Washington - Alles war penibel vorbereitet: Auf dem G8-Treffen in St. Petersburg wollte US-Präsident George W. Bush endlich den Weg für empfindliche Wirtschaftssanktionen gegen Teheran festlegen. Trotz allen Drängens war eine klare Antwort der Mullahs auf das Angebot Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der USA zur Entschärfung der Atomkrise ausgeblieben. Alles andere als ein klares Ja, dieses Versprechen hatte Bush seinen europäischen Partnern abgenommen, würde als Absage gewertet werden. Der Druck wuchs mit jedem Tag, selbst Uno-Generalsekretär Kofi Annan mahnte im SPIEGEL-Interview Iran, sich endlich zu erklären.
Statt der erwarteten Antwort aus Teheran trat die Hisbollah, Irans langer Arm im Libanon, auf den Plan und entführte zwei israelische Soldaten. Die Eskalation, das wusste die Hisbollah so gut wie die iranische Regierung, war unvermeidlich. Kidnapping und anschließende Verhandlungen zur Freilassung haben in Nahost Tradition; unter deutscher Vermittlung wurde in der Vergangenheit mehrfach der Austausch von Gefallenen und Gefangenen vermittelt. Der letzte Deal fand im Februar 2004 auf dem Kölner Flughafen statt - und schon damals hatte der israelische Premier Ariel Scharon mit heiserer Altmännerstimme gewarnt, bei der nächsten Entführung werde man "mit bisher unbekannten Mitteln reagieren".
"Das ist auch unser Krieg"
Warum aber gerade jetzt? Die Bush-Regierung ist davon überzeugt, dass Iran den Atomstreit hinter einer noch gefährlicheren Krise verschwinden lassen will. Iran will das "Chaos", sagt US-Präsident George W. Bush. US-Experten sind überzeugt, dass das Teheraner Regime - unter tatkräftiger Mithilfe seines Verbündeten Syrien - den USA und Israel eine Warnung für die Zukunft zukommen lassen will: Ihr könnt uns nicht drohen, ihr könnt uns nicht stoppen, seht her, wozu wir in der Lage sind. Stimmt die These, wäre die angemahnte Antwort aus Teheran doch noch eingetroffen.
Das Kalkül der Mullahs ist gefährlich. Jede weitere Krise lässt zwar den Ölpreis ansteigen, sie werden fett und glücklich - zudem glauben sie sich seit dem US-Debakel im Irak vor einer militärischen Intervention sicher. Bush scheint ihnen hilflos, harmlos. Nur eine Supermacht, zudem eine waidwunde, zu reizen, ist nie eine gute Idee. In Washington bekommt in diesen Tagen jenes Lager wieder Zulauf, das schon immer glaubte, dass Iran nicht durch Verhandlungen, sondern nur durch Gewalt zur Räson zu bringen ist. Ein Konflikt, den eine Partei um jeden Preis sucht, lasse sich ohnehin nicht verhindern, argumentieren sie. "Irans Stellvertreter-Krieg" nennt der neokonservative "Weekly Standard" den Konflikt und erklärt: "Das ist auch unser Krieg."
Diese Sicht scheint auch im Weißen Haus zu dominieren, so jedenfalls lässt sich des Präsidenten bisherige Haltung verstehen: Der mahnt zwar Israel zur Zurückhaltung gegenüber zivilen Zielen im Libanon, hält aber von einem Waffenstillstand, wie ihn Kofi Annan fordert, zurzeit nicht viel. Auf dem Gipfel in St. Petersburg übersah Bush ein offenes Mikrofon als er mit Großbritanniens Premier Tony Blair sprach, so hörte die Welt, was er wirklich von Annans Vorschlag hält: "Er denkt, wir brauchen nur einen Waffenstillstand, dann wird alles andere schon."
Die Krise als Chance?
Eine große Machtprobe sieht Bush heraufziehen. Hier seine Regierung, die immer noch hofft, den Nahen Osten zu befrieden. Und auf der anderen Seite Iran, die Hisbollah, Hamas und Syrien, die ihre Kräfte bündeln, um Bush an der historischen Großtat zu hindern. In einem Interview mit dem Magazin "Newsweek" erklärte Bush kürzlich, die Iraner wollten in einem zweiten Schritt moderate Regierungen einschüchtern und so "Vertretern einer aggressiven Ideologie" neuen Spielraum verschaffen. Jetzt aufzustecken, würde den Konflikt also nur verzögern, aber nicht lösen, glaubt das Weiße Haus. Dass die Israelis mit Luftschlägen versuchen, die Hisbollah zu zerschlagen, ist in Bushs Interesse. Eine neue Etappe im "Krieg gegen den Terrorismus" und der Auseinandersetzung mit den iranischen Klerikern.
Mag die Welt nur Tod und Zerstörung sehen, in Washington neigt man dazu, in dem neuen Nahost-Konflikt auch eine Chance zu wittern: Die arabischen Regime fürchten den Führungsanspruch Irans mindestens so sehr wie Washington. Also sollen sie jetzt helfen, Teherans hegemoniale Träume einzudämmen. Einen ersten Erfolg hat diese Strategie immerhin schon. Stolz verweist US-Außenministerin Condoleezza Rice auf eine Erklärung der Arabischen Liga vom vergangenen Samstag. Statt des sonst üblichen Israel-Bashings verurteilten Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten die Hisbollah für deren "unerwarteten, unangemessenen und unverantwortlichen Taten".
"Mr. Großer Satan" und "Ms. Achse des Bösen", wie der "Washington Post"-Kolumnist David Ignatius die Kontrahenten nennt, üben sich im Kräftemessen. Wie es weitergehen wird? "Es bringt nichts, über apokalyptische Szenarien zu spekulieren", sagt Rice, die jetzt zu Gesprächen in die Region reisen will.
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