Szenario 1: Die Mehrheit stimmt mit Ja Diese Variante wäre vielen in Brüssel die liebste. Nach Lage der Dinge ist sie aber auch die am wenigsten wahrscheinliche. Sollte Theresa May nach den turbulenten Debatten der vergangenen Tage das Wunder gelingen, eine Mehrheit für das Abkommen zu erhalten, wäre das nicht nur für sie persönlich ein Triumph. Für die EU würde es bedeuten: Ein ordentlicher Brexit - quasi "nach Fahrplan" - wäre gesichert. Sagt auch das EU-Parlament ja, würde Großbritannien die Union formell am 29. März 2019 verlassen. Während einer Übergangsphase von mindestens 21 Monaten würden die Regeln von Binnenmarkt und Zollunion aber weiter gelten. Beide Seiten hätten Zeit, ihr Verhältnis auf ein neues Fundament zu stellen.
Szenario 2: Das Parlament sagt Ja, doch die Regierung zerbricht Auch ein Erfolg Mays könnte unter Umständen für Probleme sorgen. Sollte die Premierministerin ihren Brexit-Deal nur mit vielen Leihstimmen der Opposition durchbringen, könnte ihre Regierung anschließend trotzdem auseinanderfallen. Was eine Zusage dann noch wert wäre, ist schwer vorherzusagen. Möglich wäre, dass May zum Rücktritt gezwungen wird und ein neuer Regierungschef den Kurs ändert. Es könnte aber auch sein, dass es zu Neuwahlen oder einem zweiten Referendum kommt. Dafür allerdings wäre ein Aufschub nötig, den die verbleibenden 27 EU-Staaten einstimmig billigen müssten.
Szenario 3: Das Unterhaus sagt ja, ändert aber den Beschlusstext Nach britischer Rechtslage wäre das möglich, es würde die Dinge aber gehörig durcheinanderbringen. Aus Brüsseler Sicht gilt: "Deal ist Deal", und Nachverhandlungen in der Substanz wird es nicht geben. Andererseits würde ein Ja unter Vorbehalt den Druck auf die EU erhöhen, kleinere Änderungen wenigstens in Erwägung zu ziehen.
Szenario 4: Das Unterhaus stimmt knapp mit Nein Eine knappe Niederlage würde für alle Beteiligten zwar Stress bedeuten, wäre aber weder für May noch für die EU die ganz große Katastrophe. Schon länger wird in Brüssel offen über einen möglichen zweiten Wahlgang in 14 Tagen spekuliert. Je näher der Abgrund eines chaotischen Austritts rückt, so das Kalkül, desto mehr könnten auch eingefleischte Gegner des Deals ins Grübeln kommen und sich zum Wohle der Nation auf Mays Seite schlagen. Auf einem Krisengipfel der EU-Staats- und Regierungschefs könnte die Premierministerin dann erneut versuchen, der Gegenseite doch noch Zugeständnisse abzutrotzen, die ihr die Wiedervorlage im Parlament erleichtern.
Szenario 5: Das Unterhaus sagt laut und deutlich Nein Ein klares Nein, wie es die meisten Beobachter erwarten, könnte das Aus für den Vertrag bedeuten und möglicherweise auch für Regierungschefin May. Läge die Zahl der Gegenstimmen deutlich über 100, liefen May also mehr als die Hälfte ihrer konservativen Gefolgsleute davon. Dann dürfte es der Premierministerin schwer fallen, sich im Amt halten. Wie es dann weiterginge, hinge insbesondere von der Opposition und deren Chef Jeremy Corbyn ab. Neuwahl, ein zweites Referendum, aber auch ein "harter" Brexit, ein Austritt ohne Abkommen, wären denkbar. Für ein solches No-Deal-Szenario existieren zwar Notfallpläne, doch eine politische Mehrheit dafür gibt es nicht. Eher schon dürfte der Austrittstermin um einige Monate verschoben werden - wegen der Europawahl Ende Mai nicht ganz einfach, aber durchaus realistisch - sehr viel realistischer jedenfalls als die juristische "Notbremse" im Scheidungsartikel 50. Die lässt den Briten sogar die Möglichkeit, ihren Austrittsantrag in allerletzter Minute noch zurückzuziehen.
Quell: https://www.tagesschau.de/ausland/brexit-szenarien-103.html
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