Hitler war wenigstens ehrlich Ihr widert uns an: Die Amerikaner sind mit den Deutschen fertig / Von Ralph Peters
Die Gesellschaften des "alten Europa" erinnern Amerikaner an die arabische Straße. Die Europäer halten sich lieber an tröstliche Illusionen als an harte Realitäten. Sie reden viel, tun wenig und machen die Vereinigten Staaten für ihre eigenen Mißstände verantwortlich. Die Sprechchöre, die man kürzlich auf den Straßen Berlins hören konnte, unterschieden sich kaum von denen, die bis vor kurzem in Bagdad zu hören waren. Das Jammern und Klagen in Europa, die Begeisterung, mit der man den Amerikanern jede erdenkliche Bosheit unterstellt, während man alle Tugenden für sich beansprucht, und der erstaunliche Mangel an Selbstkritik lösen bei den Amerikanern Bestürzung aus. Wir dachten, ihr wäret erwachsen, aber von der anderen Seite des Atlantiks aus wirkt ihr wie verzogene Kinder. Und eure jüngsten Wutausbrüche haben Big Daddy Amerika veranlaßt, euch auf den Stufen des strategischen Waisenhauses auszusetzen. Der Schaden, der durch den Streit zwischen den Vereinigten Staaten und jenen Ländern entstanden ist, deren Wortschatz sich plötzlich auf "Nein" und "Non" reduzierte, wird repariert werden - an der Oberfläche. In Fragen von beiderseitigem Interesse werden wir weiterhin zusammenarbeiten. Aber auf einer tieferen Ebene erscheinen die überschwenglich unredlichen Angriffe auf Amerika, die aus Frankreich und Deutschland zu hören waren (Belgien zählt einfach nicht), in Verbindung mit der schamlosen Effekthascherei der Herren Schröder und Chirac, selbst noch den pragmatischsten Amerikanern als hinreichender Grund, unsere seit langem bestehende Vernunftehe aufzukündigen. Die Scheidung ist längst überfällig. Wenn die Vereinigten Staaten das "alte Europa" nun in Fragen von strategischer Bedeutung ignorieren, werden sie endlich frei sein von dem gescheiterten Modell europäischer Diplomatie, das der Welt so viele schreckliche Kriege, unbrauchbare Grenzen und ungestörte Diktatoren beschert hat. Die Streiche, die man in Paris und Berlin ausgeheckt hat, haben Washington in die Lage versetzt, sich dem Bann einer langen Hörigkeit zu entziehen und aus einem tiefen Schlaf zu erwachen, in dem Amerika sich in seinen Entscheidungen von den Geistern Europas heimsuchen ließ. Nun habt ihr uns aufgeweckt, und wir sehen, daß Europas Einfluß nur ein Erbe von Albträumen war. Wir werden eure blutbeschmierten, verrotteten Regeln für das internationale System nicht länger hinnehmen, sondern unsere eigenen Regeln schaffen. Ihr werdet nicht viele unserer neuen Regeln mögen. Aber den Ausspruch Friedrichs des Großen über Maria Theresia abwandelnd, könnte man sagen, ihr werdet weinen, aber euren Anteil an der Beute einstreichen. Infolge einer Reihe bemerkenswerter Fehlkalkulationen haben Frankreich und Deutschland ihren Rückhalt verloren - nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern in der ganzen Welt. Ihr hattet euren Moment in der antiamerikanischen Sonne. Aber um zwölf Uhr mittags erwiest ihr euch als machtlos und unfähig. Deutschland wird aus dieser Scheidung einige Vorteile ziehen. Die amerikanischen Kampftruppen werden den deutschen Boden bald für immer verlassen, und etwas später werden auch die Nachschubeinheiten folgen, deren Verlegung nun einmal schwieriger ist. Daraus wird Deutschland praktischen und psychologischen Nutzen ziehen, aber den größten Nutzen haben die amerikanischen Streitkräfte, denn sie waren schon lange nur noch die Melkkuh geldgieriger Organisationen von der Deutschen Bahn bis hin zu den Gewerkschaften. Die Nato wird natürlich überleben. Zusammen mit der Europäischen Union ist sie eine unverzichtbare Beschäftigungsagentur für Europas überschüssige Bürokraten. Doch in den strategischen Überlegungen Washingtons werden andere bi- und multilaterale Militärbündnisse in den Vordergrund treten. Auf