Als erstes EU-Land hat Deutschland die Richtlinie zur nachhaltigen Biospritproduktion umgesetzt. Doch plötzlich ist das Siegel nichts mehr wert, die Ernte unverkäuflich. Die Folgen sind dramatisch. Von Daniel Wetzel
Die Sonne scheint, bald blüht der Raps. Doch diesmal wird der Anblick der gelb leuchtenden Felder bei den deutschen Rapsbauern, Ölmühlenbetreibern und Biospritproduzenten keine Freude auslösen. Stattdessen herrschen Sorge, Frust und Ärger.
Mit dem Kreuzblütengewächs ist in diesem Jahr kaum Geld zu machen. Die deutsche Biodieselproduktion aus Raps dürfte in den kommenden Monaten fast zum Erliegen kommen. Und schuld daran ist die EU-Kommission.
Es ist die Geschichte eines Sprinters, der vorausprescht und erst hinter der Ziellinie erfährt, dass er schon mit dem Startschuss disqualifiziert worden war.
Der Schnellstarter ist die deutsche Biokraftstoffindustrie. Die Europäische Union hatte es der Branche schon 2009 zur Pflicht gemacht, nur noch nachhaltig produzierte Biomasse zu verwenden.
Von der Aussaat bis zum Tank sollten Landwirte, Agrarhändler, Ölmühlenbetreiber und Biokraftstoffproduzenten nachweisen können, dass für den Biosprit kein Regenwald gerodet, kein Grünland umgebrochen und kein Moor trockengelegt wurde: Ohne Nachhaltigkeitszertifikat sollte nichts mehr auf den europäischen Markt dürfen.
Weiße Weste für Europa
Biosprit, so das Ziel der Nachhaltigkeitsverordnung, sollte helfen, die EU-Klimaschutzziele ohne unerwünschte Nebenwirkungen zu erfüllen. Insbesondere billige Palmöl-Importe aus Indonesien und Malaysia waren den EU-Beamten suspekt: Sie sollten nur unter strengen Auflagen möglich sein. Für die weiße Weste der europäischen Klimaschützer sollten keine Regenwälder und Orang-Utan-Reservate dran glauben müssen.
Deutschland wäre nicht das Land der Energiewende, wenn es sich die Erfüllung der EU-Wünsche nicht sofort zur Herzensangelegenheit gemacht hätte. Unverzüglich gingen Behörden und Agrarverbände daran, die EU-Verordnung in nationales Recht umzusetzen: Die deutschen Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme ISCC-DE und REDcert-DE wurden noch 2010 von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung offiziell anerkannt und sofort in ganz Deutschland genutzt.
Prüfer zogen über die Lande und kontrollierten in Stichproben die Produktionsbedingungen der Betriebe. Allein mehr als 1000 Agrarfirmen erwarben das REDcert-DE-Zertifikat – bei Kosten von mehreren Tausend Euro pro Betrieb. Bis weit nach Osteuropa hinein orientieren sich Rohstofflieferanten seither am deutschen Ökosiegel.
Gesamte Rapsernte gilt nicht als nachhaltig
Zwar hatte Deutschland die europäische Richtlinie als erstes EU-Land überhaupt umgesetzt, während Länder wie Polen, Spanien oder Frankreich lange Zeit überhaupt keine Anstrengungen unternahmen.
Doch wenn die deutsche Agrarbranche darauf gehofft hatte, für ihre Vorreiterrolle die Anerkennung der EU-Kommission einzuheimsen, wurde sie brutal enttäuscht: Mitten in der Rapsernte 2012 ließ die EU-Kommission die völlig konsternierten Unternehmen wissen, dass es nun ein europäisches Zertifikat gebe und der deutsche Nachhaltigkeitsnachweis damit ab sofort nicht mehr anerkannt wird.
Die gesamte deutsche Rapsernte 2012 gilt der EU nun auf einmal als nicht nachhaltig produziert – und ist damit außerhalb Deutschlands kaum noch verkäuflich. Bei den Ausschreibungsrunden der Mineralölkonzerne, die regelmäßig zu Jahresbeginn ihren Biosprit fürs ganze Jahr im Voraus einkaufen, gingen die deutschen Hersteller leer aus.
Denn die Kraftstoffmultis haben kein Interesse, E5, E10 oder Biodiesel ohne Nachhaltigkeitsnachweis auf den Markt zu bringen, der sich anderswo auf keine nationale Bio-Quote anrechnen ließe.
Dramatische Folgen für die Branche
Die Folgen für die ohnehin hart bedrängte deutsche Biospritbranche sind dramatisch – und für den Klimaschutz womöglich auch. "Unsere Produktionsanlage in Mecklenburg-Vorpommern steht in diesem Sommer voraussichtlich komplett still", sagt Robert Figgener, Geschäftsführer des Lünener Biodieselherstellers Ecomotion GmbH. "Ich habe in diesem Jahr so gut wie nichts verkauft."
Ähnlich klingt es beim führenden konzernunabhängigen Biokraftstoffproduzenten Verbio AG in Sachsen-Anhalt, der rund zwei Drittel seines Umsatzes mit Biodiesel erwirtschaftet: Dort ist die monatliche Verarbeitungsmenge auf gerade noch ein Sechstel der üblichen Menge eingebrochen. "Das zwingt uns, den Rohstoff Rapsöl durch Palmöl zu ersetzen", schimpft Verbio-Chef Claus Sauter.
