Sie kommen aus ganz Deutschland. Die Kameradschaft Stuttgart trauert um die "Opfer des Bombenterrors". Die Volksinitiative Berlin prangert den "Bombenholocaust an unschuldigen Frauen und Kindern" an. Die Rechtsextremen aus Göttingen drohen: "Mord verjährt nicht, einst kommt der Tag der Rache", und der Zentralverband der Vertriebenen fordert: "Am Anfang von Versöhnung muss das Ende von Unrecht und Lüge stehen." Der Tag, an dem Dresden der Opfer der alliierten Bombenangriffe vor 60 Jahren gedenken wollte, wird so zu einem Fest der Neonazis. Kilometerlang schlängelt sich ihr Zug durch die Innenstadt. Weit über 5000 sind nach Dresden gekommen. Sie tragen Transparente, zünden Fackeln an und schwenken schwarze Fahnen. Neben kahlen Schlägertypen sind viele Durchschnittsbürger zu sehen, junge und ältere, in Jeans oder Anzügen. Manche Eltern haben ihre jugendlichen Kinder mitgenommen, einige schieben Kinderwagen vor sich her. Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat Deutschland keinen größeren Aufmarsch der Rechtsradikalen erlebt. Die "Nazis raus" -Rufe der wenigen Antifaschisten und linken Autonomen, die sich entlang der Demotrasse versammelt haben, quittieren sie mit Scherzen und Gelächter. Vorn, in der ersten Reihe des Zuges, marschiert die rechtsradikale Prominenz: Udo Voigt, der NPD-Chef, Gerhard Frey, Vorsitzender der Deutschen Volksunion. Und Holger Apfel, Chef der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, der die Schirmherrschaft über der Veranstaltung übernommen hat. Pausbäckiger Apfel Seine Pausbacken und die breite Nase färben sich rosa in dem kalten Wind, der an diesem Nachmittag in Dresden weht. Die kleinen Augen blicken zufrieden, ein verschmitztes Lächeln verzieht die Mundwinkeln. Apfel hat allen Grund zur Freude. Wieder ein großer Auftritt. Seine zwölf Abgeordneten im Landtag von Sachsen mischen seit Monaten die Republik auf und lenken immer wieder die politische Diskussion auf sich. Das soll weiter zunehmen. Die NPD will sich weiter ausbreiten, hofft auf Achtungserfolge bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (im Februar) und in Nordrhein-Westfalen (im Mai). Der Aufmarsch in Dresden hat dabei eine ganz besondere Bedeutung. Die NPDler wollen ein neues Selbstbild nach außen tragen. Bürgerlich-gemäßigt treten sie auf, folgen diszipliniert den Anweisungen der Polizei. Es gibt kaum Rempeleien. Niemand soll verschreckt werden. Schließlich schaut heute ganz Deutschland auf sie. Also leugnen sie mal nicht den Massenmord an Juden. Auch verherrlichen sie nicht das Nazi-Regime. So etwas findet nur im engsten Kreis statt. Nein, an diesem geschichtsträchtigen Tag rücken sie das Leid der deutschen Bevölkerung in den Vordergrund, greifen die "anglo-amerikanische Gangsterpolitik" an. Worte vom Bombenholocaust gegen deutsche Städte, von der Barbarei der Vertreibung kommen bei möglichen Sympathisanten gut an. Von der Täter- zur Opferrolle Mag sein, so die Botschaft, dass es damals Täter gab, doch die Mehrheit der Bevölkerung waren Opfer. Mit Extremismus hat diese Sicht wenig zu tun. Die Feststellung, dass die "Deutschen nicht nur Täter, sondern auch Opfer waren" setzt sich auch in bürgerlichen Kreisen immer mehr durch. Unfreiwillig liefern etwa Künstler und Filmemacher den Neonazis Argumente, etwa mit Filmen wie "Der Untergang" oder Büchern wie "Im Krebsgang", in denen Themen wie Vertreibung oder Gewalt gegen Zivilbevölkerung thematisiert werden. Neben dem Betonen des eigenen Leids versuchen die Neonazis vor allem, die neue antiamerikanische Stimmung in Deutschland für die eigenen Zwecke zu nutzen. So setzen sie die Bombardierung Dresdens mit dem Einsatz der Atombombe in Hiroshima gleich. Ein perfider Vergleich, der jedoch bei aktuellen und potenziellen NPD-Wählern gut ankommt. "Der Terror hat einen Namen: die Vereinigten Staaten von Amerika", posaunt Apfel heraus. "Die Blutspur des anglo-amerikanischen Völkermordes zieht sich von Dresden über Hiroshima, Vietnam und Jugoslawien bis nach Bagdad", fügt er hinzu. Um diese Aussage zu bekräftigen, tragen mehrere Aufmarschteilnehmer Kreuze, auf denen die Namen der "US-Opfer" stehen. Stadt gleicht einer Festung Der Aufmarsch der Rechten in Dresden hat die Stadt verändert. Sie gleicht einer Festung. Die Polizei hat das Zentrum abgeriegelt. Tausende Beamte