Merkel verteidigt Blutgrätsche
Finale im Bundestag: Politiker der Großen Koalition haben den Haushalt 2006 gegen heftige Anfeindungen der Opposition verteidigt. Kanzlerin Merkel stellte sich erneut hinter die geplanten Grausamkeiten wie die Mehrwertsteuererhöhung und die Reform des Gesundheitssystems.
Berlin - Gestern sah man eine hocherfreute Kanzlerin Angela Merkel in der Kölner Fußballarena mit einem orangen Blazer. Heute nun stand die CDU-Chefin in rot vor den Bundestagsabgeordneten - und griff, anscheinend noch immer beeindruckt vom gestrigen Spiel der deutschen Mannschaft, in ihrer Rede tief in die Mottenkiste fußballerischer Rhetorik. | DPAAngela Merkel: "Der Kompass stimmt" | Die Menschen feierten derzeit mit Begeisterung die Siege der deutschen Fußball-Nationalmannschaft und der anderen Teams, sagte sie in der Generaldebatte des Bundestags. Die Deutschen präsentierten sich als großartige Gastgeber und zeigten, welches Potential in dem Land stecke. "Das eigentliche, das leisten die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes", betonte die Kanzlerin. "Da wird mir nicht bange, dass dieses Land auch die Herausforderungen meistert, vor denen wir insgesamt stehen." Das Ausland schaue begeistert auf den WM-Gastgeber Deutschland, sagte Merkel in ihrer halbstündigen Rede. Dies sei bei allen Vorbereitungen von Politik und Wirtschaft vor allem den Bürgern zu verdanken. "Sie leiden mit und sie trösten sich und sie freuen sich", sagte Merkel. Auch für die Bewältigung der politischen Probleme seien die Bürger entscheidend. "Hier liegt der Schlüssel für das Gelingen." So wie Deutschland in der Außenpolitik die Probleme meistere, könnten auch im Inland die Schwierigkeiten bewältigt werden. "Wir alle hier würden gern über Steuersenkungen sprechen, wir würden gern Wohltaten verkünden", sagte Merkel weiter. Sie sei sich bewusst, dass die Einschnitte bei der Pendlerpauschale und beim Sparerfreibetrag für die Bürger hart seien. "Glauben Sie nicht, dass es irgendeinem der Abgeordneten in diesem Hause leicht fällt, wenn wir im Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern sind." Die Regierung müsse das Land aber zukunftsfest machen. Merkel wiederholte ihr Wort vom "Sanierungsfall" Bundesrepublik. "Natürlich ist Sanierungsfall ein hartes Wort. Aber ich kann mich vor den Realitäten nicht drücken", sagte sie unter Verweis auf das strukturelle Haushaltsdefizit von 60 Milliarden Euro. Sie verteidigte den Reformkurs der Großen Koalition als alternativlos - und kündigte im Bundestag weitere Belastungen der Bürger durch die geplante Gesundheitsreform an. "Es wird teurer werden." Es gehöre zur Redlichkeit, dies den Bürgern auch vorher zu sagen. Die CDU-Vorsitzende bekräftigte, dass die Eckwerte für die umstrittene Reform noch vor der Sommerpause präsentiert werden sollen, damit die entsprechenden Gesetze Anfang 2007 in Kraft treten können. Angesichts der Meinungsverschiedenheiten von Union und SPD zur Einbeziehung der privaten Krankenversicherung in einen Gesundheitsfonds wandte sich Merkel gegen die Zerschlagung von funktionierenden Systemen. Man werde deshalb in diesem Bereich "andere Formen von Solidarität" finden müssen. Harsche Kritik der kleinen Parteien Die Opposition zog hingegen erwartungsgemäß ein schlechtes Zwischenfazit. FDP-Chef Guido Westerwelle nannte es eine "Unverschämtheit", die Mehrwertsteueranhebung als "begrenzte Steuererhöhung" zu bezeichnen. Finanzminister Peer Steinbrück warf er "unanständiges Abkassieren" vor. Nach sechs Monaten mache sich im Lande Enttäuschung breit, sagte Westerwelles Stellvertreter Rainer Brüderle. Er warf der Union vor, sie habe zentrale Wahlversprechen gebrochen. "Sie wollten einen Politikwechsel, Sie haben mehr Freiheit versprochen", hielt Brüderle der Kanzlerin vor. Nach nur sechs Monaten sei aber klar: "Mehr Steuern, mehr Staat, mehr Bürokratie - das ist Ihr Konzept." Dann verfiel auch Brüderle in die allgemeine WM-Euphorie: Jede deutsche Fahne, meinte er, sei ein Bekenntnis gegen die Große Koalition: "Schwarz-Rot reicht nicht, es muss auch Gelb dabei sein." SPD-Fraktionsgeschäftsführer Olaf Scholz konterte umgehend. Die Fan-Gesänge "You'll never walk alone" in den Stadien seien letztlich nur ein "ein sozialdemokratisches Grundsatzprogramm". Der Vorsitzende der Linksfraktion, Gregor Gysi, warf Merkel vor, in ihrer Rede nicht den Kurs verdeutlicht zu haben, den die Regierung steuern wolle. Ähnlich wie Gysi wandte sich auch Grünen-Fraktionschefin Renate Künast dagegen, dass sich die Bundesregierung nun die Erfolge der DFB-Elf ans Revers hefte. Die Politik der Regierung sei "kleinkariert" und voller Ungerechtigkeiten, meinte die Grünen-Politikerin. Das gelte für das Elterngeld wie auch für das von der CDU in die Debatte gebrachte Familiensplitting. Es privilegiere "am Ende wieder die, die hohe Einkommen haben". Sie bezeichnete Wirtschaftsminister Michael Glos ebenso wie Verteidigungsminister Franz Josef Jung als "Ausfälle im Team" des schwarz-roten Regierungsbündnisses. "Gerüchteweise" höre man, Glos kümmere sich um die Ausbildung. Künast rief ihm zu: "Nutzen Sie das Ende dieser Debatte und gehen sie drüben zu Adidas in die Arena." Die Firma sei das "absolute Schlusslicht" bei der Ausbildung. Verteidigungsminister Jung sei "überfordert beim Kongo-Einsatz".
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