FTD - Dossier - 15.12.05
Experten warnen vor Dollar-Sturz von Sebastian Dullien, Berlin
Der US-Dollar droht nach dem Aufstieg der vergangenen Monate im nächsten Jahr abrupt abzustürzen. Zinserhöhungen und ein gigantisches Außenhandelsdefizit könnten nach Ansicht von Experten die Konjunktur bremsen.
"Bisher wurde der Dollar dadurch gestützt, dass die US-Notenbank ihre Zinsen kontinuierlich anhob", sagte David Milleker, US-Experte der Dresdner Bank. Das habe Dollar-Anlagen attraktiver gemacht. "Wenn die Fed ihre Zinsen jetzt nicht mehr weiter erhöht und in Europa die Zinsen steigen [tun sie aber nicht, A. L.], wird der Dollar abwerten."
Ähnlich äußerte sich Devisenexperte Michael Schubert von der Commerzbank. Bis Ende kommenden Jahres werde der Euro von derzeit etwa 1,20 auf 1,28 $ gegenüber dem Greenback steigen. Die Analysten von Merrill Lynch gehen gar von 1,31 $ aus. Bestätigt sahen sich die Skeptiker durch die am Mittwoch veröffentlichten neuen Rekorddefizite im US-Außenhandel.
In den vergangenen Monaten hatten sich die Händler an den Märkten weitgehend unbeeindruckt von den steigenden Fehlbeträgen gezeigt. Solche Defizite gelten unter Ökonomen in der Regel als dauerhaft nicht tragbar.
Zinserhöhungszyklus vor dem Ende
Am Dienstag hatte die Federal Reserve noch einmal ihre Zinsen angehoben, in ihrer Begründung aber angedeutet, dass der Zinserhöhungszyklus bald zu einem Ende kommen könnte. Der Dollar hatte daraufhin bereits spürbar an Wert verloren. Am Mittwoch meldete jetzt das US-Handelsministerium, dass der Fehlbetrag im US-Außenhandel im Oktober um 2,9 Mrd. $ auf einen neuen Rekord von 68,9 Mrd. $ gestiegen ist. Der Euro legte danach zeitweise auf fast 1,21 $ zu.
Von 2002 bis 2004 hatte der Dollar gegenüber dem Euro rund 40 Prozent an Wert verloren. Dieser Trend kam Anfang 2005 zum Stillstand. "Im abgelaufenen Jahr haben die Anleger wieder mehr Kapital in den USA anlegen wollen", so Milleker. Anders als in den Vorjahren hätten Ausländer sehr stark amerikanische Aktien und Unternehmensanleihen gekauft. Dagegen hätten ausländische Notenbanken weniger Dollar gekauft als noch zuvor.
Skeptische Märkte
Noch 2004 habe die Sorge über das hohe US-Leistungsbilanzdefizit an den Märkten überwogen. Dieses Jahr sei diese Sorge in den Hintergrund getreten, da es in den USA steigende Renditen und ein hohes Wirtschaftswachstum gab. "Im Laufe des kommenden Jahres werden die Märkte das Leistungsbilanzdefizit angesichts eher mäßiger Wachstumsperspektiven wieder skeptischer betrachten", schätzt Commerzbank-Analyst Schubert.
Nach Aussage Millekers dürfte sich das US-Wirtschaftswachstum in der zweiten Jahreshälfte 2006 spürbar abschwächen. "Dann werden die bisherigen Zinserhöhungen bremsend auf die Konjunktur wirken", so der Volkswirt. Zudem kühle auch der Immobilienmarkt in den USA ab. Die Wirtschaft drohe dann nur noch um etwa zwei Prozent zu wachsen, statt wie derzeit noch um vier Prozent. "In früheren Phasen der Wachstumsverlangsamung haben die Ausländer ihre Investitionen in den USA spürbar zurückgefahren." Dies habe etwa 2002 bis 2004 zum damaligen Dollar-Absturz beigetragen.
Dazu kommt nach Einschätzung von Filip Ksiazkiewicz vom Beratungsdienst Economy.com, dass sich das US-Leistungsbilanzdefizit noch ausweiten dürfte. Vor allem das Handelsungleichgewicht mit China nehme zu. Die US-Importe aus der Volksrepublik stiegen im Oktober um 1,1 auf 24,4 Mrd. $; die Einfuhren legten gerade um 0,7 auf 3,9 Mrd. $ zu. Die USA importieren damit aus China rund sechsmal so viel, wie sie dorthin ausführen.
Sollte es tatsächlich zu einer Dollar-Kehrtwende kommen, könnte diese schon in den nächsten Wochen dadurch beschleunigt werden, dass zum Jahresende eine spezielle Steuerregelung ausläuft. Von dem bis dahin noch geltenden "Homeland Investment Act" hatten US-Firmen profitiert, die ihre Gewinne nach Amerika zurücktransferieren. Sie mussten darauf eine reduzierte Steuer von 5,25 statt sonst üblicher 35 Prozent zahlen.
[Die 100 Mrd., die repatriiert wurden, sind nur 5 % eines TAGESumsatzes bei EUR/USD]
Insgesamt dürften nach Rechnung der Investmentbank Goldman Sachs dadurch derzeit rund 320 Mrd. $ zurückströmen. [Viel davon wurde aber bereits im Ausland schon längst in Dollar getauscht, so dass EUR/USD davon nur mit 100 Mrd. effektiv berührt wird, A. L.]. Das habe in den vergangenen Monaten zu zusätzlicher Dollar-Nachfrage am Devisenmarkt geführt und die US-Währung vorübergehend gestützt - ein Effekt, der in ein paar Tagen ausläuft. Dann könnte der Dollar schon wieder unter Druck geraten, so die Skeptiker.
Aus der FTD vom 15.12.2005
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