der Negativseite wird Deutschland nahezu seinen gesamten diplomatischen Einfluß außerhalb Kontinentaleuropas verlieren - und der war zumindest seit 1945 niemals besonders groß. Die Welt wird eure Euros nehmen, aber euch wird sie nicht ernst nehmen. Ihr habt eure Unabhängigkeit von Amerika erklärt. Nun habt ihr sie. Viel Glück! Wir haben unseren Krieg leicht gewonnen, trotz eurer Proteste und ohne eure Hilfe. Und schmeichelt euch nicht mit dem Gerede über eure Weigerung, Amerikas Vasallen zu sein. Niemand in den Vereinigten Staaten hat das Recht Deutschlands in Frage gestellt, selbst zu entscheiden, ob es unsere Bemühungen um die Absetzung Saddam Husseins unterstützt. Deutschland hatte jedes Recht, eine Beteiligung abzulehnen. Erzürnt hat uns die Art, wie ihr es getan habt. Bundeskanzler Schröder hat uns erstaunt. Wir wußten schon lange, daß er ein politischer Scharlatan ist, aber das Ausmaß seiner Demagogie und seine amateurhafte Unfähigkeit, die Folgen seines Geschreis vorauszusehen, haben uns denn doch verblüfft. Wir sehen in Schröder einen Mann, der keinerlei Überzeugungen besitzt, ein politisches Tier von solcher Verkommenheit, daß er allenfalls den europäischen Karikaturen amerikanischer Schmalspurpolitiker ähnelt. Sein opportunistischer Antiamerikanismus schien nur auf Effekt aus zu sein, ohne jede Substanz und von keinem echten Glauben getragen. Doch in anderer Hinsicht erwies Schröder sich als echter Europäer. Er kritisierte, aber bot keine eigenen brauchbaren Lösungen an. Er stellte Schlagworte über Ideen und Bequemlichkeit über ethische Belange. Und er gab kleinlichen Egoismus als politisches Heldentum aus. Welche Eigenschaften könnten das Europa des einundzwanzigsten Jahrhunderts besser charakterisieren? Deutschland hat von Adenauer und Schmidt bis hin zu Gerhard Schröder einen tiefen Abstieg genommen. Am schwersten zu verdauen waren Bemerkungen von Mitgliedern der deutschen Regierung, in denen Präsident Bush mit Hitler verglichen wurde. Hält irgend jemand, der diese Zeitung liest, solch einen Vergleich für redlich? Und war es passend, daß er von einer deutschen Ministerin kam? Wohl kaum. Amerikaner hörten das Echo des Joseph Goebbels. Da sahen wir all die Demonstranten, auf deren Transparenten die Vereinigten Staaten mit dem Naziregime gleichgestellt wurden - die größte Geschmacklosigkeit, die Deutschland sich geleistet hat, seit die Krematorien erkaltet sind. Als die Empörung sich legte, erkannten wir, daß es bei all diesen Nazivergleichen gar nicht um uns ging, sondern um euch, um eure Schuld und eure Flucht vor der Verantwortung. Nichts in diesem Krieg war so enthüllend wie die Antwort eines jungen Berliner Demonstranten in einem Fernsehinterview kurz nach dem Fall Bagdads. Der Reporter fragte ihn, was er über die Bilder der Iraker denke, die den Amerikanern zujubelten und die Saddam-Statue umstürzten. Der junge Deutsche antwortete, er finde die Szenen "peinlich". Zweifellos. Die Realität ist peinlich. Oh, wir wissen, wie ihr uns seht. Ihr sagt es uns ja ständig. Wir sind ungebildet, weil wir nicht sagen können, wann die Uraufführung des "Rheingolds" war. Wir sind herzlos, weil unsere Gesellschaft Chancen über Sicherheit stellt. Wir sind naiv, weil wir eure Vorurteile nicht teilen. Wir sind Kriegstreiber, weil wir immer noch glauben, daß ein paar Dinge es wert sind, verteidigt zu werden. Und jetzt sind wir Nazis, weil wir einen Diktator absetzen, der sein eigenes Volk und seine Nachbarn abgeschlachtet, Terroristen Unterschlupf gewährt und in den Besitz von Massenvernichtungswaffen zu gelangen versucht hat. Natürlich kauft ihr weiterhin die Produkte unserer Kultur. Eure intelligentesten jungen Leute kommen zu uns, um hier zu arbeiten. Wir Amerikaner haben den Rassismus überwunden, der Deutschland und Frankreich zerfrißt (wir warten darauf, in Berlin einen türkisch-deutschen Colin