Firmen.
Das wichtigste Ergebnis dieses Fitnessprogramms war die Wiederherstellung des Vertrauens der Finanzmärkte. Abzulesen war dies nicht nur an den dezent steigenden Aktienkursen, sondern auch an einer deutlich verbesserten Kreditwürdigkeit. Heute gilt die Telekom bei den führenden Ratingagenturen wieder als erstklassiger Schuldner und zahlt bei ihren Gläubigern wieder geringere Risikoaufschläge.
Um diese Strategie umzusetzen, hat Ricke von Anfang an teamorientiert gehandelt. Anders als Ron Sommer drängte sich der heute 45-Jährige nie in den Mittelpunkt. Die Mannschaft stand im Vordergrund, verschweißt durch das große gemeinsame Ziel, den abgestürzten Star wieder in die Spur zu bringen.
Dieser Managementstil war hervorragend geeignet für die Zeiten defensiver Konsolidierung. Seit 2005 aber, also dem Beginn der zweiten Phase im Kurschart, hat diese Herangehensweise nicht mehr funktioniert. Da hätte die Telekom von Verteidigung auf Angriff schalten müssen. Für offensive Strategien wie die Entwicklung innovativer Dienste ist aber Führungsstärke essenziell, nicht Teamfähigkeit.
Dass Ricke seine Mannschaft nicht im Griff hat, kann man daran sehen, wie Spartenchefs ungehindert ihren Egoismen frönen dürfen. Beispielsweise kündigte jüngst FestnetzChef Walter Raizner an, künftig auch Mobilfunkdienste anbieten zu wollen, sozusagen vom hässlichen Entlein zum glänzenden "Integrator" des Konzerns zu mutieren. Mobilfunkvorstand René Obermann dürfte gekocht haben. Das alles wäre ja durchaus amüsant, würden darunter nicht die Interessen des Konzerns leiden. In derart rauen Zeiten, in denen der einstige Monopolist massiv Marktanteile verliert, unter der neuen Konkurrenz aus Kabelgesellschaften und Internet-Telefonie stöhnt, von der Netzagentur weiterhin hart reguliert wird und um Konzepte für seine Zukunftsfähigkeit ringt, muss der Chef hart durchgreifen. Exakt diese "Leadership" sollten die Aufsichtsräte heute von ihrem Vorstandschef einfordern.
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