Das Ende der "Rot-Grünen Epoche"
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"REFORM"-AGENDA
Hat Gerhard Schröder in Angela Merkel seine Meisterin gefunden?
Das Geflecht von "Reform"-Fragen, die zwischen den großen Parteien verhandelt werden, ist in den letzten Monaten so überkomplex geworden, dass man sich oft einfach entnervt abwenden möchte. Aber der Blick auf die Einzelheiten ist durchaus lohnend. Wenn man sie wie ein Puzzle zusammensetzt, kommt man zu demselben Schluss, den auch die große Demonstration vom vorigen Samstag nahe legt: dass der amtierende Kanzler spätestens irgendwann im Lauf des nächsten Jahres am Ende sein wird.
Sind die "Reform"-Vorhaben noch zu zählen? Hartz III und IV, Gemeindefinanzen, Handwerksordnung, Steuerentlastung und -amnestie, Arbeitslosengeld und Kündigungsschutz, Gesundheit, Renten - überkomplex sind sie aus einem einfachen Grund, der nicht sein müsste: Sie werden alle gleichzeitig verhandelt. Vier der zehn Vorhaben berät der Bundesrat an diesem Freitag. Die "Gesundheitsreform" hat erst vor drei Wochen das Plazet dieses Gremiums erhalten. Der Beschluss einer Renten-Nullrunde, den der Kanzler allein mit seiner Bundestagsmehrheit durchsetzen kann, ist auch noch keinen Monat alt. Die anderen Vorhaben wurden gerade oder werden in ein paar Tagen dem Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag vorgelegt. Warum erzeugt Gerhard Schröder diesen irren Zeitdruck? Er will es vor allem den SPD-Linken schwer machen. So hektische Wochen fordern rascheste Kapitulation, wenn Schröder zum xten Mal mit dem Rücktritt droht.
Aber wie sehr er auch drückt, gibt er doch nur weiter, was ihm selbst im Nacken sitzt: die Angst vor dem Aus im nächsten Jahr; den Glauben, dass nur eins ihn retten könnte, ein Wirtschaftsaufschwung in den nächsten Monaten. Er spielt Vabanque und versucht den ökonomischen Blitzkrieg. Sein entscheidendes Vorhaben ist die Steuerentlastung, weil er glaubt, der Abbau der Arbeitslosigkeit, den er versprochen hat, könne nur im Gefolge des Wirtschaftsaufschwungs, nicht aber durch irgendeine Politik des Staates gelingen. Der Staat hat dann nichts zu tun, als den Wirtschaftsaufschwung zu fördern, und zwar um jeden Preis. Steuerentlastung wirft ja die Frage auf, woher dann die Mittel zur Finanzierung der Gemeinwohlaufgaben kommen sollen. Schröder hofft das Beste. Jedenfalls soll die dritte Steuerreformstufe vorgezogen werden.
Man glaubt es hier noch mit einem nachvollziehbaren, wenn auch falschen politischen Konzept zu tun zu haben. In Wahrheit lässt schon der Grundgedanke den Wirklichkeitssinn vermissen. Denn wenn der Kanzler sich hektisch begeistert auf das Beispiel der USA beruft, die im dritten Quartal 2003 aufgrund einer Steuersenkung sensationelle sieben Prozent Wachstum erreicht haben, so verdrängt er, dass ein solches Wunder - es ist überwiegend mit Staatsschulden finanziert - mit der hiesigen Opposition nicht zu machen ist. Die Neoliberalen in Union und FDP haben entgegen dem, was sie laut sagen, gar nicht vor, den Steuerausfall gegenzufinanzieren; sie ziehen die viel einfachere Konsequenz des Staatsabbaus. Darum geht es bei der Organisationsreform des Arbeitsamts oder der "Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe". Es ist das alte Lied: Die Berufung deutscher Neoliberaler auf das US-amerikanische Modell pflegt sich, wenn man genauer hinsieht, als Lüge zu entpuppen.
Der Kanzler ist vor dem neoliberalen Programm schrittweise zurückgewichen. Einzelheiten bleiben immer umstritten, zum Beispiel ob der Staatszuschuss zum Budget der Arbeitsämter wegfallen soll, wie die Union jetzt vorschlägt. Dann ist Schröder wieder der Kluge, der nachgibt. Zur Zeit hofft er noch, die Steuersenkung hauptsächlich durch Staatsschulden kompensieren zu können. Das wird an diesem Freitag im Bundesrat beraten. Aber es steht schlecht um seinen Plan, die CDU-geführten Bundesländer gegeneinander auszuspielen, wie es früher einmal gelang. Gewiss stehen nicht alle hinter der neoliberalen Oppositionsführerin; einige würden Schröder gern zustimmen. Aber in Angela Merkel scheint Schröder seine Meisterin gefunden zu haben. Sie hat es zunehmend gelernt, seine Konsensstrategie zu durchkreuzen. Den Gefallen, auf Konsens sei es mit Konsens, sei es mit Konfrontation zu antworten, tut sie ihm nicht. Vielmehr konnte sie alle Unions-Ministerpräsidenten zur vorläufigen Ablehnung der Regierungspläne mit der Aussicht auf Nachverhandlung im Vermittlungsausschuss bewegen.