Powell oder in Paris eine Condoleeza Rice senegalesischer Abstammung zu treffen). Wir teilen also gewiß nicht eure Vorurteile. Und nach den Ereignissen vom 11. September 2001 werden wir nicht warten, bis wir wieder angegriffen werden, sondern vorsorglich überall dort zuschlagen, wo wir das für notwendig halten - und das werden wir tun, ohne Europa noch einmal um Erlaubnis zu fragen. Nach europäischen Maßstäben sind wir also tatsächlich Kriegstreiber. Doch was ist mit dem Vorwurf, die Amerikaner seien die neuen Nazis? Ich glaube, ich weiß, unter welcher Krankheit ihr leidet. Meine ersten Einblicke erhielt ich als junger Army-Sergeant vor gut einem Vierteljahrhundert in einem noch nicht wiedervereinigten Deutschland. Obwohl das Ereignis schon zehn Jahre zurücklag, brachten junge Deutsche in unserer Unterhaltung das Gespräch unausweichlich auf das Massaker von My Lai in Vietnam. My Lai war eine von zwei dokumentierten Greueltaten des Vietnam-Kriegs. Fast zweihundert Dorfbewohner wurden dort ermordet. Das war unentschuldbar, und wir versuchten gar nicht, es zu entschuldigen. Aber diese jungen Deutschen griffen das Massaker in My Lai mit einem Eifer auf, der mich in Erstaunen versetzte. Für sie hoben die zweihundert Toten von My Lai Auschwitz und Treblinka auf, sechs Millionen ermordete Juden, Zigeuner, Homosexuelle und Regimegegner. Die Botschaft lautete: "Siehst du, ihr Amerikaner seid ebenso schlimm, wie wir Deutschen waren - und vielleicht noch schlimmer." Jetzt, wo Deutschlands Juden seit langem abgeschlachtet oder vertrieben sind (zum größten Nutzen Amerikas, vielen Dank), greift ihr bei jeder Gelegenheit Israel an, unterstützt jede palästinensische Forderung, so absurd sie auch sein mag, und erfindet israelische Greueltaten. Für die Amerikaner kämpfen die Israelis um ihre Existenz, gegen Leute, die sie ausrotten wollen. Ihr empfindet die Israelis als Vorwurf an eure eigene Vergangenheit und schlagt auf sie ein. Clausewitz ist kein Führer mehr für euer nationales Verhalten. Heute müssen wir Sigmund Freud konsultieren. Einen Juden, natürlich. Auch die Israelis sind tatsächlich von euren gewählten Politikern Nazis genannt worden. "Nazi" scheint euer Lieblingsschimpfwort zu sein. Manchmal klingt das für uns so, als wäre jeder, der kein Deutscher ist, heute ein Nazi. Abgesehen natürlich von Arabern, die Juden ermorden. In diesem Fall spricht ein guter Deutscher von Freiheitskämpfern. Hier in Amerika leben Überlebende des Holocaust ebenso unter uns wie ehemalige G.I.s, die einst die Tore von Dachau öffneten. Sie waren und sind unsere Väter, unsere Lehrer und unsere Nachbarn. Ist es ein Wunder, daß wir eure Rhetorik abstoßend finden? Hitler war wenigstens aufrichtig in seiner Bigotterie. Und heute müssen wir die lächerliche Schizophrenie in eurer gegenwärtigen Gesellschaft ertragen, in der ihr abwechselnd erklärt, die deutsche Schuld müsse ein Ende haben, und ein revisionistisches Geschichtsbild pflegt, das die Bombardierung eurer Städte durch die Alliierten oder die Versenkung von Schiffen, auf denen U-Boot-Mannschaften transportiert wurden, mit den Greueltaten der Nazis gleichsetzt. Eure Versuche, das Unentschuldbare zu entschuldigen, erinnert uns eher daran, daß Deutschland jede Bombe verdiente, die auf seinen Boden niederging. Bush soll dasselbe wie Hitler sein? Dann zeigt uns doch bitte die amerikanisches Todeslager! Als lebenslanger Bewunderer der deutschen Kultur empfinde ich tiefe Verzweiflung. Euer Kanzler hat die wertvolle Maxime "Mehr sein als scheinen" in ihr Gegenteil verkehrt: "Mehr scheinen als sein". Goethes zeitlose Frage "Deutschland, aber wo liegt es?" hat nun eine Antwort gefunden: "Zwischen Rußland und Frankreich, von Chirac verarscht und von Putin kühl ausgenutzt." Und Faust hat sich als Professor Unrat "geoutet". Auf Wiedersehen Lili Marleen. Es war mal schön. Und Marianne? Da