Stuttgart - Die Daimler-Aktie ist niedrig bewertet wie lange nicht. Zahlreiche Stimmen sehen den Autokonzern als potenziellen Übernahmekandidaten. Welche Argumente sprechen dafür, welche dagegen - eine Analyse.
Seit Herbst vergangenen Jahres kennt die Daimler-Aktie nur den Trend abwärts. Mit der Veröffentlichung der Halbjahreszahlen und der damit verbundenen Gewinnwarnung stürzte die Aktie nochmals kräftig ab und war mit 36,50 Euro weniger als die Hälfte dessen wert, was man im Herbst 2007 für einen Anteilschein des Konzerns anlegen musste. Von früheren Höchstständen Ende der 90er Jahre bei 95 Euro, als der Konzern noch Daimler-Benz hieß, können die Anleger nur träumen. Mit einem hochgerechneten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für 2009 von etwa 7,6 gehört Daimler zu den am niedrigsten bewerteten Unternehmen im Dax. Von den Industrieaktien liegen nur MAN und Thyssen-Krupp dahinter.
Der niedrige Börsenkurs hat Übernahmefantasien beflügelt und damit der Aktie ein wenig Schub nach oben gegeben. Auch der hohe Bestand an liquiden Mittel wurde in diesen Tagen gerne als Argument genommen, um die Fantasie weiter zu schüren. In der Konzernbilanz für das erste Halbjahr weist Daimler jedoch seit Abschluss des Geschäftsjahres 2007 einen Rückgang der Zahlungsmittelbestände von 15,6 auf 5,6 Mrd. Euro aus. Addiert man die übrigen "finanziellen Vermögenswerte" von 6,6 Mrd. Euro hinzu, ergeben sich liquide Mittel von 12,2 Mrd. Euro. Für einen potenziellen Interessenten wäre die pralle Kasse nochmals ein gewichtiges Argument, um sich über ein größeres Aktienpaket an Daimler zu beteiligen. Durch interne Verrechnungen über Finanzierungsgeschäfte bleiben aber tatsächlich nur sieben Mrd. Euro als Kassenbestand übrig. Bliebe als Kaufargument noch die Umsatzrendite von acht Prozent, die trotz eines Rückgangs zum Halbjahr im Wettbewerbsvergleich immer noch hervorragend ist.
Milliarden für ein Aktienpaket
Ein potenzieller Investor müsste jedoch tief in die Tasche greifen, um einen nennenswerten Aktienanteil zu kaufen. Daimler weist zum 30. Juni eine Aktienzahl von gut 964 Mio. Stück aus. Die erste Schwelle, ab der Aktienbestände gemeldet werden müssen, liegt bei drei Prozent. Im Fall Daimlers wären dafür bei einem Kurs von 40,20 Euro schon fast 1,2 Mrd. Euro fällig. Etwa dreimal so viel, wie Schaeffler für einen Conti-Anteil der gleichen Größe berappen musste. Nun kann ein Investor, der drei Prozent an Daimler hält, kaum Einfluss geltend machen und somit keine Strategieänderung bewirken. Erforderlich wäre mindestens die Sperrminorität (25% plus eine Aktie), besser noch ein Anteil, der eine Hauptversammlungsmehrheit sichern würde. Hierfür wären etwa 40 Prozent der Aktien nötig, wofür der Investor beim aktuellen Kurs rund 16 Mrd. Euro einsammeln müsste. Eventuelle Zuschläge, um von einem anderen Anteilseigner ein größeres Aktienpaket übernehmen zu können, sind hierbei nicht berücksichtigt. Dies könnte das Geschäft verteuern.