Dabei spielt sie zum einen auf Zeit. Die schnellen Entscheidungen, die Schröder für seinen ökonomischen Blitzkrieg braucht, wird es nicht geben. Zum andern treibt sie ihn in die Falle: Den Konsens soll er mit Zugeständnissen bezahlen, die die SPD zerbrechen lassen. Dabei will sie ihn tarifrechtliche und sogar einwanderungspolitische Kröten schlucken lassen, die mit dem Steuerstreit gar nichts zu tun haben. Vom Zerbrechen erhält man den Vorgeschmack, wenn man hört, dass zwar der Fraktionsvorsitzende Müntefering noch "eigene Mehrheiten" der Regierung fordert, Ministerpräsident Beck sie jedoch schon für überflüssig erklärt, vorausgesetzt nur, dass der Kompromiss mit der Union gelingt.
Gleichzeitig goutiert Frau Merkel den neuesten Plan zur "Vereinfachung" des Steuersystems, den ihr Fraktionsvorstandskollege Merz vom Bundestagswahlprogramm der FDP abgeschrieben hat. Der FDP-Politiker Solms hat schon erklärt, auf dieser Basis sei eine schwarz-gelbe Koalition möglich. Damit zeichnet sich das Ende des amtierenden FDP-Vorsitzenden Westerwelle ab, dessen Politik darauf gerichtet war, Schröder zur Koalition mit der FDP statt mit den Grünen zu bewegen. Eine Regierung Merkel-Solms oder Stoiber-Solms nimmt Konturen an. Die Landtagswahlen im nächsten Jahr werden Schröder den Rest geben. Besonders die in Nordrhein-Westfalen: Wenn die SPD auch dort verliert, ist sie mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundesrat konfrontiert, gegen die kein Bundestagsgesetz Bestand hat. Dann muss Schröder seinen Hut nehmen. Eine Träne wird ihm kaum jemand nachweinen.
Michael Jäger, 7.11.2003
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?Der Sigmar hat den Bogen überspannt?
Der niedersächsische Oppositionschef Sigmar Gabriel hat den Kanzler offenbar nicht nur durch sein Verhalten bei der Wiederwahl von Olaf Scholz bis aufs Blut gereizt. 20 Stunden, nachdem es am Rande des Bochumer Parteitags zwischen Gerhard Schröder und Wolfgang Jüttner, Landeschef der Sozialdemokraten in Niedersachsen, gekracht habe, habe sich der SPD-Chef auch Gabriel vorgeknöpft, berichtete die ?Bild"-Zeitung am Donnerstag.
Dabei soll er ihm vorgeworfen haben, beim Thema Tarifautonomie erst die Basis gegen die SPD-Führung aufgehetzt zu haben, um Schröder & Co. anschließend medienwirksam beizuspringen. Ein ähnliches Spiel soll Gabriel dem Vernehmen nach auch bei der Wiederwahl von Generalsekretär Scholz getrieben haben.
?Schröder hat getobt und Gabriel vorgeworfen, er sei Brandstifter und Feuerlöscher zugleich?, berichtete ein Vertrauter Gabriels dem Blatt. Auf die weitere Karriere des Niedersachsen dürfte sich die Sache alles andere als positiv auswirken, hieß es. ?Der Sigmar hat den Bogen deutlich überspannt?, verlautete aus der SPD-Spitze.
Putschversuch von Gabriel?
Gabriel, Ex-Ministerpräsident in Niedersachsen und einer von Schröders Ziehsöhnen, verwahrt sich gegen Spekulationen, er habe Stimmung gegen Scholz gemacht. Er habe vielmehr hinreichend dafür gesorgt, dass aus der niedersächsischen Delegation ?eine Menge Leute Olaf Scholz gewählt hat?, hatte Gabriel am Mittwoch dem Sender Phoenix gesagt.
In der SPD gebe es in seiner Generation nur vier bis fünf Leute an der Spitze. ?Wenn wir uns gegenseitig das Bein stellen, dann sind wir am Ende nur noch vier, drei, zwei, vielleicht nur noch einer. Ich glaube, dass das die falsche Art und Weise wäre.? In der SPD gebe es jedoch ?ein paar, denen eine solche Denkweise so fremd ist, dass sie jedem anderen unterstellen, er würde genau so intrigant arbeiten wie sie selber?, konterte Gabriel.
?Euch mache ich fertig?
Nach Medienberichten hatte sich SPD-Chef und Bundeskanzler Gerhard Schröder am Rande des Parteitags angeblich mit ausgesprochen unflätigen Äußerungen offen mit seinem eigenen Landesverband angelegt. Wie ?Bild? unter Berufung auf Parteikreise berichtete, machte Schröder intern Jüttner für die schwachen Wahlergebnisse und besonders für das des SPD- Generalsekretärs verantwortlich. Der Kanzler habe Jüttner am Rande des Parteitags in lautem Ton vorgeworfen: ?Was ihr da abgeliefert habt, war eine Sauerei!?
Damit habe der SPD-Vorsitzende auf Vermutungen in der Parteispitze reagiert, dass gerade auch die niedersächsischen Parteitagsdelegierten das schwache Abstimmungsergebnis von Scholz herbeigeführt hätten. Laut der Hannoveraner ?Neuen Presse? soll der Kanzler sogar gedroht haben: ?Euch mache ich fertig.? Regierungssprecher Bela Anda dementierte das umgehend: ?Äußerungen dieser Art entsprechen nicht dem Sprachgebrauch des Bundeskanzlers.?
