11. Mai 2005, Neue Zürcher Zeitung
Versicherungsjuristen prüfen «Leibstadt» Genaue Ursache des Generatorschadens weiterhin unklar Die Ursache für den Generatorschaden im Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) vom 28. März steht noch immer nicht fest. Es scheinen jedoch mehrere Faktoren eine Rolle gespielt zu haben, wie etwa Fertigungsfehler an der sogenannten Pressplatte oder der spezielle Betrieb über Ostern. Nun prüft auch die Versicherung den Schadenfall.
H. W. In die Untersuchungen zum schweren Generatorschaden, der vor rund sechs Wochen das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) stillgelegt hatte, haben sich nun auch die Juristen eingeschaltet. Fachleute des KKL und der Alstom, die mit der Untersuchung der beschädigten Generatorteile betraut worden waren, führen Gespräche mit Vertretern der National-Versicherungs-Gesellschaft. Die Frage der Versicherungsdeckung scheint komplizierter zu sein, als es die Verantwortlichen des KKL in den ersten Wochen nach dem Schadenfall darstellten. Bisher war man davon ausgegangen, dass der «Maschinenbruch» bei einem Selbstbehalt von 500 000 Franken versichert ist.
Verflechtung verschiedener Faktoren Inzwischen ist zwar einerseits bekannt, wie es am 28. März im Kernkraftwerk zu einem Erdschluss am Generator kam: Eine lokale Erhitzung in einer der beiden sogenannten Pressplatten des Generators führte dazu, dass diese teilweise aufschmolz. Die Leistung des Kraftwerks wurde darauf automatisch auf rund 25 Prozent reduziert und schliesslich ganz heruntergefahren. Noch weiss man andererseits aber nicht mit Sicherheit, weshalb es zu einer solchen tiefen Aufschmelzung innerhalb der Pressplatte kommen konnte. Auch die Frage, weshalb sich der Schaden an der Pressplatte so schnell entwickelte - bei der letzten umfassenden Inspektion im August 2004 waren noch keine Anzeichen dafür sichtbar -, bleibt offen.
Nach einer ersten Besprechung der Untersuchungsresultate zwischen den Verantwortlichen des KKL und den Untersuchungsleitern der Alstom am 3. Mai hat sich laut Leo Erne, dem Leiter Information des Kraftwerks Leibstadt, aber eine These herauskristallisiert. Demnach führte eine Verflechtung von vielen verschiedenen Faktoren zum Schaden. Einzelheiten dazu will die Kraftwerksleitung jedoch nicht bekannt geben, bevor der detaillierte Bericht der Alstom-Fachleute sowie eine Einschätzung der Versicherung vorliegen. Die Zurückhaltung der Verantwortlichen des KKL bei der Bekanntgabe weiterer Resultate der Untersuchungen deutet darauf hin, dass um jeden Preis der Eindruck vermieden werden soll, eine Fahrlässigkeit habe zum Ausfall des Generators geführt. Das KKL steht zurzeit unter erhöhtem Druck, unter anderem auch deshalb, weil sich am 23. April während Materialinspektionen ein meldepflichtiger Störfall ereignete.
Rasch die richtigen Lehren ziehen Ein Brennelement war eingesetzt worden, während zwei Steuerstäbe noch ausgefahren waren. Wie Ulrich Schmocker, der Direktor der Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK), auf Anfrage erklärte, war der Fehler bei einem Routineablauf in diesem konkreten Fall nicht gefährlich, es gehe jedoch ums Prinzip. Deshalb werde nun darauf geachtet, dass daraus rasch die richtigen Lehren gezogen würden. In Bezug auf den Schaden am Generator vom 28. März wies Schmocker aber darauf hin, dass die Betriebssysteme des nichtnuklearen Bereichs eines Atomkraftwerks keinen Vorschriften der HSK unterlägen.
Die Vermutung, dass ein Materialfehler an der Pressplatte beim Generatorschaden mit eine Rolle spielte, scheint sich indes zu bestätigen. Der Kraftwerksleiter Mario Schönenberger hatte bereits Ende April eine solche Möglichkeit in Betracht gezogen. Im Gespräch mit der NZZ erklärte er damals, dass zum Beispiel kleine Fehlerstellen in der Pressplatte - die aus abwechselnd mit Kunststoffisolationen aufeinander geschichteten etwa 0,5 Millimeter dünnen Eisenblechen zusammengesetzt ist - zu der Erhitzung hätten führen können. Solche Fehler lagen möglicherweise zur Zeit der Herstellung innerhalb der Fertigungstoleranzen, während sie heute mit modernen Prüfmethoden erkannt und vermieden werden könnten.
Eine Folge der Leistungssteigerung? Als der Generator 1980 von der BBC als Einzelstück hergestellt wurde, konnten laut Schönenberger die dünnen Eisenbleche noch nicht, wie es heute üblich ist, mit Lasern gefräst werden. Sie wurden vorgestanzt und anschliessend auf einer grossen Drehbank in die richtige Form gebracht - ein viel fehleranfälligeres Herstellungsverfahren. Um zu klären, ob bei der Pressplatte tatsächlich ein Fertigungsfehler vorlag, wurde die ausgebaute Pressplatte Ende April zur Alstom, der heutigen Nachfolgefirma des Kraftwerkgeschäfts der BBC, geliefert, wo sie von Fachleuten untersucht wird. Die Alstom stellt zurzeit auch die Pressplatten her, welche die beschädigte Platte sowie vorsorglich auch gleich die zweite, noch intakte Platte ersetzen sollen.
Eine zweiter möglicher Faktor könnte eine unzureichende Kühlung des Generators gewesen sein. Im Zuge der Leistungssteigerung der vergangenen Jahre wurde zwar laut Schönenberger die Wasserstoff-Kühlung des Generators an die neuen Bedingungen angepasst. Ob diese Massnahmen allerdings genügten, ist unklar. Ausserdem, ergänzte Erne nach der Sitzung vom 3. Mai, könnte auch die Netzbelastung über Ostern eine gewisse Rolle gespielt haben sowie die Fahrweise des Generators.
Der Ausfall des auf eine Betriebszeit von vierzig Jahren ausgelegten Generators habe, so betont Schönenberger, die Betreiber auf dem falschen Fuss erwischt, denn man sei bisher immer davon ausgegangen, dass allenfalls die Wicklung bald einmal ersetzt werden müsse, nicht aber der gesamte Generator. Zwar war bei der Planung des Kraftwerks vor 1980 der Kauf eines Reservegenerators erwogen, dann aber verworfen worden. Bis der Generator wiederhergestellt, komplett eingebaut und betriebsbereit ist, dürfte es voraussichtlich September werden.
|