"Wir sind Angsthasen geworden" Von Michael Höfling 5. Mai 2010, 04:00 Uhr Der Chef des Biotech-Unternehmens Qiagen über die Startschwierigkeiten der Branche, die Ziele seiner Firma und personalisierte Krebstherapien Bei der deutschen Biotech-Schmiede Qiagen brummte im ersten Quartal das Geschäft. Trotz schwieriger Bedingungen wuchsen Umsatz und Gewinn um ein Fünftel. Damit ist das Unternehmen hierzulande die große Ausnahme. Andere börsennotierte Firmen der Branche, etwa Medigene, GPC Biotech, Paion oder Evotec haben die einst in sie gesetzten hohen Erwartungen nicht erfüllen können. Jetzt setzt die Branche auf die Chancen der personalisierten Medizin - auch Peer Schatz, der Vorstandsvorsitzende von Qiagen. Die Welt: Herr Schatz, für die Biotech-Industrie in Deutschland sieht es eher düster aus. Außer Qiagen hat bisher nur Morphosys den Durchbruch geschafft. Was ist falsch gelaufen? Peer Schatz: Die große Aufbruchstimmung in der Branche Mitte der Neunziger Jahre fiel zusammen mit dem Beginn der New-Economy-Euphorie an der Börse. Damals wurden große Risiken eingegangen, waghalsige Projekte angestoßen. Viele dieser Risiken sind dann eben tatsächlich eingetreten. Die Welt: Vielen Firmen werden strategische Fehler vorgeworfen. Liegt ein Problem darin, dass die Tüftler aus der Forschung hierzulande oft selbst im Management sitzen, wo sie unternehmerische Defizite offenbaren? Schatz: Es ist glaube ich mehr ein Problem der ganzen Branche. Wenn Sie nach Amerika schauen, stoßen Sie auf das gleiche Phänomen. Die Gründungen aus der damaligen Zeit stehen nicht viel besser da. Schatz: Schreckt das Neugründer ab? Schatz: Das Problem ist: Die gibt es kaum. Es geht nicht in erster Linie um die Infrastruktur, nicht um Strategie. Deutschland hat keine Gründermentalität, keine Gründungskultur. Man hat Respekt davor, aber man macht es nicht selber. Die Gründerquote in Deutschland sinkt rapide, gegenüber den USA und dem europäischen Ausland fallen wir immer weiter zurück. Wir sind Angsthasen geworden. Die Welt: Welche Konsequenzen hat das für Deutschland? Schatz: Es ist Konsens, dass die gesamte Volkswirtschaft verjüngt und erneuert werden muss. Dieser Prozess wird nicht von den großen Unternehmen ausgehen. Ich als Unternehmer habe keine Angst vor großen Konzernen, sondern vor kleinen Firmen. Sie sind es, die schnell innovative Geschäftsmodelle etablieren können, die die schöpferische Kraft haben, Neues zu installieren. Die Welt: Firmen also, die sie auch für Qiagen auf Tauglichkeit für Übernahmen sondieren? Schatz: Wir haben den Markt im Blick und können uns vorstellen, unser Portfolio mit selektiven strategischen Zukäufen im zwei- bis dreistelligen Millionenbereich zu ergänzen. Damit können wir unser organisches Wachstum optimal steigern. Die Welt: Zurzeit kristallisiert sich in der so genannten personalisierten Medizin großes Potenzial heraus - ein Bereich, in dem auch Qiagen arbeitet. Was kann man sich darunter vorstellen? Schatz: In der klassischen Medizin wurde bisher nur grob gerastert, ob ein Medikament für einen bestimmten Patienten geeignet ist. Künftig wird es mit Hilfe molekularer Tests möglich sein, anhand des Genotypus Rückschlüsse auf die Art der Behandlung, die optimale Dosierung oder die Effektivität der Arznei zu erhalten. Die Welt: Und wer soll Ihnen diese Tests bezahlen? Die Kassen im Gesundheitswesen sind doch leer. Schatz: Es muss ja nicht mehr Geld in die Hand genommen werden als vorher. Heute werden weltweit rund 600 Milliarden Euro für Pharmazeutika ausgegeben. Selbst bei manchen Blockbuster-Medikamenten sprechen 30 bis 40 Prozent der Patienten nicht auf die Wirkstoffe an. Das ist dann komplett verschwendetes Geld. Die Patienten liegen unnötig lange in den Spitälern und verlieren wertvolle Zeit bis zu einer Behandlung, die vielleicht anschlägt. Dieser Prozess des Trial and Error ließe sich radikal abkürzen. Die Welt: Über welche Zahlen reden wir da? Schatz: Nehmen Sie einen Krebspatienten, der dreimal mit einem falschen Mittel behandelt wurde. So ein Pharmazeutikum kann im Jahr schon mal 20 bis 30 000 Euro kosten. Diese so genannten Fehlerkosten können sich bei einem einzigen Patienten auf über 100 000 Euro belaufen. Die Kosten für einen Test, mit dem die ersten Anwendungen als ungeeignet hätten identifiziert werden können, liegen bei ungefähr 200 Euro... Die Welt: ... werden aber von den Kassen im Gegensatz zur Behandlung nicht übernommen? Schatz: In den USA ist das bereits der Fall. Die jetzt verabschiedete Gesundheitsreform berücksichtigt die Möglichkeiten der personalisierten Medizin. Wir in Deutschland hinken da immer noch hinterher. Hier stehen den möglichen Kosteneinsparungen viele bürokratische Hemmnisse im Weg, wie auch die Möglichkeiten der Prävention oft außer Acht bleiben. Die Welt: Wenn sich die Rahmenbedingungen ändern sollten, würde das Qiagen beachtlichtes Wachstumspotenzial bescheren. Das ist aber auch nötig, denn die Aktie wird - auch das zeigt die Reaktion der Börse - gegenüber dem Sektor mit einem deutlichen Bewertungsaufschlag gehandelt. Schatz: Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt bei 24, das ist in der Tat über dem Branchendurchschnitt. Der Markt bescheinigt uns aber auch ein Wachstumspotenzial von jährlich 16 Prozent bis 2014. Mit diesen Parametern können wir gut leben. Die Welt: Qiagen hat mit seinen Zahlen die Erwartungen des Marktes geschlagen, zudem stellen Sie deutliches Wachstum in Aussicht. Warum reagiert die Aktie so verhalten auf die positiven Meldungen? Schatz: Wir schauen nicht auf kurzfristige Veränderungen. Unser Ziel ist es, in klar fokussierten Märkten schnell zu wachsen und dadurch langfristigen Mehrwert zu schaffen. Das gelingt uns gut und wird auch von den Anlegern honoriert. In den letzten 12 Monaten hat unser Aktienkurs um über 40 Prozent zugelegt. Quelle: http://www.welt.de/die-welt/wirtschaft/...nd-Angsthasen-geworden.html
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