Jüttner sagte dazu dem dpa/Rufa-Audiodienst: ?Das kommentiere ich nicht.? Er fügte hinzu, den Vorwurf, Niedersachsen habe eine Intrige organisiert, weise er entschieden zurück. ?Wer das behauptet, hat etwas zu verschleiern und soll sich an die eigene Nase fassen.? Der Kanzler spreche nicht mit ihm. ?Das macht aber auch nichts. Das kommt immer mal wieder vor.? Schröder sei augenscheinlich verärgert. Das sei aber nicht sein (Jüttners) Problem. Die SPD müsse begreifen, dass sie mehr als ein Kanzlerwahlverein sei ? ?sonst hat sie keine große Zukunft?.
Hintergrund der Auseinandersetzung war ein Treffen der 61 niedersächsischen Delegierten am Sonntagabend in Bochum. Bei dem als turbulent beschriebenen Treffen sollen sich nach dpa-Informationen neben Jüttner lediglich Fraktionschef Gabriel und der Bundestagsabgeordnete Hubertus Heil dafür ausgesprochen haben, Scholz bei der Wahl zu unterstützen. Vor allem die Delegierten aus dem Bezirk Weser-Ems sollen den Gerüchten zufolge versucht haben, eine möglichst breite Ablehnung gegen die Wiederwahl des Generalsekretärs zu organisieren und zu diesem Zweck Kontakt zu anderen Delegierten aufgenommen.
Zwiespältig wurde auch innerhalb der niedersächsischen SPD die Rolle von Gabriel gesehen, dem Ambitionen auf die Scholz-Nachfolge in Berlin nachgesagt werden. Intern wurden Vermutungen geäußert, Gabriel habe nur nach außen seine volle Unterstützung für Scholz demonstrieren wollen, aber hinter den Kulissen mitgeholfen, an dessen Stuhl zu sägen. Teilnehmer der Sitzung berichteten, Gabriels Werben für die Wiederwahl von Scholz sei von Delegierten aus Weser-Ems bei dessen Rede mit den Zwischenruf ?Rede kein Blech? quittiert worden.
Scholz redet Ergebnis schön
Scholz war am Montag in Bochum nur ganz knapp mit 52,6 Prozent wiedergewählt worden. Bei seiner Erstwahl vor einem Jahr war er noch auf 91,3 Prozent der Stimmen gekommen. Er fühle sich auch mit gut 52 Prozent Zustimmung noch ?vollständig legitimiert?, hatte Scholz auf die Klatsche reagiert. Er habe angesichts der ?sehr anstrengenden Reformpolitik? bereits eine Vermutung gehabt, wie seine Wahl in Bochum ausgehen könnte. ?Für mich ist das Ergebnis keines, mit dem ich nicht gerechnet habe?, sagte Scholz. In die Partei hinein habe er kein Kommunikationsproblem: ?Ich habe das Gefühl, dass ich ganz gut verstanden worden bin.?
Schröder nahm seinen nur knapp im Amt bestätigten Generalsekretär in Schutz. ?Gelegentlich muss man mit kollektiver Unvernunft leben?, sagte der Kanzler über die Entscheidung in Bochum in einem Interview mit dem Nachrichtensender N24. In dem Ergebnis äußere sich der Frust und die Enttäuschung der Delegierten über die derzeitige Lage der Partei.
Schröder abgemahnt
Auch der Parteichef und Bundeskanzler hatte auf dem Parteitag ein deutlich schlechteres Ergebnis als vor zwei Jahren einstecken müssen. Er erhielt 409 von 506 gültigen Stimmen, 77 Delegierte stimmten gegen ihn und 20 enthielten sich. Das entspricht 80,83 Prozent der Stimmen. Bei seiner letzten Wahl vor zwei Jahren in Nürnberg waren es noch 88,6 Prozent. Schröder sprach vor dem Hintergrund der Reformdebatte in der SPD von einem ?ehrlichen Ergebnis, das der Würde unserer Partei gerecht wird?.
Focus online, 20.11.2003
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"Das Ende des sozialdemokratischen Zeitalters"
Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter sieht das "Ende des sozialdemokratischen Zeitalters" gekommen. Die SPD hat sich überholt.
Während die alten Kämpen sich heute in Politikpositionen oder Verwaltungspositionen hochgearbeitet hätten, bestünde der Bodensatz der Partei nur noch aus hoffnungslosen Sozialhifleempfängern und Langzeitarbeitslosen. Die Ortsvereine seien Saft- und Kraftlos.
Wie wenig die Politik der heutige SPD für ein modernes Deutschland taugt, hat der Spiegel schon letzte Woche offengelegt. Deutschland ist innerhalb der letzten Jahre, während der SPD Regierung, im Pro-Kopf-Einommen weit hinter Großbritannien und Frankreich angekommen. Vor 20 Jahren lag das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland noch doppelt so hoch wie in Großbritannien. Dazwischen lagen Thatcher, die Entmachtung der Gewerkschaften und ein modernes Wirtschaftssystem, das New Labour von den Konservativen kopiert hatte.
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AUSTRITTSREKORD
Schröder laufen die Genossen davon
Die Sozialdemokraten haben im Jahr 2003 so viele Mitglieder verloren wie seit über 50 Jahren nicht mehr. Die Partei von Bundeskanzler Gerhard Schröder schrumpfte binnen zwölf Monaten um 43.096 Mitglieder auf nur noch 650.798 Genossen Ende Dezember - ein Rückgang von 6,21 Prozent.
Hamburg - Damit fiel die gesamtdeutsche Sozialdemokratie auf das Niveau der (West-)SPD des Jahres 1963 zurück. Am heftigsten reagierten im vergangenen Jahr die Genossen in den eher traditionsorientierten Landesverbänden Saarland und Nordrhein-Westfalen auf Schröders Reformpolitik.
