Handelsblatt vom 27.05.2010, Seite 26 Claassen pocht auf Millionen-Bonus Der Manager spricht gern und oft von Ethik und Moral. Nun wird klar: Bei seinem Vertrag mit Solar Millennium setzte er auf das Prinzip Vollkasko.
Sönke Iwersen, Georg Weishaupt
Düsseldorf
Der Chef ist weg, sein Bonus auch. Die bizarre Geschichte um den Erlangener Solarspezialisten Solar Millennium wird immer bunter. Seit Wochen rätselt die Branche, warum Utz Claassen, der noch bis 2007 den Milliardenkonzern EnBW führte, im Januar 2010 bei einer Firma mit 200 Mio. Euro Umsatz anfing, und warum er dort nach nur 74 Tagen als Vorstandschef wieder hinwarf. Die Gründe sind noch immer offen. Doch eines ist seit gestern klar: Gestritten wird ums Geld.
Die Details des Vertrags werden so manchem Kleinunternehmer die Haare zu Berge stehen lassen. Er ist nach Unternehmensangaben vom stellvertretenden Aufsichtsratschef, dem Erlanger Steuerberater Hannes Kuhn, ausgehandelt worden. Bevor Claassen den ersten Handschlag für seinen neuen Arbeitgeber leistete, schloss er den umfassenden Vertrag in siebenstelliger Höhe ab. Sein millionenschweres Bonuspaket, bestätigt sein Anwalt Harald Noack, bestand aus zwei Teilen. Zum einen sei es Solar Millennium schon eine erhebliche Summe wert gewesen, dass Utz Claassen mit seinem großen Namen überhaupt den Weg nach Erlangen findet. Claassen habe auch kein Problem damit gehabt, den üppigen Antrittsbonus anzunehmen, schließlich habe er für Solar Millennium nicht nur seine Tätigkeit bei dem Finanzinvestor Cerberus aufgegeben, sondern auch seine Tätigkeit für ein großes internationales Beratungsunternehmen. Mit anderen Worten: Solar Millennium, eine Firma mit 180 Mitarbeitern, bezahlte Claassen wie ein Großkonzern.
Der zweite Teil seines Bonus? war leistungsabhängig. Da Solar Millennium davon ausging, dass Claassen das Unternehmen stark nach vorn bringen würde, erhielt er vorab eine Prämie. Das Problem: Obwohl Claassen schon nach nur 74 Tagen ging, will er auch den Leistungsbonus für die volle fünfjährige Vertragslaufzeit behalten. Verhandlungen über einen Vergleich scheiterten, weil die Parteien mit ihren Vorschlägen eine siebenstellige Summe auseinander lagen, wie beide Seiten bestätigten. Solar Millennium bereitet gegen Claassen nun eine Klage wegen Untreue vor.
Claassens klagt nun seinerseits. Wie sein Anwalt Noack gestern mitteilte, hat sein Mandant beim Landgericht Nürnberg-Fürth eine Feststellungsklage gegen Solar Millennium erhoben. Claassen ?fühlte und fühlt sich unter anderem über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, über ihre Entwicklungsperspektiven und über ihre technologische Position grob getäuscht?. Darüber hinaus beklagt Claassen, seine unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten seien ?inakzeptabel eingeschränkt? worden. Es gebe bei Solar Millennium für ihn nicht zu durchschauende Verbindungen und Interessenverquickungen zwischen einzelnen handelnden Personen?. Was dies konkret bedeutet, wollte Noack nicht sagen. Das sei Teil der Anklageschrift, die der Gegenseite noch nicht zugestellt sei.
Solar Millennium lässt nach Spekulationen in den Medien über kreative Buchführung derzeit die Geschäftsabschlüsse der vergangenen fünf Jahre durch die Wirtschaftsprüfungsagentur Deloitte untersuchen. Claassen selbst sagte nach seinem Abgang in einem Interview mit dem Berliner ?Tagesspiegel?, er habe den Geschäftsbericht 2008/09 zwar unterschrieben, könne die Geschäftsereignisse aber nicht ?originär bewerten?, weil sie vor seiner Amtszeit lägen. Gestern stellte Claassens Anwalt schriftlich klar: ?Erkenntnisse über etwaige Falschbilanzierungen lagen und liegen Claassen nicht vor.? Bilanzierungsfragen hätten insofern bei seiner Entscheidung, sein Amt niederzulegen, keine Rolle gespielt.
Für Claassen ist es nicht das erste Mal, dass seine Vergütung für öffentliches Aufsehen sorgt. Bereits bei seinem Ausscheiden beim Stromkonzern EnBW 2007 wurde heftig kritisiert, dass sich der Manager im Alter von 44 Jahren eine Art Frührente von rund 400 000 Euro pro Jahr bis zum Erreichen der Altersgrenze aushandelte.
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