ZIMBARDO ZU MISSHANDLUNGEN
"Krieg verwandelt Menschen in brutale Folterer" Von Christian Stöcker
Für den renommierten US-Psychologen Philip Zimbardo sind die Misshandlungen irakischer Gefangener durch amerikanische Soldaten kein Zufall. Die Situation im Irak bringe die Soldaten regelrecht dazu, Gräueltaten zu verüben. Verantwortlich dafür sei die US-Regierung.
"Wir dürfen den Politikern und dem Pentagon nicht erlauben, die Ernsthaftigkeit der Vorfälle mit der üblichen, auf Persönlichkeitsstrukturen abzielenden Analyse beiseite zu schieben", schreibt Philip Zimbardo in einem Brief an die Mitglieder der "Society of Personality and Social Psychology". Die Erklärung, es gebe ein paar faule Äpfel in einem ansonsten guten Fass, sei nicht akzeptabel, heißt es in dem Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt.
George Bush habe gesagt, die Ereignisse sollten kein schlechtes Licht auf das an sich gute amerikanische Volk oder das Militär werfen. "Falsch", so Zimbardo, "die situationsbezogene Analyse sagt uns, dass das Fass des Krieges mit Essig gefüllt ist, der gute Gurken in saure Gurken verwandelt, und das immer tun wird. Er verwandelt die Mehrzahl guter Menschen, Männer wie Frauen, in Übeltäter."
Wesentliche Faktoren dabei seien Anonymität und Verlust der Individualität, Entmenschlichung, Geheimhaltung, Diffusion von Verantwortung, soziale Vorbilder, starke Machtgefälle, Frustration, Rachegefühle, Autoritätshörigkeit und mangelnde Überwachung, die ein Gefühl des "laissez-faire" erzeuge.
Philip Zimbardo ist nicht irgendwer. Der Sozialpsychologe war Präsident der mächtigen American Psychological Association (APA), seine Publikationen, unter anderem über Machtmissbrauch und Unterdrückung, gehören weltweit zum Pflichtstoff, sein Einführungsbuch für Psychologiestudenten ist auch an deutschen Universitäten Standardlektüre.
Zimbardos Analyse der Misshandlungen im Bagdader Gefängnis basiert auf seinen eigenen Forschungen. In seinem "Stanford Prison Experiment" erfuhr der Forscher 1971 am eigenen Leib, was eine Situation, in der Macht und Unterwerfung willkürlich verteilt werden, mit ganz normalen Menschen anstellen kann. In der Studie waren 24 Freiwillige entweder zu Gefängniswärtern oder zu Gefangenen erklärt worden. Die Gefangenen wurden von Anfang an gedemütigt, mussten Krankenhausnachthemden und Ketten an den Füßen tragen, wurden nur noch mit Nummern statt mit ihren Namen angesprochen.
Stanford-Gefängnis-Experiment: Das Böse im Menschen geweckt Da es für die Wärter keine expliziten Regeln gab, entwickelten sie verschiedene Unterdrückungsmethoden, mit denen die Gefangenen gefügig gemacht wurden. So wurden zur Bestrafung Liegestützen angeordnet, den Eingesperrten wurden Decken und Matratzen weggenommen, es gab eine lichtlose Einzelhaft-Zelle.
Im Laufe des Experiments wurden die Unterdrückungsmaßnahmen immer extremer: Als sich die Wärter nachts unbeobachtet fühlten, zwangen sie die Gefangenen sogar, sich auszuziehen und miteinander sexuelle Akte zu simulieren - so wie die US-Soldaten im Irak. Das Experiment, das eigentlich zwei Wochen dauern sollte, wurde schließlich nach sechs Tagen abgebrochen, weil die Situation vollständig außer Kontrolle geraten war. Das "Stanford Prison Experiment" bildete vor einigen Jahren auch die Grundlage für den deutschen Kinoerfolg "Das Experiment" mit Moritz Bleibtreu.
Zimbardo hat Mechanismen von Unterdrückung und Folter auch an anderen Orten untersucht, etwa bei den Todesschwadronen der brasilianischen Militärjunta. Aus den Ergebnissen schließt er, dass Personen, die in derartige Situationen gebracht werden, mehr oder minder zwangsläufig agressiv-unterdrückerische Verhaltensweisen entwickeln - auch wenn sie an und für sich keine grausamen oder bösartigen Menschen sind.
"Die allgegenwärtige Ursache ist das Übel des Krieges", schreibt der Psychologe, "die vorgeschobene Geschichte von der 'Nationalen Sicherheit' und den übertriebenen Ängsten vor dem Terrorismus, die durch zehn 'glaubwürdige' Terrorwarnungen erzeugt worden sind. Sie verwandeln unsere Nation in eine Kultur der Opfer und unsere Soldaten in brutale Quäler anderer Menschen."
Zimbardo ist überzeugt, dass die Wunschvorstellung, die USA könnten den Irak demokratisieren, eine reine Utopie ist. "Das wird nicht passieren. Dieser aggressive, überflüssige Krieg ist die Hölle auf Erden, er wird langandauernde Konsequenzen in der Heimat und im Ausland haben."
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,298455,00.html
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