Kein Landesverband oder Bezirk konnte zulegen. Am besten behaupteten sich noch - allerdings auf niedrigem Niveau - Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg. Immerhin standen den bundesweit 38.437 Austritten und den Verlusten durch Tod auch 10.829 Neuanmeldungen gegenüber, davon waren über 44 Prozent im Juso-Alter von unter 35 Jahren.
Spiegel online, 11.1.2004
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momentan sehr schwierig auf kommunaler Ebene überhaupt Leute für die nächsten Kommunalwahlen zu kriegen. Von guten Leuten braucht man gar nicht erst zu reden.
Viele wollen sich nicht mehr politisch engagieren und schon gar nicht unter irgendeinem Parteimäntelchen, für das sie sich schämen müssen sowie Schande und Spott ausgesetzt sind.
Und das noch in Zeiten, wo es nichts mehr zu verteilen gibt, sondern
Bibliotheken, Schwimmbäder , Theater, Kindergärten und Schulen geschlossen werden müssen.
timchen
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SPD-Spitzen fürchten Wahldebakel
?Bevölkerung muss die Richtung begreifen?
Führende SPD-Landespolitiker bekommen weiche Knie bei dem Gedanken, dass der Reformkurs von Bundeskanzler Gerhard Schröder die 14 Wahlen in diesem Jahr zu einem Hindernisrennen werden lassen könnte. Parteimitglieder kritisierten am Mittwoch das Verhalten der Bundes-SPD, aber auch das der Koalition insgesamt. Sie forderten Schröder (SPD) auf, sozial Schwache nicht weiter zu belasten und auf die Reformbremse zu treten. Einer neuen Umfrage zufolge verharren die Sozialdemokraten auf einem Tief bisher nicht gekannten Ausmaßes.
Zehn Euro und das Schicksal der Nation
Nach Einschätzung Schröders trifft die Diskussion nicht den Kern. ?Alles wird überlagert von der Frage, dass dieses Land in Bedrängnis kommt, weil man zehn Euro im Quartal beim Arzt abliefern soll. Als wenn das die Schicksalsfrage der Nation wäre?, sagte der Kanzler der Wochenzeitung ?Die Zeit?. Wichtiger sei eine Debatte darüber, warum Deutschland sein Bildungspotenzial nicht ausschöpfen könne. Schröder räumte ein, dass seine Botschaft, die Bundesrepublik müsse innovativer werden, derzeit beim Wähler nicht im gewünschten Ausmaß ankomme.
Reform oder Wählerstímmen?
?Wenn es so läuft wie bisher, werden wir keine einzige der 14 Wahlen gewinnen?, zitierte die ?Berliner Zeitung? ein namentlich nicht genanntes Mitglied der SPD-Führung. Fraktionschef Franz Müntefering warnte davor, das Reformtempo in der Hoffnung zu drosseln, Wähler zu gewinnen. ?Jeder Versuch, durch einen Kurswechsel bei den Reformen eine kurzfristige Entspannung im Wahljahr zu erreichen, hilft uns überhaupt nicht weiter?, sagte er der ?Zeit?. Die Sozialdemokraten hätten nur dann eine Chance, wenn sie sich weiter als Partei der Erneuerung präsentierten.
?Vertrauen der Stammwähler verloren?
Führende SPD-Politiker in den Ländern, in denen dieses Jahr gewählt wird, widersprachen Müntefering. Der saarländische SPD-Spitzenkandidat Heiko Maas machte die Bundesregierung verantwortlich für das stetig sinkende Vertrauen der Wähler in die SPD und verlangte einen Kurswechsel. ?Wir haben das Vertrauen unserer Stammwähler verloren. Wir dürfen bei den Reformen nicht immer nur Rentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger belasten?, sagte Maas der ?Berliner Zeitung?. Um die Trendwende zu schaffen, müsse die SPD die Erbschaftssteuer erhöhen, eine Bürgerversicherung sowie eine Ausbildungsabgabe einführen.
?Bevölkerung muss die Richtung begreifen?
?Die Schlagzahl ist zu hoch. Das ist kontraproduktiv?, sagte der nordrhein-westfälische SPD-Chef, Harald Schartau, dem ?Handelsblatt?. Er machte klar, dass er keinen Reformstopp wolle. ?Es muss vorwärts gehen.? Schartau schränkte jedoch ein: ?Die Bevölkerung muss die Chance haben, die Richtung zu begreifen.? Die SPD müsse das Thema Gerechtigkeit stärker herausstellen. In Nordrhein-Westfalen sind 2004 Kommunal- und 2005 Landtagswahlen, die als wichtigster Stimmungstest vor der Bundestagswahl 2006 gelten.
?Elektroschocks aus Berlin?
Nach ?Handelsblatt"-Informationen erklärte auch NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) kürzlich vor der Düsseldorfer Grünen-Fraktion: ?Seit Anfang des Jahres hat es viele Elektroschocks aus Berlin gegeben, die zu erheblichen Irritationen geführt haben.? Steinbrück habe der Bundesregierung ?handwerkliche Fehler? bescheinigt, zum Beispiel bei der Diskussion um den Umzug des Bundeskriminalamtes nach Berlin und den Kassenbeiträgen für Betriebsrenten. Steinbrück sei nicht bereit, seine Kritik öffentlich zu äußern und stehe generell zum Berliner Reformkurs.
Der niedersächsische SPD-Fraktionschef Sigmar Gabriel forderte, die Sozialdemokraten müssten Rücksicht auf sozial Schwache nehmen. ?Reformen dürfen und müssen aber nicht heißen, den Menschen immer in die Tasche zu greifen?, sagte der frühere Ministerpräsident der ?Bild"-Zeitung.
