Vereint im Widerstand Al Sadr droht Bush mit »irakischer Revolution«. Mehr als 800 Opfer bei US-Vergeltung in Falludscha Der Alptraum der US-Armee wird Realität: Im Irak kämpfen Sunniten und Schiiten Seite an Seite gegen die Besatzer. Und die Widerstandskämpfer sind keineswegs isoliert, sondern genießen die Unterstützung der Bevölkerung. Bei Demonstrationen nach den Freitagsgebeten bekundeten Tausende Iraker ihre Sympathie mit den Aufständischen und forderten den Abzug der US-geführten Besatzungstruppen ? kein Wort mehr von Befreiung am ersten Jahrestag des Sturzes Saddam Husseins. In einem großartigen Akt der Solidarität zogen mehrere tausend Einwohner Bagdads in die rund 60 Kilometer westlich gelegene Stadt Falludscha, um der dort eingeschlossenen Bevölkerung Lebensmittel und den Krankenhäusern Medikamente und Blutkonserven zu bringen. Die Demonstranten riefen immer wieder zur Einheit aller Moslems im Kampf gegen die US-Besatzungsmacht auf. Schiitische und sunnitische Geistliche der Hauptstadt hatten am Donnerstag gemeinsam zu der Hilfsaktion für die rund 300 000 Einwohner Falludschas aufgerufen.
Die US-Armee führt in der Stadt, einem Zentrum des irakischen Widerstands, seit Montag eine Strafaktion durch. Mit der Operation »Wachsame Entschlossenheit« wollen die Besatzungstruppen die Tötung von vier US-Söldnern und die medienwirksame Schändung ihrer Leichen am 31. März vergelten. Bis Freitag haben die Kämpfe in der von US-Soldaten abgeriegelten Stadt nach Krankenhausangaben mehr als 300 Iraker das Leben gekostet, darunter vielen Zivilisten. Mindestens 500 weitere seien bei US-Angriffen und Gefechten verletzt worden, berichtete der TV-Sender Al Dschasira. Eine für Falludscha vereinbarte 24stündige Waffenruhe wurde vom US-Militär nach nur 90 Minuten wieder beendet.
Auch andere irakische Städte waren schwer umkämpft. In Abu Ghraib zehn Kilometer westlich der irakischen Hauptstadt lieferten sich am Freitag US-Soldaten heftige Gefechte mit Aufständischen. Laut AFP übernahmen mit Kalaschnikows und Panzerfäusten bewaffnete irakische Kämpfer die Kontrolle über den Autobahnabschnitt zwischen Abu Ghraib und Falludscha. US-Panzer gingen vor Abu Ghriab in Stellung. In der Stadt, in der sich ein großes Gefängnis befindet, in dem mehrere tausend Iraker von den Besatzungsmächten wegen mutmaßlicher Widerstandsaktivitäten festgehalten werden, patrouillierten bewaffnete Aufständische.
Im Zentral- und Südirak zwangen Anhänger des schiitischen Geistlichen Muqtada Al Sadr die Besatzungstruppen aus mehreren Städten zum Rückzug. Japanische und südkoreanische Truppen igelten sich am Donnerstag in ihren Stützpunkten in Samawa und Nasirija ein und setzten alle Aktivitäten aus. Am Freitag verschafften sich US-Truppen gewaltsam Zugang zur Stadt Kut, die am Mittwoch von ukrainischen Soldaten aufgegeben worden war. Die Pilgerstädte Nadschaf und Kufa blieben indes unter schiitischer Kontrolle. Die Besatzungstruppen zogen sich in ihre Stützpunkte in den Außenbezirken zurück.
Nach der Ankündigung der USA, die »Mehdi-Milizen« zerschlagen zu wollen, erklärte ein Vertreter Al Sadrs: »Die Mehdi-Armee ist die nationale Armee des freien Iraks, und die Entscheidung der US-Armee, sie anzugreifen, bedeutet einen Angriff auf den Irak vom Norden bis zum Süden.« Der junge Prediger selbst gab sich noch kämpferischer. Al Sadr drohte US-Präsident George W. Bush mit einer »irakischen Revolution«, sollte er die Besatzungstruppen nicht aus dem Irak abziehen. »Ich wende mich direkt an meinen Feind Bush. Du kämpfst nun gegen eine ganze Nation, vom Süden bis zum Norden, vom Osten bis Westen, und wir raten dir, aus Irak abzuziehen«, hieß es in seiner Freitagspredigt, die in Kufa verlesen wurde. Medienberichten zufolge meldeten sich bereits zahlreiche Sunniten, gemeinsam mit Al Sadrs Mehdi-Milizen gegen die amerikanischen Invasoren zu kämpfen. Die US-Armee räumte mittlerweile ein, von der schiitisch-sunnitischen Kooperation im Widerstandskampf überrascht zu sein.
Angesichts des anhaltend brutalen Vorgehens der US-Truppen in Falludscha und anderen irakischen Städten äußerten sich mittlerweile selbst Mitglieder des von Besatzungschef Paul Bremer eingesetzten »Regierungsrates« empört. Abdul Aziz Al Hakim, Führer der mit Al Sadr konkurrierenden Schiiten-Organisation »Oberster Rat der Islamischen Revolution im Irak« (SCIRI), sagte: »Wir betrachten diejenigen, die durch die Hand der Besatzungsstreitkräfte gefallen sind, als Märtyrer.« Bremer bezeichnete die Aufständischen indes als »Banditen« und »Terroristen« ? womit er letztlich auch die als »gemäßigt« bezeichneten Schiitenorganisationen gegen sich aufbringt.
Aufsehen erregte indes die Verschleppung mehrerer Ausländer, mit der ein Abzug der Besatzungstruppen erzwungen werden soll. Al Dschasira strahlte am Donnerstag ein Videoband aus, in dem eine Gruppe »Irakische Mudschahedin-Brigaden« droht, drei entführte Japaner zu töten, falls die japanischen Besatzungssoldaten nicht binnen dreier Tage das Land verlassen. Die Regierung in Tokio lehnte die Abzugsforderung am Freitag ab und schickte Vize-Außenminister Ichiro Aisawa zu Vermittlungsgesprächen in die Region.
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