ÜBERRASCHENDE WENDUNG IM IRAK
Sadr will verhandeln
Gestern hatte Schiitenführer Sadr den Konflikt noch angeheizt und öffentlich erklärt, er sei bereit, im Kampf gegen die Besatzer zu sterben. Jetzt schickte er überraschend einen Vermittler mit Vorschlägen zur Beendigung der Krise zu US-Vertretern. Die USA verfolgen jedoch weiterhin seine Festnahme.
| REUTERSSchiitenführer Sadr | Bagdad - "Said Muktada hat positive Vorschläge zur Beendigung der Krise gemacht. Ich kann die Details nicht nennen. Er ist sich darüber im Klaren, dass eine bewaffnete Konfrontation in niemandes Interesse liegt", sagte Abdelkarim al-Ansi heute der Nachrichtenagentur Reuters in Bagdad. Die US-Armee hat inzwischen Truppen bei Nadschaf zusammengezogen, wohin sich Sadr zurückgezogen hat, und angekündigt, den Schiitenführer entweder zu töten oder gefangen zu nehmen.
Er werde die Vorschläge noch heute mit Mitgliedern des von der US-Zivilverwaltung eingesetzten Regierenden Rates diskutieren, bevor er US-Vertreter treffe, sagte al-Ansi. Eigenen Angaben zufolge sprach er gestern in Nadschaf mit Sadr. Der Aufstand von Sadrs Anhängern hat vor einer Woche begonnen und innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Zentren der schiitischen Bevölkerungsmehrheit im Land erfasst, auf deren Zusammenarbeit die US-geführte Besatzung sich bislang stützte.
Zum Truppenaufmarsch rund um Nadschaf sagte US-Brigadegeneral Mark Kimmit: "Wir sehen gegenwärtig in der Gegend von Nadschaf eine bedeutende Gefahr, namentlich durch Muktada al-Sadr und seine Milizen. Wir werden unsere Kräfte zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Platz haben, um ihn zu fassen und die Gewalt zu beenden - so einfach ist das." Al-Sadrs Sprecher Kajs al-Chasali warnte die USA vor einem solchen Schritt. "Im Moment haben sie es mit einem Aufstand zu tun, aber wenn sie Sadr verletzen, werden sie eine Massenrevolution im ganzen Irak erleben. Wir werden eine Zeitbombe sein", sagte er.
Von Sadr selbst waren gestern unterschiedliche Signale gekommen. Nach Verhandlungen mit einer Delegation schiitischer Abgesandter hieß es, er habe Bereitschaft zu einem Kompromiss zur Beendigung der Rebellion erkennen lassen. In einem Interview mit dem libanesischen Fernsehsender al-Manar sagte er dagegen: "Ich bin bereit, mich zu opfern und ich rufe das Volk auf, nicht zuzulassen, dass mein Tod dem Kampf für die Freiheit und gegen die Besatzung ein Ende setzt."
Der Aufstand der Anhänger Sadrs hat eine zweite Front gegen die Besatzungstruppen eröffnet. In Falludscha westlich von Bagdad kämpfen sie mit sunnitischen Rebellen. Hier herrscht derzeit eine brüchige Waffenruhe.
Sadr versteckt sich
Sadr verließ heute Mittag den heiligen Bezirk der irakischen Pilgerstadt Nadschaf. Er halte sich inzwischen an einem unbekannten Ort auf, zitierte die iranische Nachrichtenagentur IRNA Chasali. Mitarbeiter der lokalen Verwaltung von Nadschaf sagten, im Südosten der Stadt hätten inzwischen 2500 US-Soldaten Stellung bezogen.
In der Stadt selbst hoben Angehörige von Sadrs "Mehdi-Armee" Gräben auf und errichteten Barrieren aus Sandsäcken. Rund um den heiligen Bezirk, in dem sich al-Sadr am Morgen noch aufgehalten hatte, standen rund 1000 schwarz gekleidete Milizionäre. Sie trugen grüne Bänder mit der Aufschrift "Mehdi-Armee". Sadr, hatte am Morgen noch Journalisten empfangen. Dabei saß er im Schneidersitz am Boden, während ein Geistlicher neben ihm leise aus dem Koran las. Die US-Armee hatte zuvor erklärt, eine Offensive in Nadschaf sei nicht auszuschließen. Dies sei aber nicht ihre "erste Wahl".
USA suchen Kontakt zu Iran
Die Vereinigten Staaten sind auch mit der iranischen Regierung in Kontakt wegen des Konflikts. Das sagte der iranische Außenminister Kamal Charrasi nach einer Kabinettssitzung vor Journalisten in Teheran. "Wir stehen in Kontakt mit den USA durch die Schweizer Botschaft in Teheran, die die amerikanischen Interessen in Iran wahrnimmt", sagte der Minister, ohne weitere Einzelheiten zu nennen. Charrasi betonte jedoch, es sei im Interesse aller Seiten, in der gegenwärtigen Krise die Nachbarn des Iraks zu konsultieren. Das Problem sei allerdings, dass die Amerikaner nicht immer aufrichtig mit Iran in dieser Hinsicht seien.
Verhandlungen in Falludscha
Auch in Falludscha kam es zu Verhandlungen zwischen Einwohnern der belagerten westirakischen Stadt und der US-Verwaltung. Ziel ist es, die Gewalt in der Stadt im sunnitischen Dreieck zu beenden. "Die Verhandlungen kommen gut voran, einige Punkte sind aber noch ungeklärt", sagte Muthanna al-Dhari vom sunnitischen Rat der Religionsgelehrten. Die Delegation aus Falludscha leitete Ahmed Hardan, ein Mitglied der Islamischen Partei.
Obwohl die derzeitige Waffenruhe weitgehend beachtet wurde, kam es bei Falludscha zu vereinzelten Gefechten. Dabei starben in der Nacht zum Mittwoch, laut Augenzeugen fünf Iraker. Später griffen Aufständische in Al Gharma, nordöstlich von Falludscha US-Soldaten an. Keine Bestätigung gab es für Augenzeugenberichte, wonach ein Soldat bei der Attacke getötet worden sein soll. Von einem Panzer stieg Rauch auf.
Das Kommando der im Westirak stationierten US-Marineinfanteristen gab den Tod von vier Soldaten bekannt. Zwei von ihnen seien in der Provinz Anbar gestern, zwei bereits am Montag ums Leben gekommen. Bei El Kaim, nahe der syrischen Grenze, stürzte nach Angaben des arabischen TV-Senders al-Dschasira ein amerikanischer Hubschrauber ab. In Bagdads Vorstadt Abu Ghoreib hätten Soldaten bei einem Angriff auf Aufständische zwei Kinder getötet.
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