Absolute Mehrheit für Union
Nach einer Umfrage für das Magazin ?Stern? kommt die SPD derzeit bundesweit auf 24 Prozent, die Union auf 49 Prozent. Obwohl die Grünen leicht auf zehn Prozent zulegten, hätten CDU und CSU die absolute Mehrheit im Bundestag.
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Das Ende der Gerd-Show
Berlin, 6. Februar 2004, 13 Uhr 30: Wie tief die SPD und die Regierung in der Krise stecken, steht dem Kanzler ins Gesicht geschrieben. Schröder, einst der Meister der freudigen Inszenierung, sitzt mit versteinerter Miene im Saal der Bundespressekonferenz. Eine Momentaufnahme.
Zumindest einmal konnte Gerhard Schröder an diesem Freitag herzlich lachen. Mit dem ganzen Körper fiel der gerade abgetretene SPD-Chef beherzt zurück in den Stuhl der Berliner Bundespressekonferenz (BPK) und zeigte den Journalisten die Zahnreihen. Zuvor hatte Schröders designierter Nachfolger Müntefering gewitzelt: "Vorsitzender der SPD zu sein - das ist das schönste Amt neben dem Papst". Schröder griente seinem alten Weggefährten zu und beschied: "Das kann man so und so sehen", nicht ohne gleich einzuschränken: "Ich will ja keine falschen Erwartungen wecken..."
Nur wenige Sekunden später war der neue Schröder wieder da. Von Beginn der kurzfristig einberufenen Pressekonferenz an saß er mit versteinerter Miene vor den Journalisten. Den jovialen Kanzler, der nach Belieben mit den Medien spielt, suchte man vergebens. Stattdessen ein misstrauischer Schröder, der die Reporter-Reihen mit den Augen von links nach rechts scannte, aber niemanden mehr wie früher zunicken oder zulächeln mochte. Schröder wirkte müde. Den linken Mundwinkel nach unten gezogen, der Blick starr, nicht einmal die buschigen Augenbrauen wollten mehr nach oben zucken.
Highlight in der Polit-Routine
Der Alltag der Bundespressekonferenz ist normalerweise ein mehr als langweiliges Geschäft. Offiziöse Ankündigungen werden verlesen, Regierungssprecher weichen jeder interessanten Frage aus, und die Journalisten dösen vor sich hin. Ganz anders dieser Freitag. Wie damals, als Herta Däubler-Gmelin sich kurz vor ihrem Rücktritt wand oder Otto Schily seine Mitarbeiter wegen des NPD-Verbots-Debakels öffentlich auspeitschte, hatte der Termin mit Schröder und Müntefering eine klare Message an Partei und Außenwelt: Die Zeit der Show ist endgültig vorbei, denn Partei und Regierung stehen mit dem Rücken zur Wand.
Für die Nachricht des Tages braucht Schröder knapp 30 Sekunden. Er selbst tritt als Chef der Partei ab, die ihm in den vergangenen Monaten mächtig ins Geschäft gepfuscht hatte. An seine Stelle tritt Franz Müntefering, der zwar als sozialdemokratisches Urgestein verehrt, aber auch als "Zuchtmeister" innerhalb der Fraktion gefürchtet wird. "Münte" soll nun richten, was dem Kanzler misslang: die SPD auf Reformkurs zu bringen. Was das bedeutet, malte Müntefering auf seine muntere Art aus. In Zukunft müsse bei den Sozen endlich wieder regiert und nicht mehr "übereinander oder gar gegeneinander geredet" werden.
Der grimmige Kanzler machte es noch deutlicher: "Dort wo das nicht klappt, müssen Konsequenzen gezogen werden." In Zukunft wird er mehr denn je auf Härte setzen und sich nicht noch einmal bis zur Vertrauensfrage drängen lassen. Immer wieder hob er am Freitag seinen Auftrag als Regierungschef hervor. Der Mann, soviel ist klar, will sich nun endgültig nicht mehr von der Partei bremsen lassen, von lästigen Diskussionen und Abweichlern.
Nach "Ally McBeal" kommt nun "Dallas"
Oft wurde Rot-Grün in der Vergangenheit mit einer Seifen-Oper verglichen, in der Selbstdarstellung wichtiger als Inhalte waren. Doch glichen die Regierungsgeschäfte in den Jahren zuvor eher einem heiterem Ränkespiel wie bei "Ally McBeal" mit lustigen Eitelkeiten, Neurosen und ein bisschen Sex, so haben Schröder und Co. nun ganz auf "Dallas" mit Macht, und Intrigen umgeschaltet. Keine Zeit mehr für ein schnelles Lächeln oder ein geheucheltes Dankeschön auf dem Gesicht von "J.R." alias "G.S.", der das bittere Endes seines eigenen Generalsekretärs Olaf Scholz nur in einem lapidaren Nebensatz erwähnte.
Wenn der Machtverlust droht, so der Eindruck vom Freitag, müssen härtere Bandagen angelegt werden. Für den politischen Zuschauer wird das Macht-Theater nun transparenter. Denn das Gesicht aus Stein, das grimmige Vorschieben der Lippen und der leere Blick sind für Schröders Vertraute nichts Ungewöhnliches. Diese Mienen gehörten schon immer zu seinem Repertoire in harten Verhandlungen. Was Schröder am Freitag zeigte, haben so manche Koalitionspolitiker, vor allem aber fast alle Ex-Minister wie Rudolf Scharping oder Herta Däubler-Gmelin, schon gesehen - je näher sie am Abgrund standen, desto häufiger.