auch schon vorher niemand die Deutschen ernst nahm, hatte Berlin in der Irak-Frage weniger zu verlieren als Paris. Frankreich zockte mit dostojewskischer Besessenheit im strategischen Kasino und war bankrott, als der Morgen kam. Präsident Chirac und sein de Villepin erwiesen sich als eines der inkompetentesten Gespanne in der Geschichte der Diplomatie, zwei Betrunkene am Steuer der internationalen Politik. Es wundert uns, daß die Franzosen tatsächlich glaubten, Paris könne Washington diktieren. Tut uns leid, aber Gallien erteilt Rom keine Befehle. Die französische Naivität läßt uns den Kopf schütteln. Wie konnten sie die Situation so falsch einschätzen? Die Franzosen sind doch angeblich so schlau und verschlagen. Wie konnten sie sich so ungeschickt anstellen? Die Antwort ist einfach: Wie die Araber glauben sie an ihre eigenen Phantasien. Abgesehen von der alten Illusion, daß Frankreich immer noch eine Großmacht sei, schätzen Chirac und de Villepin George Bush vollkommen falsch ein. Sie hatten ihn so oft einen Cowboy genannt, daß sie meinten, an diesem Mann sei nichts dran. Und da irrten sie sich. Ich habe nicht für Präsident Bush gestimmt. Aber nach dem 11. September war ich froh, daß er unser Präsident war. Wäre Al Gore im Weißen Haus gewesen, hätten wir im Stil der Europäer gehandelt und einen Ausschuß gegründet, der hätte klären sollen, warum wir die Katastrophe auf uns gezogen haben. Präsident Bush führte eine erschütterte Nation zu einem abgewogenen, sorgfältig überdachten Handeln, das einer terroristischen Organisation nach der anderen den Hals gebrochen und eine rückständige Theokratie aus einem Land, eine blutige Diktatur aus einem anderen Land vertrieben hat. Und Amerika ist noch nicht fertig. Wir werden nicht länger dem europäischen System folgen, wonach Diktatoren innerhalb der Grenzen ihres Landes tun und lassen dürfen, was sie wollen. Eure Forderung nach der Achtung nationaler Souveränität bedeutet nur, daß Hitler vollkommen akzeptabel gewesen wäre, wenn er nur nicht die Juden ermordet hätte. Und wir werden uns auch nicht mehr an die Traditionen von Königen und Kaisern halten, wonach Staatsoberhäupter vor persönlicher Bestrafung sicher sind, ganz gleich welche Verbrechen sie begehen. Wir werden die wirklich Schuldigen verfolgen, nicht die Massen. Und noch so laute Beschimpfung am Brandenburger Tor oder auf der Place de la Concorde wird uns davon nicht abhalten. Wir sind fertig mit eurer Lust, über vergangene Holocauste zu weinen, aber nicht bereit zu sein, neue Holocauste zu verhindern oder zu beenden. Srebrenica ist das europäische Modell. Bagdad ist unseres. Präsident Bush ist ein Texaner, wie die Europäer nur zu gerne betonen. Aber die französischen und deutschen Geheimdienste haben den Charakter der Texaner offenbar nicht verstanden. Sie reden nicht kunstvoll daher, aber sie handeln entschlossen. Sie sind keine Relativisten. Texaner glauben, daß es einen Unterschied zwischen Gut und Böse gibt. Und wenn ein Texaner offen beleidigt und insgeheim hintergangen wird, nimmt er das nicht freundlich auf. Es ist nicht ratsam, einem Texaner öffentlich entgegenzutreten, sofern man nicht die Absicht - und die Mittel - hat, die Sache bis zum Ende durchzufechten. Den Texanern ist es sogar vollkommen egal, wo auf der Landkarte Europa liegt. Im Augenblick sind wir alle Texaner. Ihr habt uns keine Wahl gelassen.
Aus dem Amerikanischen von Michael Bischoff.
Ralph Peters ist Offizier a. D. des amerikanischen Heeres und veröffentlichte sechzehn Bücher, darunter Romane, Aufsatzsammlungen und Werke über Strategie. Das "Wall Street Journal" nannte ihn den "Tom Clancy des denkenden Menschen". Sein jüngstes Buch hat den Titel "Beyond Terror: Strategy in a Changing World".
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.05.2003, Nr. 112 / Seite 31
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