on Udo Bergstein
börsennews.de - Leipzig, 15.12.2011: Zugegeben, die Headline ist provokativ: Aber zwei Fakten deuten auf genau solche Ideen im Bundesfinanzministerium hin.
Wie mehrere Presseberichte vermeldeten, hat das Finanzministerium sich einen ehemaligen Topberater von der Boston Consulting Group (BCG) ins Boot geholt: Levin Holle ist laut BCG-Website Senior Partner & Managing Director im Berliner BCG-Büro, welches er auch leitete. Künftig soll Levin Holle die Abteilung Finanzmarktpolitik des Bundesfinanzministeriums führen. Eine Schlüsselstellung im Zuge der Eurokrise.
Pikant ist die Vorgeschichte: Bei der BCG war Holle laut Financial Times Deutschland für die Beratung der öffentlichen Hand zuständig. Erst im September diesen Jahres - also noch unter der Leitung Holles - war das Berliner BCG Büro mit der Studie vorgeprescht: "Back to Mesopotamia" (Zurück nach Mesopotamien), die eine Enteignung des privaten Sparvermögens als Lösung der Schuldenkrise vorschlägt!
Offiziell genannter Autor der Studie war ein Berliner Kollege von Holle (Daniel Stelter) sowie ein Londoner BCG-Partner.
Eins und eins zusammengezählt folgt aus dieser Vorgeschichte: Das Bundesfinanzministerium hebt einen möglichen Enteignungsbefürworter auf eine Schlüsselposition in Bezug auf die Eurokrise.
Weiterhin unklar ist in diesem Zusammenhang: Bei der BCG kam Levin Holle laut Presseberichten auf ein Jahressalär von über 1 Million Euro. Beim Bundesfinanzministerium beträgt die Vergütung rd. 125.000 ? p.a. Was bewegt solch einen Topverdiener sein Einkommen um 90 Prozent zu kürzen, um dann im Finanzministerium als Abteilungsleiter (u.a. für Finanzmarktregulierung) zu arbeiten?
Wie stellt sich die BCG die Enteignung zur Lösung der Schuldenkrise im Einzelnen vor? In der Studie schauen sich die Berater nicht nur die Schulden der europäischen Staaten an. Sie untersuchen ebenfalls die Schulden der privaten Haushalte und der Unternehmen (jedoch ohne die Unternehmen aus der Finanzbranche) - und zwar für jedes Land der Eurozone. Die BCG Berater gehen in der Studie davon aus, dass jeder der 3 Sektoren jeweils eine Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes vertragen kann. Zusammengerechnet wären das also 180 Prozent pro Land. Diese Zahlen sind nicht unbekannt - ist doch die 60 %-Schuldengrenze bereits aus den Maastricht-Verträgen bekannt.
Diese Größe von 180 Prozent des BIP vergleichen die BCG Berater mit den realen Daten. Ergebnis: Die Abweichungen sind sehr hoch. Nach diesem Modell ist die Verschuldung Italiens mehr als 800 Milliarden Euro zu hoch, bei den Deutschen immer noch mehr als 500 Milliarden und bei den Spaniern sogar rd. 1000 Milliarden. Für die gesamte Eurozone beläuft sich der Wert auf über 6 Billionen Euro.
Geht man von der Studie der BCG aus, müssen also rund 6 Billionen Euro "gefunden" werden, um die Finanzen in der Eurozone wieder auf ein erträgliches Niveau zu konsolidieren.
Eine besondere Möglichkeit diese 6 Billionen Euro zu beschaffen hat BCG auch schon entdeckt. Die Besteuerung von privatem Sparvermögen mit einer Einmal-Steuer. Die privaten Vermögen in der Eurozone belaufen sich auf rund 18 Billionen Euro. Mit einer Wegbesteuerung von einem Drittel dieses Vermögens könnte man also diese Schuldenlücke von 6 Billionen Euro schließen.
Eine Wegbesteuerung der privaten Sparvermögen ist quasi eine Enteignung. Bricht man diese Zahlen auf die einzelnen Staaten herunter müsste beispielsweise Deutschland 11 Prozent des privaten Finanzvermögens "wegbesteuern". In den anderen Ländern wäre diese Quote natürlich ungleich höher. Griechische Sparguthaben müssten beispielsweise zu rund 50 Prozent wegbesteuert werden.
Fakt ist: Die Politik sucht immer noch verzweifelt nach einer Lösung der Schuldenkrise in Europa; ernsthaft erfolgsversprechende Lösungsansätze sind bisher nicht vorhanden. In solch einer dramatischen Situation trauen wir der Bundesregierung auch solche Enteignungsideen zu.
Die Vorbereitung solch einer Enteignung von Sparvermögen müsste natürlich im Geheimen vorbereitet und als "Nacht- und Nebel-Aktion" sehr schnell umgesetzt werden. Andernfalls würden die Sparer versuchen ihr Geld ins Ausland zu transferieren oder durch Hamsterkäufe in Sachwerte (Immobilien, Gold, etc.) zu retten.
"Solche Ideen und Planspiele machen uns natürlich mehr als besorgt. Enteignung kann - wenn überhaupt - nur als Ultima Ratio in Frage kommen, vorher müssen buchstäblich alle Alternativen genutzt werden. Das ist in Deutschland nicht der Fall. Hierzu würde beispielsweise die Veräußerung von Staatseigentum (Unternehmensbeteiligungen, Immobilien etc.) gehören. Die Fokussierung auf Finanzvermögen, die offenbar notwendige geheime Vorbereitung und Hauruck-Durchführung erscheint außerdem aus demokratischen und verfassungsrechtlichen Gründen absolut unmöglich.", so kommentiert Sebastian Hahn, Leiter des Portals börsennews.de, die Situation.
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