Steinernde Miene zum ernsten Spiel
Für die Fotografen muss der Freitag bitter gewesen sein. Keine Geste, kaum Mimik im sonst so bewegten Gesicht des Kanzlers. Nur ein einziges Mal streifte die linke Hand wie sonst stets gleich einem Federstrich über den Tisch vor ihm. Auch andere Schröder-Gesten blieben aus. Die Hand kratzte nur einmal am Ohr und sorgte für ein Blitzlichtgewitter. Auch die Stirn wollte sich nicht wie gewohnt in Falten legen. So steinern wie das Gesicht, so wollte Schröder wohl mitteilen, ist nun auch sein Wille zum Durchfechten seiner Linie.
Einzig Franz Müntefering wollte sich von der Kanzler-Starre nicht anstecken lassen. Müntefering parlierte gut gelaunt und verbindlich über die Zukunft und wurde auch bei der Behauptung nicht rot, er habe sich das Amt nie gewünscht oder die Karriere von Olaf Scholz sei nicht zu Ende.
Spiegel online, 6.2.4
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UMFRAGE
Good Bye, Kanzler
Gerhard Schröders Rückzug vom SPD-Vorsitz läutet das Ende seiner Kanzlerschaft ein, glaubt über die Hälfte der Deutschen. Sogar unter SPD-Anhängern ist mehr als ein Viertel vom baldigen Abgang des Bundeskanzlers überzeugt. Von Erleichterungen durch die Steuerreform haben 85 Prozent der Deutschen noch nichts gemerkt.
Die Spin-Doktoren der SPD mögen sich manchen Dreh ausdenken, um die neue Arbeitsteilung an der Parteispitze zum Befreiungsschlag für Gerhard Schröder umzudeuten - die Mehrheit der Deutschen sieht den Kanzler auf dem absteigenden Ast. In einer Umfrage von TNS Infratest im Auftrag des SPIEGEL meinten 53 Prozent der rund 1000 Befragten, Schröders geplanter Rücktritt vom Amt des SPD-Vorsitzenden zugunsten von Fraktionschef Franz Müntefering sei der "Anfang vom Ende der Kanzlerschaft Schröders". Als "Befreiungsschlag für die Reformpolitik" mag den Schachzug des Regierungschefs gerade mal ein Viertel (26 Prozent) werten.
Die Genossen selbst interpretieren das zwar etwas anders: Immerhin 59 Prozent der SPD-Anhänger sehen den Kanzler in der Offensive, nur 27 auf dem Weg aus dem Amt. Da allerdings mag viel Parteidisziplin und Wunschdenken mit im Spiel sein - bei den Anhängern des grünen Koalitionspartners sieht nicht einmal jeder zweite Befragte (48 Prozent) in der Beförderung von Franz Müntefering zum Parteichef und dem freiwilligen Rückzug Schröders von diesem Posten ein positives politisches Signal.
Besonders schlecht kommt der Wechsel bei der sozialdemokratischen Kernklientel an, deren Beruhigung der Wechsel nicht zuletzt dienen soll: In der Arbeiterschaft halten drei Viertel (75 Prozent) der Befragten mit dem Abgang Schröders als Parteichef auch seine Demission als Regierungschef für absehbar. Obenauf sehen den Kanzler gerade 13 Prozent der Werktätigen. Auch unter den Arbeitslosen sind die Zahlen ähnlich niederschmetternd; hier haben die Skeptiker eine Mehrheit von 62 Prozent.
Ungeachtet des geplanten Wachwechsels von Schröder zu Müntefering an der Spitze der Sozialdemokraten glauben 44 Prozent der Deutschen, dass vorerst der Kanzler bestimmender Mann in der deutschen Politik bleibt. Vor allem Alte, Arbeiter und Arbeitslose setzen ihre Hoffnung aber offenkundig eher auf den neuen Parteichef Müntefering: Bei den über 60-Jährigen erwarten 36 Prozent von dem ursozialdemokratischen Sauerländer, dass er die erste Geige spielt, vom Kanzler dagegen nur 31 Prozent. Und sogar jeder zweite Arbeitslose setzt auf den derzeitigen Fraktionschef, nur gut jeder Dritte auf den Kanzler. Bei Arbeitern schneidet Schröder mit 37 Prozent glatt 19 Prozentpunkte schlechter ab als bei Angestellten und Beamten.
Nur wenige Bürger glauben noch daran, dass Rot-Grün den eingeschlagenen Kurs fortsetzen wird. Fast drei Viertel (72 Prozent) erwarten stattdessen, dass es zu Korrekturen am Reformpaket kommt - unter SPD-Parteigängern (70 Prozent) und Grünen-Wählern (80 Prozent) nicht weniger als beim Rest der Bevölkerung. Die nach endlosem Gerangel in Kraft gesetzte Vorziehung der Steuerreform betrachtet eine erdrückende Mehrheit der Deutschen als Flop: Bald neun von zehn Befragten (85 Prozent) gaben den Demoskopen von Infratest zu Protokoll, keinerlei Entlastung zu spüren. Noch am ehesten profitieren, jedenfalls subjektiv, Angestellte und Beamte: Unter ihnen glauben immerhin 13 Prozent, nun mehr in der Tasche zu haben. Als Verlierer fühlen sich die Rentner - die Quote derjenigen, die eine Entlastung bemerkt haben, liegt nicht mehr im statistisch ausweisbaren Bereich.
