Ich habe heute meinen Unmut gegenüber der Berichterstattung des SPIEGELS gezogen und folgendes Schreiben u.a. an den dortigen Geschäftsführer, die Chefredakteure und den Aboservice gesandt:
Sehr geehrte Damen und Herren, bitte erlauben Sie mir, zu besseren Einordbarkeit des Nachfolgenden, einige Vorbemerkungen: Ich bin 57 Jahre alt, bin regelmäßiger SPIEGEL-Leser seit meinem 17. Lebensjahr, mithin seit 40 Jahren, war immer wieder und bin auch aktuell langjähriger Abonnent. Ich halte (oder besser: ich ?hielt??), den SPIEGEL für immanent wichtig für die deutsche Presselandschaft, für die Verteidigung der Pressefreiheit und als Speerspitze für investigativen Journalismus. Immer wieder habe ich eine Lanze Ihr Magazin gebrochen. Den Begriff ?Lügenpresse? halte ich für unsäglich, sogar für gefährlich. Ich fand auch Ihren Umgang mit dem Fall Relotius im positiven Sinn bemerkenswert. Um so enttäuschender ist für mich, dass Sie im Fall des o.g. Artikels, der vom Autorenteam Tim Bartz und Martin Hesse verfasst worden ist, nach meiner Auffassung den Mindeststandard von Qualtiäts-Journalismus in einem für mich unfassbaren Maß unterschreiten. Der Artikel ?Tränen in der Oper?, der sich mit dem Chef des DAX-Unternehmens Wirecard beschäftigt, ist m.E. so erschreckend einseitig, perfide, tendenziös und persönlich diffamierend verfasst worden, wie ich es im SPIEGEL nicht für möglich gehalten hätte. Eigene Recherchen vermisse ich. Stattdessen werden eine Vielzahl von suggestiven Formulierungen verwendet, die einzig das Ziel zu verfolgen scheinen, eine negative, verunglimpfende bis ehrverletzende Stimmung zu erzeugen. Eine Vielzahl von (potenziell entlastenden) Fakten, die sich beim Ziel einer ausgewogenen, objektiven Berichterstattung geradezu aufgedrängt hätten, werden hingegen überhaupt nicht erwähnt (z.B. die umfangreichen und detaillierten Stellungnahmen der Bundesregierung vom 08.04.19 bzw. 03.07.19 zu den von ausländischen Hedgefonds auf Wirecard verübten Leerverkaufsattacken; die Testate der renommierten Wirtschaftprüfungsgesellschaft Ernst & Young, die die Konzernabschlüsse in den letzten Jahren durchgehend testiert haben; der Bericht der renommierten Anwaltskanzlei Rajah & Tann aus Singapur vom Frühjahr diesen Jahres und und und). Auch auf die etwaige Querverbindung Ihres Autors, der mit dem im Artikel in Bild und Wort unangenehm ?abgefeierten? Journalist Dan McCrumm jahrelang gemeinsam bei der Financial Times beschäftigt war, wird an keiner Stelle eingegangen. Kuppe der unseriösen und offenkundigster Beleg (neben den vielen weiteren Beispielen, die angeführt werden könnten) für - vorsichtig ausgedrückt - ?unsorgfältige? Berichterstattung ist für mich dabei der Umstand, dass es dem Autorenteam gelingt, sogar den Namen des Wirecard-Chefs, der nicht eben kompliziert anmutet (Markus Braun) auf absurde Art falsch zu schreiben (?Brown?, siehe Seite 80, sogar in fett gedruckt). Und sogar damit die Qualitätskontrolle zu unterlaufen. Wie gesagt, es ließen sich etliche weitere Unseriösitäten und Unsauberkeiten finden, dies ist jedoch eine besonders deutliche und leicht zu verifizierende. Ich möchte dem Autorenteam Bartz und Hesse nicht unterstellen, dass es fremdgesteuerte Interessen verfolgt. Fakt ist jedoch, dass es hier um immense finanzielle Summen geht. (Wirecard hat an den Tagen der Leerverkaufsattacken innerhalb von wenigen Stunden mehrere Milliarden (!) Euro an Marktkapitalisierung eingebüßt). Summen, die das Jahresgehalt eines Journalisten um ein Vielfaches übersteigen. Fakt ist ferner, dass ausländische Hedgefonds dabei Gewinne in - vorsichtig geschätzt ? wohl mindestens mehrfacher Millionenhöhe eingefahren haben, und zwar in sicher nicht unerheblichem Maß zu Lasten deutscher Kleinanleger. Die Hedgefonds haben dabei offenkundig von negativer Berichterstattung zu Wirecard profitiert (und profitieren auch weiterhin davon). Sie sind deshalb an weiterer negativer Berichterstattung natürlich massiv interessiert. Sogar der Börsenstandort Deutschland insgesamt wurde und wird dadurch in ernsthafter Gefahr gesehen (vgl. o.g. Stellungnahmen der Bundesregierung). Finanziell verlustreich betroffen sind dabei im Übrigen nicht nur diejenigen Kleinanleger, die direkt Aktien von Wirecard besitzen, sondern auch alle diejenigen, die ihr Geld in ETFs auf den deutschen DAX investiert haben. Eine Anlageform, zu der Sie selbst in einer der letzten Ausgaben positiv berichtet haben und die eine breitere Bevölkerungsschicht betreffen dürfte. Verstehen sie mich bitte nicht falsch. Niemand erwartet vom SPIEGEL eine weichgespülte ?Hofberichterstattung?. Erwartet wird allerdings, dass der SPIEGEL das hehre Rechtsgut der Pressefreiheit verantwortungsvoll nutzt, und gerade bei ? wie hier - Artikeln mit erkennbar gravierender finanzieller Relevanz für a) ein Unternehmen mit mehr als 5.000 Mitarbeitern und b) für viele finanziell beteiligte Bürger unseres Landes besondere Sorgfalt an den Tag legt. Dies ist hier in gröblicher Weise (bewusst?) missachtet worden.
Ich erwarte vom SPIEGEL deshalb, um jeden Anfangsverdacht in dieser Richtung ausschließen zu können, eine ähnlich wie im Fall Relotius gestaltete Nachforschung und Aufklärung darüber, wie ein derart offenkundig unsorgfältig und tendenziös gestalteter Artikel Eingang in Ihr Magazin finden konnte und dass tatsächlich keine fremdgesteuerten Interessen Ihrer Autoren Tim Bartz und Martin Hesse vorliegen. Sollten sich innerhalb der nächsten fünf Ausgaben des SPIEGEL keine in diese Richtung gehenden Artikel finden, haben Sie mich als treuen Leser verloren! Wobei es mir dann um die anderen Autoren des SPIEGEL, die sich um qualitativ hochwertigen Journalismus bemühen, ausgesprochen leid täte.
Die Übersendung dieses Schreibens an den Deutschen Presserat behalte ich mir ausdrücklich vor. Hochachtungsvoll
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