Grünes Gift für die SPD
Von Severin Weiland
Die rot-grüne Koalition grübelt über die richtige Verteidigungsstrategie im Visa-Ausschuss. Vor allem über den Zeitpunkt der Vorladung Fischers herrscht Unsicherheit. Schon jetzt zeichnet sich ab: Das Thema Schwarzarbeit durch laxe Einreiseregeln wird für die SPD gefährlicher als für die Grünen.
Grüner Fischer: Wann redet er vor dem Ausschuss?
Berlin - Für den Obmann der FDP im Visa-Untersuchungsausschuss, Hellmut Königshaus, ist das Verhalten von SPD und Grünen unverständlich. "Die tun sich keinen Gefallen damit", kommentiert der Bundestagsabgeordnete den Plan der Koalition, erst zu einem späteren Zeitpunkt Joschka Fischer und Ludger Volmer vorzuladen. Der Liberale möchte die beiden am liebsten zu einem frühen und zu einem späteren Zeitpunkt anhören.
Doch Rot-Grün sperrt sich dagegen. In der letzten Sitzung wurde ein Antrag der Union, Fischer in der Woche nach dem 11. April anzuhören, abgelehnt. Bislang gilt in Berlin die Devise: Erst kommt das Aktenstudium, parallel dazu die Anhörungen von Sachverständigen und Spezialisten, später dann erscheint die politische Prominenz. Mit im Hinterkopf haben die Akteure von Rot-Grün bei ihrem Vorgehen die Landtagswahlen am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen. "Wir geben ihnen doch keinen NRW-Bonus", bekannte kürzlich ein führender SPD-Mann aus der Bundestagsfraktion.
Doch ob die Koalitionäre mit dem Festhalten am Zeitplan richtig liegen, ist fraglich. Denn die formale Abfolge des Ausschusses - an diesem Donnerstag werden zwei Beamte des Bundeskriminalamtes und ein führender Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes vor das Gremium treten - ist das eine. Die mediale Begleitmusik hingegen ist das andere - und die richtet sich nicht nach den Vorstellungen der rot-grünen Matadore. "Es wird nicht so laufen, wie sich das mancher vorstellt", glaubt der Liberale Königshaus.
Schwarzarbeit als Thema
Mit dieser Einschätzung hat der FDP-Obmann wohl Recht. Schon hat die Union ausrechnen und streuen lassen, wie viel Schaden durch illegale Schwarzarbeiter, die über die Visaregelung ins Land kamen, entstanden sein könnte. "Einschließlich der Ausgaben für Sozialhilfe könnte Fischer mit seiner verantwortungslosen Visa-Politik einen Schaden von etwa 35 Milliarden Euro für die deutsche Volkswirtschaft zu verantworten haben", erklärte der CDU-Haushälter Dietrich Austermann der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" und verwies auf Zahlen des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) in Tübingen, wonach der Schaden durch Schwarzarbeit seit dem Jahr 2000, als der sogenannte "Volmer-Erlass" erging, sprunghaft gestiegen sei und seit Rücknahme des Erlasses im Jahr 2004 wieder sinke.
Solche Behauptungen verfangen. Am Montag sah sich sogar das Bundesfinanzministerium gezwungen, bei der Vorstellung eines Berichts über den Rückgang der Schwarzarbeit darauf hinzuweisen, dass ukrainische Illegale bei Kontrollen nicht in erhöhter Zahl festgestellt wurden. Es sei kein Zusammenhang mit der freizügigen Visaerteilung feststellbar, betonte der Leiter der "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" (FKS), Eberhard Haake: "Die Ukraine rangiert unter den Länder der Schwarzarbeiter unter 'ferner liefen'".
Das Pressegespräch zeigt: Rot-Grün wird die Themen so leicht nicht los. Es gilt als sicher, dass die Schwarzarbeit im Untersuchungsausschuss eine Rolle einnehmen wird. Gerade das aber dürfte auf die Klientel der SPD Auswirkungen haben. Mag der Grünen-Wähler noch mit Trotz auf die Visaaffäre reagieren - in Schleswig-Holstein konnten sich die Partei Fischers sogar leicht verbessern, in der SPD-Anhängerschaft kann aber ein Themengemisch aus Visa, Illegalen und Schwarzarbeit durchaus spürbare Wirkung zeigen.
