"Wider jede Vernunft" -- Diesen Beitrag widme ich pomerol: --------------------------------- 26.01.2007 13:44 Verliebtheit macht blind! von Bettina Seidl
Biochemisch gesehen sind Verliebte krank und verrückt. Dopamin wird im Gehirn freigesetzt, der Serotonin-Spiegel sinkt: Das löst Euphorie aus, macht süchtig und blind. Das Gleiche passiert, wenn man sich in eine Aktie verliebt. Mal ehrlich, kennen Sie das auch?
Ein Aktionär hat zwar nicht gerade Flugzeuge im Bauch, wenn er sich in ein Wertpapier verguckt hat. Aber er ist bester Laune, wenn seine Aktie steigt. Er schaut zigmal in sein virtuelles Depot, um sich daran zu ergötzen, wie sein Vermögen steigt. Aber wehe, der Kurs fällt. Der Tag ist vergällt. Am liebsten gar nicht mehr auf den Kurs schauen, denkt sich der Anleger. Nichts lesen, nichts hören. Die Zugriffszahlen auf Online-Kursseiten beweisen das eindrucksvoll. Steigt der Dax, legen die so genannten Page Impressions von boerse.ARD.de zu, also die Zahl der aufgerufenen Einzelseiten einer Website. Der Anleger schaut sich nicht nur sein Depot gern an, den Kurs seiner Aktien, sondern er liest auch alles gern rund um die Finanzmärkte. Läuft es aber schlecht an den Börsen, gehen auch die Zugriffszahlen zurück. Wider jede Vernunft Der vernarrte Aktionär wird irrational wie ein Verliebter. Er ist sich sicher: Die oder keine. Das ist die Richtige. Eine einmal gewählte Aktie ist das richtige Investment. Fehlentscheidungen? Gibt es nicht. Wider jedwede Vernunft hält der Anleger oft an einem Papier fest, komme was da wolle. Über kritische Medienberichte ärgert er sich, und schenkt Ihnen häufig keinen Glauben. Beispiel Activa Resources. Ein Unternehmen, das Öl- und Gasvorkommen sucht und erschließt: Ein kapitalintensives Unterfangen, mit ungewissem Ausgang. Wir berichteten über die Chancen und Risiken dieser Aktie. Leugnen und weiterträumen Wie zu erwarten war, zogen wir damit die Unbill einiger Aktionäre auf uns. Sie beschwerten sich in Mails über die "einseitig negative Berichterstattung". Ein typisches Verhalten, das oft zu beobachten ist. In den einschlägigen Finanz-Boards wie Wallstreet-Online und Ariva geht es oft noch viel polemischer zur Sache. Auch nicht anders reagiert der Verliebte, wenn das makellose Antlitz der Angebeteten Risse bekommt. Wenn der beste Freund davor warnt, dass sie vielleicht doch nur monetäre Interessen verfolgt. Wer will das schon wahr haben? Wer will schon den schönen Traum aufgeben, der immer mehr Gestalt annahm? "Sie haben Cobracrest runtergeschrieben!" Lieber sucht man nach erklärenden Ausflüchten. Und nach Ersatz-Schuldigen. Der Überbringer der schlechten Botschaft wird zum wahren Bösen abgestempelt. Tatort Berlin, Salzufer, Februar 2006: Cobracrest lädt seine Aktionäre ein. Damit sie die "Live-Style-Firma" kennen lernen können. Eine Aktionärin auf der Veranstaltung: "Sie wollen doch nicht etwa negativ über Cobracrest schreiben? Sie haben die Aktie doch schon runtergeschrieben!" Schuld sind immer die anderen. In der Tat hatte boerse.ARD.de im Juli 2005 erstmals über Ungereimtheiten bei diesem Unternehmen berichtet. Der Kurs brach damals drastisch ein. Von Kursen um die 11 Euro bis auf drei Euro. Mittlerweile ist die Aktie ein Penny-Stock und bei Notierungen von zwei bis vier Cent angelangt. Die Schuld der Medien?
