Arbeitslosigkeit? Welche Arbeitslosigkeit?
Von NPD bis Deutsche Bank: Wie aus dem Fünf-Millionen-Rekord ein Debatte über fast alles wurde - nur nicht über die Gründe
von Nikolaus Blome
Berlin - Wenn beim Exportweltmeister die Marke von fünf Millionen Arbeitslosen durchbrochen wird, sollte es Anlaß geben, einige wirtschaftspolitische Probleme streitbar zu diskutieren. Nicht so in Deutschland. Ein Blick zurück auf die vergangenen Tage ist ein Lehrstück in Parteitaktik und der hohen Kunst der Scheindebatte.
Den Dezember und Januar hindurch bereitet die Regierung die Öffentlichkeit auf eine Arbeitslosenzahl um die fünf Millionen vor. Am 21. Januar produzieren die NPD-Abgeordneten im Sächsischen Landtag einen Eklat, indem sie einer Gedenkminute für die Opfer des Holocaust fernbleiben und vom "Bomben-Holocaust" der Alliierten beim Angriff auf Dresden vor 60 Jahren sprechen. Es entbrennt eine bundesweite Debatte über den Umgang mit der NPD. Noch haben beide Themen nichts miteinander zu tun.
Am Mittwoch, 2. Februar, wird die Zahl der Januar-Arbeitslosen mit offiziell 5,037 Millionen bekanntgegeben; nominal der höchste Stand seit 1933 in Deutschland. Der Anstieg gegenüber dem Januar 2004 beträgt 440 000. Zur Hälfte ein saisonalbedingter Zuwachs wegen des Winters; zur anderen Hälfte neu in die Statistik aufgenommene Fälle, eine Folge der Hartz-Gesetze. Wirtschaftsminister Clement warnt vor noch höheren Zahlen im Februar und einer "Schockstarre". CDU-Chefin Merkel wirft der Regierung Tatenlosigkeit vor. Kanzler Schröder spricht im schleswig-holsteinischen Wahlkampf von einer erschreckenden Zahl, die aber den Vorteil habe, "ehrlich" zu sein.
Donnerstag, 3. Februar: FDP-Chef Guido Westerwelle fordert vergeblich eine Regierungserklärung des Kanzlers zur Arbeitsmarktpolitik. Auch eine aktuelle Stunde im Bundestag wird von der rot-grünen Mehrheit verhindert. In der SPD bleibt es still: Weder kommen Forderungen nach weiteren Reformen à la Hartz auf. Noch treten Parteilinke mit Vorschlägen für ein Investitionsprogramm hervor.
Deutsche-Bank-Chef Ackermann stellt einen Rekordgewinn seines Hauses vor und kündigt mit Ziel einer höheren Rendite die Streichung von 6400 Stellen an, vornehmlich im Ausland. Einzelne Parteilinke der SPD üben Kritik.
Entscheidend für den weiteren Verlauf ist das Wochenende vom 5. und 6. Februar. Die NPD-Debatte treibt mit Äußerungen mehrerer Landesministerpräsidenten nun doch auf einen Anlauf für ein Parteiverbotsverfahren zu.
CSU-Chef Edmund Stoiber aber verknüpft das NPD-Problem mit den fünf Millionen: Das Versagen der Regierung "bildet den Nährboden für Extremisten". Das erzeugt wütendes Echo im Regierungslager. Von "unterstes Niveau" bis "hirnrissig" reichen die Kommentare.
Von Arbeitsmarktpolitik im engeren Sinne ist kaum mehr die Rede. Schlüsselbegriffe einer Sachdebatte wie Kündigungsschutz, Strukturreform, Tarifpolitik, Wachstum oder Abgabenquote tauchen allenfalls am Rande auf. Allseits wird die Frage diskutiert, ob Stoibers Nexus statthaft ist. Bundespräsident Köhler warnt vor einem Parteienstreit, der nur den Extremisten nutze.
Am Sonntag abend in der TV-Sendung "Sabine Christiansen" geht der Streit dennoch weiter. Der neue BDI-Chef Thumann erweitert ihn: "Wir können als Unternehmer nicht immer nur über maximale Eigenkapitalverzinsung reden und uns am Ende noch mit Extra-Boni belohnen lassen, wenn wir möglichst viele Menschen entlassen." Damit sind die Geschäftspolitik der Deutschen Bank und ihr Chef persönlich mit NPD und Massenarbeitslosigkeit in einem Topf.
§ Wirtschaftsminister Clement eröffnet mit der Andeutung weiterer Reformen eine zusätzliche Front.
Am Montag, Dienstag und Mittwoch (7., 8., 9. Februar) läuft die Debatte in drei lose miteinander verbundenen Strängen weiter, von denen keiner den Titel "Arbeitslosenproblem" verdient: Zum einen verschärfen die SPD-Linke ebenso wie CSU-Chef Stoiber die Kritik gegen die Deutsche Bank. Es entsteht der Eindruck, das Profitstreben der Konzerne sei für die Arbeitslosigkeit verantwortlich. Von "verantwortungslos" bis zum Appell, private Konten bei der Bank aufzulösen, reichen die Einlassungen, gerade am politischen Aschermittwoch.
Daneben treibt der Bundeskanzler Vorstöße für eine mittelstandsfreundliche Steuerreform weiter. Sie laufen jedoch im schon vorher absehbaren Widerstand der eigenen Partei, der Union und des Finanzministers vorerst fest.
Schließlich ebbt die Empörung über die Stoiber-Äußerung langsam ab, während zusätzlich über eine Großdemonstration aller Demokraten am 8. Mai vor dem Brandenburger Tor debattiert wird.
Am Donnerstag, 10. Februar, attackiert IG-Metall-Chef Peters die Deutsche Bank, deren Geschäftpolitik moralisch verwerflich sei und an den "Pranger" gehöre. Daimler-Chrysler-Chef Schrempp dagegen verteidigt die Deutsche Bank.
Die SPD fordert eine rasche Änderung des Versammlungsrechts, um eine NPD-Demo am 8. Mai zu verhindern. Angela Merkel versucht, auf die Arbeitslosigkeit als wirtschaftspolitisches Problem zurückzukommen und macht konkrete, wenn auch nicht neue Vorschläge - die Eingang ins Wahlprogramm 2006 finden sollen.
Artikel erschienen am Fr, 11. Februar 2005
MfG kiiwii
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