Grünen-Anhänger in Kiel: Trotzige Reaktionen
Einen gehörigen Dämpfer verpasste bereits die Wahl in Schleswig-Holstein der Koalition. Im Auftrag der ARD hatte Infratest-dimap festgehalten, dass die Visa-Affäre - im Gegensatz zur Annahme vieler rot-grüner Akteure - zu einem der beherrschenden Themen vor dem Urnengang geworden war. Auf die Frage "Welches Thema hat sie am meisten beschäftigt" nannten 28 Prozent der Befragten die Visaaffäre, auf Platz zwei folgte erst mit 21 Prozent die Themen Arbeitslosigkeit und Hartz IV und erst an dritter Stelle sogar nur die Landespolitik. Die CDU in Schleswig-Holstein hatte die Stimmungslage genau erkannt und noch zwei Tage vor dem Urnengang Flugblätter zur Visaaffäre an ihren Infoständen verteilen lassen.
Bereits am Tag danach meldeten sich erste Stimmen aus NRW, die eine frühere Vorladung der Grünen-Prominenz anmahnten - an erster Stelle Ministerpräsident Peer Steinbrück. "Ich möchte diese Fragen nicht hinlaviert wissen bis zum 22. Mai", so der Sozialdemokrat. Auch sein Koalitionspartner meldete sich mit vorsichtigen Absetzbewegungen zu Wort. "Ich würde mir wünschen, dass Joschka Fischer noch vor der Landtagswahl im Untersuchungsausschuss aussagen kann", meinte der Vize-Ministerpräsident Michael Vesper am Dienstag in der "Berliner Zeitung".
Diskussionen
Dabei ist die Frage, ob Fischer oder Volmer nicht doch früher befragt werden sollten, in der Grünen-Bundestagsfraktion in Berlin nicht unumstritten. Die Geschlossenheit nach außen hin täuscht. So wurde in der Fraktion bereits vor vier Wochen, als noch nicht Fischer, sondern der frühere Staatsminister Ludger Volmer im Mittelpunkt des Interesses stand, intern auf Erfahrungen des CDU-Spenden-Untersuchungsausschusses hingewiesen. Als der im Jahr 2000 seine Arbeit aufnahm, hatten die Grünen eine möglichst zügige Befragung von Helmut Kohl befürwortet.
Erfolglos hatte auch die CDU darauf gedrängt, Ex-Kanzler Helmut Kohl rasch vorzuladen. Sie hoffte, mit einem Auftritt Kohls liesse sich noch rechtzeitig einen Teil der Vorwürfe entkräften.
Doch die SPD wollte nicht - der von ihr gestellte Ausschussvorsitzende Volker Neumann argumentierte, solange Kohl nicht die Namen der anonymen Spender nennen wolle, mache das keinen Sinn. Dies wurde zum Dogma der SPD-Strategie - und weil Kohl die Namen nicht nannte, hatte die CDU das Nachsehen.
Sie sah, völlig zu recht, die Wahlen in Schleswig-Holstein in Gefahr. Es kam, wie es manche Strategen von Rot-Grün insgeheim erhofft hatten: mit der Niederlage Volker Rühes am 27. Februar 2000. Monatelang lag der CDU-Mann in den Umfragen deutlich vor Heide Simonis - bis die Spendenaffäre alles zunichte machte.
Kohl vor dem U-Ausschuss, Dezember 2001: Vier Mal vernommen
Kohl trat erst Ende Juni 2000 zur ersten von vier Befragungen im Ausschuss auf. Eine "Diffamierungskampagne" laufe gegen ihn, polterte der Altkanzler damals. Es war aber nicht nur Kohl, gegen den sich Rot-Grün eingeschossen hatte. Im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stand die gesamte CDU. Kaum ein Tag verging, an dem nicht die CDU in den Schlagzeilen stand. Wer in diesen Monaten Wahlkampf für die Partei machte, wusste von der Ausweglosigkeit des Unterfangens. Die CDU erholte sich nur langsam vom Schock. Einen Monat vor Kohls erster Vernehmung war auch in Nordrhein-Westfalen gewählt worden. Rot-Grün siegte am 14. Mai 2000 - und CDU-Herausforderer Jürgen Rüttgers fuhr eine demütigende Niederlage ein. Nun könnte sich das Bild umkehren.
Auch daran mag mancher bei Rot-Grün in diesen Tagen denken.
Q.: SPIEGEL
MfG kiiwii
|