wurden aus sechs Bundesländern zusammengezogen, zeigen sich in schwerer Montur, mit Schlagstöcken und Plastikschilden. Sie sollen Krawalle und Zusammenstöße mit Autonomen und Antifaschisten verhindern. Bis in den frühen Abend haben sie wenig zu tun. Nur wenige Linke versuchen, in Gruppen den Aufmarsch zu stören. "Warum schützt ihr diese Nazi-Schweine", rufen die Gegendemonstranten immer wieder den Beamten zu. In ihrem Auftreten sind sie weniger gewieft als die Rechten. Immer wieder skandieren sie deutschfeindliche Parolen und verschrecken damit Passanten. "Bomber Harris, do it again", rufen Jugendliche und schwenken amerikanische Fahnen. Harris befehligte die britischen Staffeln, die am 13. Februar 1945 Dresden in Schutt und Asche legten. "Das ist doch unerhört", empört sich ein Rentner. "Bei den Angriffen sind doch so viele unschuldige Menschen gestorben." Über die Opferzahl wird heftig gestritten. Während die meisten Historiker die Verluste auf 25.000 bis 35.000 beziffern, sprechen die Rechtsradikalen von etwa 200.000 Toten. "Es war ein Massenmord", sagt ein Schweißer aus Thüringen, der seinen Namen nicht verraten will. "Und der Angriff war militärisch sinnlos. Die Amerikaner wollten einfach die deutschen Menschen töten, sie haben sie im Tiefflug abgeknallt." Eigentümlicher Schuldenerlass mit DDR-Ideologie Die Neonazis stilisieren Dresden im Rückblick zu einer unschuldigen Kulturstadt, die keine militärische Bedeutung hatte; zu einem Elbflorenz mit Galerien und Museen, bevölkert von unzähligen Flüchtlingen. Die Stadt steht für sie stellvertretend für die angeblich unnötige Zerstörung deutscher Städte. Mit dieser Sicht stehen sie in linker Tradition. Schon zu DDR-Zeiten nutzte die SED-Staatspropaganda die Bombenangriffe der Alliierten, um die antiamerikanische Stimmung im Staat zu schüren. Nazi-Opfer hören solche Töne mit Befremden. "Die Deutschen neigen dazu, ihre Rolle und ihr Leid im Nationalsozialismus aus dem historischen Kontext herauszureißen", sagte der ehemalige polnische Außenminister und Auschwitz-Insasse Wladyslaw Bartoszewski. "Dabei kann man die alliierte Vergeltung nicht aus dem Zusammenhang reißen." Doch NPD-Chef Apfel geht es nicht um die historische Wahrheit. Er bricht Tabus. Schräge Vergleiche, Verharmlosungen und Lügen wechseln einander ab. Der Landtag in Sachsen ist die Bühne, die er dafür missbraucht. Die Rechtsradikalen haben durch den Einzug in den Landtag einen großen Aufschwung erfahren. Zum ersten Mal dürfen sie offiziell an der Kranzniederlegung am Mahnmal für die Opfer der Luftangriffe auf dem Heide-Friedhof teilnehmen. Voigt macht Wahlkampf NPD-Chef Voigt nutzt die Aufmerksamkeit zur Abrechnung mit Sachsens Landesregierung. "Es ist unerhört, dass die Verantwortlichen die Fahnen nicht auf halbmast gehisst haben, um der Opfer zu gedenken. Wir müssen aufhören, das deutsche Volk als Täter darzustellen. Ich lehne Kollektivschuld ab. Die Schuldigen wurden in Nürnberg verurteilt." Mit solchen Sprüchen und gezielten Aktionen im Dresdner Landtag gelingt es den Rechten immer wieder, die Reihen der Demokraten durcheinander zu wirbeln. Die bürgerlichen Parteien reagieren kopflos, sind in Widersprüchen verfangen. Die Kundgebungen gegen Rechtsradikale und Fremdenhass haben bisher ihre Wirkung verfehlt. Berlin wirbt nun für ein europaweites Verbot von Nazi-Symbolen und will das Versammlungsrecht verschärfen. "Das führt zu nichts", glaubt Peter Torry, der britische Botschafter in Deutschland, der zu dem Gedenktag nach Dresden gekommen ist. Wichtiger sei es, die Gründe zu untersuchen, warum rechte Parteien Zulauf erhielten. Apfel und Voigt sind schadenfroh Die NPD verfolgt das politische Schauspiel mit Schadenfreude. Die Uneinigkeit der Demokraten kommt ihr gut zupass. Apfel und Voigt wissen genau, dass ihnen mit ihren Provokationen die Aufmerksamkeit sicher ist - im Inland wie in Ausland. Und sie nutzen weiter jede Chance, um neue Anhänger zu gewinnen. Die NPD möchte den 13. Februar zum nationalen Gedenktag erklären lassen. Apfel will noch in diesem Monat einen Antrag einleiten. Und in diesem Jahr werden er und seine Getreuen noch oft nachlegen können: 60 Jahre nach dem Krieg werden noch viele Gedenkveranstaltungen stattfinden. Finazial Times Deutschland
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