Rathaus Dresden, Donnerstag, 11. Dezember 2014, gegen 17:30 Uhr:
Sehr geehrte Damen und Herren,
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Es ist an der Zeit, dass wir viel mutiger, viel offensiver auf die Bürgerschaft zugehen und Klartext sprechen. Ja, wir werden weiter Flüchtlinge aufnehmen. Ja, wir werden auch in Zukunft weitere Unterkünfte für Asylbewerber benötigen. Ja, wir brauchen auch Zuwanderung.
Ohne Zuwanderung wird unser heutiger Lebensstandard nicht zu halten sein. Ohne Zuwanderung wäre Dresden heute eine Stadt ohne ein einziges Forschungsinstitut und ohne Excellenz-Universität. Dresden wäre ohne Zuwanderung - auch ohne Zuwanderung von Asylbewerbern - kein Leuchtturm des Ostens, sondern finstere Provinz.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich will die Gelegenheit nutzen, einige Worte direkt an die Dresdnerinnen und Dresdner zu richten. Insbesondere hoffe ich, dass jetzt auch diejenigen zuhören, die an den Demonstrationen der PEGIDA teilnehmen. Wer weiß, vielleicht haben die sonst so vollmundigen Organisatoren der Demos sogar den Mut, diese Zeilen am kommenden Montag zu verlesen:
?Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln?.
Dieser Satz und alle weiteren Regelungen aus Artikel 8 des Grundgesetzes klären unmissverständlich, dass jeder das Recht hat, für seine Sache oder sein Anliegen zu demonstrieren. Es ist eines der Rechte, für die mutige Bürgerinnen und Bürger der DDR vor 25 Jahren ihre Freiheit und ihr Leben riskiert haben. Gleiches gilt selbstverständlich auch für Artikel 5:
?Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern...?
Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind das Herz einer lebendigen Demokratie. Ohne sie, ist Politik nur noch ein Farce und echte Freiheit unmöglich. Wir können stolz darauf sein, dass wir in einem Land leben, in dem diese beiden Werte tatsächlich uneingeschränkt Bestand haben.
In zahlreichen Briefen und Mails, die ich bekommen habe, findet sich immer wieder ein Satz: ?Wir lassen uns nicht in die rechte Ecke stellen.? Ich und viele andere Politiker haben immer sehr genau darauf geachtet, genau dies nicht zu tun. Wer aus Angst und Sorge auf die Straße geht, ist noch lange kein Neonazi.
Wer aber behauptet, dass 90 Prozent aller Asylbewerber Sozialschmarotzer sind; wer behauptet, dass alle jungen Tunesier, die zu uns kommen kriminell sind, und wer behauptet, dass unsere älteren Mitbürger nichts zu essen haben, während die Flüchtlinge in Saus und Braus leben; wer dies behauptet, wird sich auch künftig von mir anhören müssen, dass er die Ängste und Sorgen der Menschen bewusst für sein menschenverachtendes Weltbild instrumentalisiert.
Ich lade alle, auch diejenigen, die sich vielleicht jetzt bei PEGIDA verstanden fühlen, dazu ein, sehr genau zu hinterfragen, was dort gesagt, gefordert und was im Namen von PEGIDA geschrieben wird. Manchmal ist die Grenze, wo die Mitte der Gesellschaft endet und die rechte Ecke beginnt, sehr fließend.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
Eine offene Gesellschaft zeichnet sich aber bei weitem nicht nur durch Meinungs- und Versammlungsfreiheit aus. In einer offenen Gesellschaft muss es immer einen Dialog geben. Nur wenn wir miteinander sprechen und vor allem, wenn wir zuhören, können wir auch tatsächlich etwas verändern.
Es gibt Ängste vor Kriminalität, es gibt Sorgen über Nachbarschaftsbeziehungen und Veränderungen im Wohnumfeld, wenn wir über die Errichtung von Asylbewerberunterkünften sprechen. Wir alle hier im Stadtrat werden dies ernst nehmen. Stadt und Freistaat müssen eine umfassende und angemessene soziale Betreuung der Unterkünfte gewährleisten. Ich bin der festen Überzeugung, dass beim morgigen Spitzentreffen der Kommunen mit Vertretern des Freistaates dazu klare finanzielle Zusagen des Landes abgegeben werden.
Gleichzeitig müssen wir Netzwerke der Bürgerschaft in den einzelnen Stadtteilen intensiv mit Geld und Erfahrungen unterstützen. Wir brauchen endlich klare Regelungen für die Beschäftigung von Asylbewerbern zum Beispiel für gemeinnützige Zwecke. Und es ließen sich noch viele Aufgaben mehr aufzählen. Entscheidend dabei ist vor allem eines:
Wir dürfen den Dialog nicht abbrechen lassen. Dazu gehört es auch, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten neue Diskussionsformen entwickeln. Gemeinsam mit Bund und Land muss es ganz konkrete Veranstaltungen geben, die informieren und aufklären. Wir müssen Antworten auf die drängendsten Fragen geben. Zu diesem Dialog lade ich auch die Teilnehmer der PEGIDA-Demonstrationen explizit ein. Darüber hinaus werden wir ab kommende Woche ein Bürgertelefon schalten, an dem sich die Bürger über das Thema Asyl informieren können. Hier können Ängste, Sorgen aber auch Anregungen ganz unmittelbar an die Verwaltung herangetragen werden.
Dresden hat sich in den vergangenen 25 Jahren rasant entwickelt.
Dresden im Jahre 2014, das ist eine Gemeinschaftsleistung von vielen Bürgerinnen und Bürgern, von Menschen aus Ost und West, von Deutschen und Ausländern, von Christen, Juden, Hindus, Muslime und vielen, die sich keiner Religion zugehörig fühlen. Wir können und dürfen stolz darauf sein - wir alle. Ich bitte Sie, lassen Sie uns in dieser aktuellen Herausforderung fest zusammenstehen. Die Bürgerschaft dieser Stadt wird sich nicht spalten und vor allem nicht spalten lassen.
Vielen Dank!
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