Spiegel online, 16.2.4
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URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,286631,00.html
"Westdeutsche Allgemeine"
Führender Anbieter von Personal Service Agenturen pleite
Der größte Partner der Bundesagentur für Arbeit bei den im Zuge der Hartz-Reform gegründeten Personal Service Agenturen ist einem Pressebericht zufolge zahlungsunfähig. Die deutsche Tochter des niederländischen Personaldienstleisters Maatwerk habe die Insolvenz beantragt.
Essen - Maatwerk habe für seine deutsche Tochter beim Hamburger Amtsgericht Insolvenzantrag gestellt, berichtete die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" (WAZ) am Montag.
Maatwerk ist nach Angaben der Zeitung im neu geschaffenen Netzwerk der Personal-Service-Agenturen (PSA) der größte Partner. Bundesweit betreut und vermittelt der Personaldienstleister 9500 Arbeitnehmer und bekam in 200 von 1000 Ausschreibungen den Zuschlag.
Die Aufregung bei der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg sei groß, so die "WAZ" weiter. Einschließlich der Maatwerk-Mitarbeiter seien nun rund 10.000 Menschen von Arbeitslosigkeit bedroht. In Maatswerks Deutschland-Zentrale und bei der niederländischen Muttergesellschaft war zunächst niemand für eine Stellungnahme verfügbar.
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HAMBURG-WAHL
Rekord-Minus für die SPD
Ole von Beust kann mit der CDU alleine in Hamburg regieren. Nach den Hochrechnungen legten die Christdemokraten um mehr als 20 Prozentpunkte zu - soviel wie noch keine Partei bei einer Landtagswahl. Die SPD sackte in der Hansestadt dagegen auf ein Rekord-Minus ab.
Die CDU holte nach der ARD-Hochrechnung 46,9 Prozent und damit sensationelle 20,7 Prozentpunkte mehr als bei der Bürgerschaftswahl 2001. Eine solche Steigerung von mehr als 20 Prozentpunkten hat es bisher noch bei keiner Landtagswahl in Deutschland gegeben. Die SPD büßte dagegen noch einmal 5,6 Prozentpunkte ein und musste mit 30,9 Prozent das schlechteste Resultat überhaupt in der Hansestadt bei einer Bürgerschaftswahl einstecken. Die Grün-Alternative Liste (GAL) legte zwarum 3,9 auf 12,5 Prozent zu. Sie verfehlte aber trotz eines Zuwachses von 11 auf 16 bis 17 Mandate ihr Ziel eines Wiedereinstiegs in den Senat. Im Hamburger Rathaus hätte die CDU damit 63 Sitze, die SPD 41 und die GAL 17 Sitze.
Die FDP kam nur auf 2,9 Prozent (minus 2,2 Prozent). Die neue Partei des früheren Innensenators Ronald Schill holte lediglich 3,1 Prozent. Im Jahre 2001 hatte seine damalige Partei Rechtsstaatlicher Offensive (PRO) noch 19,4 Prozent geschafft. Die neue PRO landete nur bei 0,3 Prozent.
Beust zeigte sich "sehr dankbar". Der Wahlausgang sei auf die Personalisierung und die Unterstützung der Bundespartei zurückzuführen, sagte der Bürgermeister. Er habe eine "große Sympathie" für sich und "eine gute Stimmung für die CDU" gespürt. Es gebe jedoch viel in der Stadt zu tun. Er habe eine "riesige Verantwortung" für die nächsten Jahre, sagte Beust. Das Ergebnis sei "großartig, aber in Kürze geht es wieder an die Arbeit".
Die Bürgerschaftswahl sage etwas über das "Wahlverhalten der Menschen in Großstädten" aus, woraus die CDU ablesen könne, wie sie dort "vertieft Stimmen gewinnen" könne. Dazu gehöre eine Offenheit der Partei, rasches Reaktionsvermögen und auch die menschliche Seite.
Seine Strategie, nicht zu Leihstimmen für die FDP aufzurufen, sei im Nachhinein richtig gewesen, betonte von Beust. Die CDU habe dies sehr sorgsam abgewogen, ob sie das Risiko eingehen könne, dass die FDP mit 4,9 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würde und ihr die Stimmen dann gefehlt hätten. Er persönlich habe noch Samstag und Sonntag einen immer größer werdenden "Kloß im Bauch" gehabt.
"Das ist eine klare Niederlage, da muss man gar nicht drumrum reden", sagte SPD-Spitzenkandidat Thomas Mirow. Er kündigte seinen Rückzug aus der Landespolitik an. Für ihn sei "Schluss mit der Hamburger Politik", sagte Mirow in der ZDF-Sendung "heute". Es sei jetzt aber nicht an der Zeit sein Schicksal zu bejammern. "In Kürze geht es wieder an die Arbeit", sagte der Unternehmensberater.
Der stellvertretende Hamburger SPD-Vorsitzende Ingo Egloff sagte im ZDF, man habe versucht, die Themen "rüberzubringen". Was falsch gelaufen sei, wisse er nicht. "Berlin war auch nicht gerade Rückenwind für uns", sagte er. Der Wechsel an der SPD-Spitze habe im Moment nicht so viel gebracht, aber es sei müßig, darüber zu spekulieren.
GAL-Fraktionschefin Christa Goetsch äußerte in der ARD "große Freude" über das zweistellige Wahlergebnis für ihre Partei. Sie freue sich auch darüber, dass Schill und die FDP nicht mehr in der Bürgerschaft vertreten sein würden. Auf die Frage, ob die Grünen sich nach einem anderen Partner als der SPD umsehen müssten, antwortete Goetsch: "Das steht im Augenblick nicht zur Debatte."