Die bösen Anderen Unstimmigkeiten bei Cobracrest gab es immer wieder. Zum Beispiel berichtete der Getränke-Vertreiber, das US-Unternehmen "Carlyle International" wolle Cobracrest kaufen. Doch der vermeintliche Übernehmer war - bis auf eine Briefkastenadresse - nicht ausfindig zu machen. Eine direkte Bestätigung von Carlyle gab es nie. Das Ende vom Lied: Monate später gab Cobracrest bekannt, dass die Übernahme nicht zustande komme. Man bediente sich der gleichen Begründung, wie der verliebte Aktionär: Die anderen sind Schuld. Die Aufsichtsbehörde Bafin habe den Deal verhindert, weil sie einen Wertpapierprospekt gefordert hatte. Die Bösen! Biochemisch lahmgelegt Verliebte sehen die Welt mit anderen Augen und nehmen nur selektiv wahr. Forscher haben wissenschaftlich nachgewiesen: Beim großen Gefühl der Liebe sind nur die Gehirnareale für Emotionen und Glücksgefühle aktiv. Andere Bereiche sind nahezu komplett lahmgelegt. Unter anderem die Hirnregionen, die für Angst und Problemlösungen gebraucht werden. An der Börse ist das äußerst schädlich. Schon Börsen-Altmeister André Kostolany hatte gewarnt: "Man darf sich in eine Aktie nie verlieben und muss sich von ihr leicht trennen können, wenn SOS gerufen wird." Turbodyne - Die Morddrohung So mancher Anleger schafft das aber nicht. Wo viel Geld ist, wie an der Börse, da ist eben auch viel Gefühl. Gier, Euphorie und Angst. Und Verliebtheit. Nach wissenschaftlichen Erkenntnissen liegt die Ursache für das irrationale Verhalten Verliebter an einem Mangel des Hormons Serotonin. Aus biochemischer Sicht sind Verliebte sogar krank. Ihr Serotoninspiegel ist so niedrig wie bei Zwangsneurotikern. Wie heftig Börsianer reagieren können, erlebte man eindrucksvoll zu den hitzigen Zeiten des Neuen Marktes. Börsenkommentator Markus Koch bekam für seine Berichterstattung über Turbodyne Morddrohungen. So ist das, wenn aus Verliebtheit nicht Liebe wird, sondern Obsession. Fallende Kurse? Esst Schokolade! Der Zusammenhang zwischen Börse und dem allgemeinen Verhalten ist nicht neu: "Was die Menschen im Privatleben falsch machen, machen sie auch an der Börse falsch. Tief verwurzelte Verhaltensweisen lassen Anleger auch an der Börse irrational handeln", sagte Joachim Goldberg einmal in einem Interview. Goldberg lehrt Anleger Disziplin und Selbsterkenntnis. Er ist Experte für die so genannte "Behavioral Finance", einer Fachrichtung der Kapitalmarktanalyse, die den Bogen zwischen Ökonomie und Psychologie spannt. Laut Goldberg sind die häufigsten Fehler der Anleger: Gewinne werden zu früh und Verluste zu spät realisiert. Und das alles bloß, weil Serotonin fehlt? Bei Verliebten pendelt sich der Hormonhaushalt jedenfalls nach einer Zeit wieder ein. Der Rausch lässt nach. Mit Obst und Schokolade kann man bis dahin nachhelfen. Das ist leider kein Rezept für die Börse. Nie wieder verlieben! Während in der Partnerschaft aus Verliebtheit Liebe werden kann, wenn die euphorischen Schönredereien realistischen Erwartungen gewichen sind und das Machbare rational beurteilt werden kann, scheint sich an der Börse immer wieder das gleiche Schauspiel zu wiederholen. Die Liste der Liebes-Aktien ist lang. (Klicken Sie sich durch unsere Chartserie "Liebesrausch an der Börse") Da hilft nur eins: Nie wieder verlieben! An der Börse zumindest. Denn der Blick, das Wesentliche zu erkennen, geht verloren. Liebe macht unfrei.
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