Finanzmarkt als Hürde
Und es gibt eine andere Hürde: Erstens dürfte es ausgesprochen schwer sein, in der derzeitigen Lage der Finanzmärkte solch hohe Kredite zusammenzubekommen. Dies dürfte deshalb eine Klippe für reine Finanzinvestoren sein. Zweitens würde allein der Versuch - selbst über Optionsgeschäfte - einen solchen Aktienanteil zusammenkaufen zu wollen, an der Börse und bei Daimler nicht verborgen bleiben. Ein Anschleichen, wie es Schaeffler bei Continental strategisch geschickt gemacht hat, würde beim Daimler-Konzern nach diesen Erfahrungen sicherlich nicht mehr so einfach funktionieren. Außerdem würde allein der Versuch, Aktien in diesem Umfang zu kaufen, zu erheblichen Kurssteigerungen führen und somit die erforderliche Übernahmesumme nochmals deutlich erhöhen.
Giftpillen in der Bilanz
Aus strategischer Sicht sprechen weitere Argumente gegen eine Übernahme. Daimlers Beteiligung an der EADS (15,22 Prozent) ist ein schwer verdaulicher Brocken. Allein die politischen Verstrickungen sind belastend. Eine derartige Beteiligung ist unter solchen Rahmenbedingungen nur schwer weiterveräußerbar und wird deshalb als Giftpille bezeichnet. Auch der 19,9-Prozent-Anteil, den Daimler an Chrysler hält, muss weiter als große Belastung eingestuft werden, zumal der frühere US-Partner erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten hat. Die Daimler-Bilanz liefert ein weiteres gewichtiges Gegenargument: Wer die Kassenlage des Konzerns betrachtet, muss die Schulden gegenrechnen. Unterm Strich steht somit eine Nettoverschuldung von 41 Mrd. Euro zu Buche, für die ein Investor geradestehen müsste, der mehr als 50 Prozent der Daimler-Anteile erwerben würde.
Das häufig genannte Argument, ein Investor könnte das Lkw-Geschäft herauslösen und verkaufen, sagt sich leichter, als es durchzuführen wäre. Daimler ist bei den Lkw Weltmarktführer. Aus kartellrechtlichen Gründen ist der Verkauf an einen Investor aus der Branche nahezu unmöglich. Außerdem macht ein Verkauf der Lkw-Sparte aus strategischen Gründen wenig Sinn. Schließlich muss für neue Umwelttechnologien viel Geld investiert werden. Daimler kann viele dieser Technologien für Autos und Lkw einsetzen und senkt damit die anteiligen Kosten für jeden Geschäftsbereich.
Konkurrenten mit Problemen
Schließlich sind Spekulationen, ein Branchenkonkurrent könnte Daimler übernehmen, schwer nachvollziehbar. Die schwerreiche Familie Quandt z.B., die 46,6 Prozent an BMW hält, muss genügend Schwierigkeiten beim schwächelnden Münchener Konzern aussitzen. Auch andere Autokonzerne sind mit Problemen beschäftigt, und nicht jede denkbare Verknüpfung macht Sinn. Autobauer wie Porsche, die das nötige Geld aufbringen könnten, haben mit Volkswagen schon einen anderen Konzern am Haken. Toyota, dem man ein Engagement zutrauen könnte, muss erst mal seinen Sprung an die Spitze der Branche absichern. Die Autokonjunktur insgesamt flaut ab: Die Kosten steigen, die Absatzzahlen schwinden. Dies sind nicht die besten Perspektiven für eine hohes finanzielles Engagement.
Für die Daimler-Aktie sehen die meisten Analysten mittelfristig wenig Entwicklungspotenzial. Morgan Stanley und Goldman Sachs sehen ein Investment kritisch und sehen ein Kursziel von 42 bzw. 45 Euro. Hauck & Aufhäuser, Credit Suisse und Deutsche Bank stuften das Wertpapier dagegen noch als kaufenswert und setzten das Kursziel auf 52 bis 60 Euro. Dies wäre allerdings zum heutigen Stand eine unwahrscheinliche Steigerung von nahezu 50 Prozent.
Fazit: Es sprechen mehr Argumente gegen eine Übernahme als dafür. Die Gefahr, dass sich Investoren an Daimler heranwagen, ist gering. Armin Zimny
27.08.2008 - aktualisiert: 27.08.2008 17:54 Uhr http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/...hmekandidaten-.html
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