FDP-Spitzenkandidat Reinhard Soltau sprach in der ARD von einem schlechten Wahlergebnis für seine Partei und kündigte eine genaue Analyse an.
Bei der Wahl im Jahre 2001 wurde die SPD mit 36,5 Prozent der Stimmen stärkste Partei, die CDU erhielt 26,2 Prozent und bildete mit der sensationell starken Schill-Partei und der FDP (5,1 Prozent) die Landesregierung. Die Grünen kamen damals auf 8,6 Prozent.
Im Bundesrat festigten die unionsgeführten Länder mit dem CDU-Sieg in Hamburg ihre klare Mehrheit. Sie vereinigen in der Länderkammer zur Zeit 41 der 69 Stimmen auf sich. Hamburg hat davon 3 Stimmen.
Die Bürgerschaftswahl ist Auftakt für das Wahljahr 2004 mit 13 weiteren Entscheidungen auf kommunaler und Landesebene sowie der Europawahl und gilt als erster Stimmungstest für die rot-grüne Regierungskoalition im Bund nach dem angekündigten Rückzug von Bundeskanzler Gerhard Schröder von der SPD-Parteispitze.
Spiegel online, 29.2.4
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SPD hat Angst vor dem Projekt 18
Umfragewerte sind für die Partei niederschmetternd / Politiker suchen nach Rezepten, um bei der nächsten Wahl nicht abzustürzen
In der SPD ist die Stimmung mehr als schlecht. Daran sind nicht nur der Unmut über die Gesundheits- und Rentenpolitik der Bundesregierung Schuld, sondern auch die neuesten Umfrage-Ergebnisse. Nur noch 20 Prozent der Berliner würden derzeit für die SPD votieren, wenn am Sonntag ein neues Abgeordnetenhaus gewählt würde, ermittelte jetzt das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Von einem Wahlsieg 2006 ist die Partei derzeit weit entfernt.
"Die schlechten Werte bereiten mir Sorgen", sagte die SPD-Kreisvorsitzende aus Marzahn-Hellersdorf, Iris Spranger. Sie ist sich mit den anderen Kreisvorsitzenden einig, dass der Grund dafür sowohl in der Bundes-, als auch in der Landespolitik zu suchen ist. Die Sparbeschlüsse des Senats hätten auch in der eigenen Partei viel Unmut ausgelöst, sagte Spranger. Umstritten waren die Erhöhung der Kita-Gebühren, die Millionen-Kürzungen bei den Universitäten, aber auch die Abschaffung des BVG-Sozialtickets. "Es ist viel Unruhe unter den Mitgliedern", sagte Iris Spranger, die als Abgeordnete die Sparpolitik des Senats unterstützt.
Schwierige Zeiten erlebt auch der SPD-Kreisvorsitzende in Friedrichshain-Kreuzberg, Mark Rackles. "Die Stimmung im Kreisverband ist eher unter 20 Prozent", sagte Rackles angesichts der neuesten Umfrage-Werte. Die Atmosphäre sei "gedrückt", die Mitglieder hofften nun, dass es mit dem Wechsel an der Bundesspitze auch wieder mit der Partei aufwärts gehe. Das Projekt 18, das die FDP als Ziel für die Bundestagswahl 2002 ausgegeben hatte, wollen die Sozialdemokraten in Berlin nämlich nicht realisieren.
Auch für Rackles sind die inhaltlichen Fragen, nicht die Personen, der Grund für die SPD-Misere. "Die Abschaffung des BVG-Sozialtickets kostet uns richtig Stimmen, das war verheerend", sagte Rackles. Die SPD müsse eine sozial gerechtere Politik machen und sich für die Reformen auch mehr Zeit nehmen. Der SPD-Landesvorsitzende Peter Strieder, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue ermittelt, sei aber nicht für die schlechten Umfrage-Ergebnisse verantwortlich, sagte Rackles. "Peter Strieder war nie besonders beliebt, aber mit ihm haben wir schon ganz andere Wahlergebnisse erzielt." Auch andere SPD-Kreisvorsitzende sind überzeugt, dass die Tempodrom-Affäre zwar zu den bestehenden Problemen hinzukomme, aber nicht die Ursache für das Absacken der SPD sei. "Die Menschen reden mehr über die Praxisgebühr oder die Kita-Gebühren als über das Tempodrom", sagte Iris Spranger.
Um die Partei wieder nach oben zu bringen, will der SPD-Landesvorsitzende den Dialog mit den Menschen in Berlin verbessern. "Mit allen gesellschaftlichen Gruppen", sagte Peter Strieder am Wochenende. Es sei nicht gelungen, den Berlinern zu erklären, warum die Einschnitte im sozialen Netz erforderlich gewesen seien. So habe die Erhöhung der Kita-Gebühren bei den "Multiplikatoren in der Mittelschicht" viel Empörung ausgelöst. "Dass 50 Prozent der Eltern von der Erhöhung nicht betroffen sind, wurde nicht wahrgenommen", sagte Strieder. Auch die Kürzungen bei den Hochschulen würden langfristig zu mehr Effizienz führen, so der Senator. Darüber sei jedoch nicht gesprochen worden. "Wir müssen viel mehr erklären und reden, auch über die Erfolge und den guten Standort Berlin", sagte Strieder. Von dem Kurs des Senats abweichen, das will er nicht.
BZ, 15.3.4
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