Die Stunde der Wahrheit kommt, mehr als die Stunde der Diplomatie. Bevor der amerikanische Präsident am Sonntag seinen Fuss auf europäische Erde setzt, wird er bereits wissen, was ihn erwartet. Condoleezza Rice, die neue Aussenministerin, hat ihm letzte Woche das Terrain präpariert oder mehr noch, sie hat den Europäern Gelegenheit gegeben, sich auf Bush vorzubereiten. Es wird nämlich hauptsächlich an ihnen liegen, ob die Visite ein neues Kapitel aufschlagen wird. Die ersten Anzeichen sind nicht sonderlich gut. Mit seiner Reise gibt Bush aber ein Zeichen; es wäre an den Europäern, darauf konstruktiv zu reagieren.
Wer das transatlantische Verhältnis überblickt, erhält wie üblich einen gemischten Eindruck. Die Verflechtung auf allen Ebenen hat zugenommen, doch der politische Lärm, durch die Medien verstärkt, lässt oft das Gegenteil vermuten. Dabei versteht man unter «transatlantisch» so viel wie die Beziehungen zwischen Washington, London, Paris und Berlin, man meint die Nato und die Kontakte mit der Europäischen Union. Doch das Thema ist breiter und umfassender. Dass Bush Putin in Bratislava trifft, in einem östlichen Reformstaat par excellence, ist wohl das eigentlich Bedeutende dieser Tour. Da wird man sehen, ob es der 43. Präsident der Vereinigten Staaten mit seiner Freiheitsrhetorik ernst meint oder ob er die Worte seiner Inaugurationsrede in den Wind gesprochen hat.
Wenn von Freiheit und Demokratie die Rede ist, so wäre es eigenartig, wenn für das grösste Land der Erde diese Begriffe nur leere Floskeln blieben. Bush müsste noch einmal Putin tief in die Augen blicken und herausfinden, ob er die Seele eines Demokraten oder eines Tyrannen sieht. Es gibt die gemeinsamen Interessen zwischen Amerika und Russland, und es gibt die grundlegenden politischen Divergenzen. Neu ist das nicht. Doch eine vertrauenswürdige Zusammenarbeit auf längere Sicht ist nur mit einem unzweifelhaft demokratischen und offenen Russland möglich - Kooperation etwa bei der Bekämpfung des internationalen und nationalen Terrorismus, bei der Beendigung des iranischen Atomprogramms, bei der Förderung demokratischer Entwicklungen in der Ukraine und Georgien, später auch in Zentralasien, bei der Etablierung neuer Regeln für den Welthandel und die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen.
Condoleezza Rice, die Russland-Spezialistin, hat deshalb vor dem Kongress erneut die Machtkonzentration im Kreml kritisiert und den Mangel an unabhängigen Medien angeprangert. Putin wird sich gegenüber Bush und diesen Vorwürfen zu verteidigen wissen und Ausflüchte finden, doch Washington scheint sich klar darüber zu sein, dass für die zweite Amtszeit Bushs das Treffen in der Slowakei Weichen stellen wird.
Das gilt wohl weniger für das Schulterklopfen mit den «alten Freunden». Wie immer man die Rede des verschnupften deutschen Bundeskanzlers Schröder in München über das transatlantische Verhältnis liest - das Wort «Freiheit» kam hier nicht vor -, so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier jemand die Zeichen der Zeit ganz anders versteht. Die technokratische Seite des alten Sozialdemokraten feiert Urständ. Das transatlantische Verhältnis soll organisatorisch und institutionell neu aufgebaut und geformt werden. Eine unabhängige Kommission soll das besorgen. Wer nicht weiter weiss, bestellt ein Komitee.
Die Nato ist tatsächlich nicht der primäre Ort, wie es auf gut Neudeutsch formuliert wurde, «an dem die transatlantischen Partner ihre strategischen Vorstellungen konsultieren und koordinieren». Sie war es ganz selten. Das geschah meistens informell, an Gipfeltreffen oder in Direktkontakten. Oder dann war ein Ad-hoc-Gremium ins Leben gerufen worden. Die Haltung etwa zur deutschen Vereinigung wurde nicht in erster Linie in der Nato «konsultiert». Die Nato war und ist eine Dienstleistungsorganisation, politisch und militärisch.
Doch Deutschland hatte früher, vor der Vereinigung, eine klar zugewiesene Funktion in der europäischen Politik, nämlich jene, einen Konsens auszuloten, vor allem eine Brücke zwischen dem atlantischen Grossbritannien und dem gaullistischen Frankreich zu schlagen. Heute ist das anders. Deutschland, so heisst es bei Schröder weiter, werde mehr Verantwortung schultern und möchte deshalb einen ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat - ob mit oder ohne Veto, wird kreativ offen gelassen. Gesetzt den Fall, diese Politik wäre richtig, wie bringt man die Amerikaner zu dieser Einsicht? Was meinen die europäischen «Partner», die an eine immer enger werdende Union glauben?
Die Amerikaner waren von Schröders Alleingang nicht beeindruckt, die «Partner» auch nicht. Vielleicht hat das Kanzleramt in Berlin geglaubt, hinter dem amerikanischen Charme und der Nettigkeit in der letzten Zeit verberge sich die Erkenntnis, Washington müsse und werde Deutschland irgendwelche Konzessionen machen. Bush sei gescheitert auf breiter Front in der Aussenpolitik, habe dies gemerkt und brauche nun die Deutschen wieder. Auf dieser Basis, auf der Grundlage einer von der SPD ideologisch unterfütterten Aussenpolitik, soll ein neues transatlantisches Gebäude errichtet werden. Viel falscher kann man kaum liegen.
So sieht man die Dinge wirklich nicht im Weissen Haus. Während sich Frankreich pragmatisch verhält, wie sich an den Reaktionen auf das Bombenattentat in Beirut zeigt, bringt Schröder in Reden und Interviews alte Versatzstücke hervor. Nicht Unfreiheit, sondern Armut und Unterentwicklung sind die Wurzeln des Terrorismus. Nicht Demokratisierung, sondern Stabilität und Ordnung sind die Gebote der Zeit. Schröder als Metternich des neuen Zeitalters? Iran mit seinen «legitimen Sicherheitsbedürfnissen» muss etwas geboten werden, damit das Land auf Atomwaffen verzichtet - was, wenn es die Bombe so oder so baut? Der Westen muss mehr Verständnis für Putin aufbringen, der eigentlich ein «lupenreiner Demokrat» ist, aber leider mit einem Konflikt im Süden seines Landes zu Rande kommen muss, den er - das verkündet der Kanzler in allem Ernst - nicht selber begonnen hat.
Doch das ist der deutsche Weg. Aus amerikanischem Blickwinkel geht es bei der erwünschten Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten um ganz konkrete Unterstützung bei der Aufgabe, auf der geschrumpften Welt für ein Mindestmass an Ordnung zu sorgen, Krisen möglichst vor dem Entstehen einzudämmen, bei Katastrophen schnell zu helfen. Dies wird nicht mehr in Institutionen und festgefügten Allianzen geschehen, sondern pragmatisch von Fall zu Fall. Die Amerikaner werden sich nicht durch eine neue transatlantische Struktur einbinden lassen. Ihre Skepsis gegenüber der Uno ist eher noch verstärkt worden - bei Demokraten wie Republikanern. Für globales Krisenmanagement werden diese beiden Institutionen in nächster Zeit nicht die erste Adresse sein.
Der transatlantische Problemkatalog ist recht umfangreich, doch gibt es Lichtblicke. Ein Durchbruch in einem Bereich, zum Beispiel im Nahost-Konflikt, kann die Atmosphäre generell verbessern und die Bewältigung der übrigen Knacknüsse erleichtern. Bushs Politik unterscheidet sich stark von der Haltung seines Vaters, der einst noch die Ukraine vor Unabhängigkeitsregungen gewarnt hatte. Auch Bush der Jüngere will Stabilität, doch glaubt er zu wissen, dass solche nur in einer Vorwärtsbewegung zu haben ist. Andere Zeiten, andere Rezepte und eine andere Politik.
H. K.
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