Die Bundesregierung ist alarmiert: "Die deutsche Wirtschaft ist nun gezwungen, nachhaltig zertifizierte Ware in Märkten abzusetzen, die keine Zertifizierung verlangen", erklärte das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz: "Dies führt bei den Betrieben zu negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, da Preisabschläge hingenommen werden müssen."
Betriebe streiken
Petra Sprick, Geschäftsführerin des Verbandes der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland, spricht von Preisabschlägen zwischen drei und fünf Euro pro Tonne, die Hersteller akzeptieren müssen, weil sie ihre Ware nur noch in wenigen Ländern loswerden. "Das geht direkt vom Gewinn ab."
Zudem drohten weitere Kosten: Die Betriebe müssen sich zusätzlich für mehrere Tausend Euro das EU-Zertifikat besorgen, damit der Ernte 2013 nicht dasselbe Schicksal droht. Diese Aussicht treibt Agrarhändler auf die Barrikaden: "Vor allem viele kleine Landhändler empfinden das als reine Schikane", sagt Sprick. "Wir hören von immer mehr Betrieben, die eine neue Zertifizierung nicht mehr mitmachen wollen, die streiken."
Seit der unseligen Teller-statt-Tank-Diskussion hat die deutsche Biospritbranche zwar viel politischen Rückhalt verloren. Dennoch bemühen sich das Bundeslandwirtschaftsministerium und das Umweltministerium nach Kräften, auf die EU-Kommission einzuwirken. "Große Mengen aus der Ernte 2012, deren Nachhaltigkeit durch nationale Zertifizierungssysteme dokumentiert ist, können zurzeit nicht EU-weit gehandelt werden", klagten die Staatssekretäre Robert Kloos und Jürgen Becker schon Anfang Januar in einem Schreiben an die EU-Generaldirektion Energie. "Diese Situation schränkt den Binnenmarkt erheblich ein, gefährdet die Akzeptanz der deutschen Nachhaltigkeitsbemühungen und führt zu negativen Auswirkungen auf die betroffenen Wirtschaftsbeteiligungen in Deutschland."
Die Staatssekretäre fordern von der EU-Kommission zumindest eine Übergangslösung. Immerhin, so heißt es in dem Schreiben, war für die deutschen Rapsbauern und Weiterverarbeiter die Umstellung auf das neue EU-Zertifikat "nahezu unmöglich, weil der Beschluss über die Anerkennung von REDcert erst am 15. August 2012 und damit mitten in der Erntesaison in Kraft trat".
Strafe für umweltpolitische Vorreiterrolle?
Diese Worte trafen in Brüssel jedoch auf taube Ohren: Der Brite Philip Lowe, Generaldirektor unter dem deutschen EU-Energiekommissar Günther Oettinger, lehnte es ab, für die Musterschüler aus der Bundesrepublik ein Auge zuzudrücken: Es sei "zweifelhaft, ob die Situation eine Ausnahme rechtfertigt".
Es sei ja ausreichend zertifizierte Ware verfügbar, um den Bedarf an Rohstoffen zu decken, erklärte Lowe: Es stehe den Mitgliedsstaaten frei, "zertifizierte Ware aus nationalen Systemen anderer Mitgliedstaaten als nachhaltig anzuerkennen und so im Falle von Engpässen Abhilfe zu schaffen".
Schließlich wüssten die deutschen Staatssekretäre ja, dass "die Frage der Nachhaltigkeit von Biokraftstoffen ein sehr sensibles Thema ist", so Lowe: "Deshalb muss die Kommission vermeiden, dass der Eindruck entsteht, sie ließe fragwürdige Ansätze bei der Umsetzung der Richtlinie zu."
"Fragwürdige Ansätze?" Deutsche Biosprithersteller reagieren mit Zorn auf solche Vorwürfe. Offenbar solle Deutschland für seine umweltpolitische Vorreiterrolle bestraft werden, schimpfen Branchenvertreter. Der Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB) gab bereits ein Rechtsgutachten bei der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer in Auftrag.
Ergebnis: Es stelle eine "ungerechtfertigte Ungleichbehandlung" dar, wenn EU-Staaten benachteiligt sind, nur weil sie eine EU-Richtlinie zügig umgesetzt haben. Die Nichtanerkennung der deutschen Zertifizierung sei "eine fehlerhafte Ermessensausübung durch die EU-Kommission". Deutschland eine Übergangsregelung zu verweigern sei sogar "rechtswidrig". Das EU-Zertifikat unterscheide sich nur in wenigen, unbedeutenden Punkten von dem in Deutschland verwendeten Nachhaltigkeitsnachweis.
Ob sich die EU-Kommission davon beeindrucken lässt, ist offen. Marktbeobachter glauben, dass die Preise für EU-zertifizierte Biomasse nun steigen werden, weil die deutschen Mengen am Markt fehlen. Damit werde es für die Weiterverarbeiter noch attraktiver, statt des deutschen Rapses das ohnehin billigere Palmöl aus Übersee einzusetzen. Die Tanker von den Plantagen auf Borneo und Sumatra trügen zwar meist einen amtlichen Nachhaltigkeitsnachweis. Doch für eine Überprüfung der Nachhaltigkeitszertifikate aus den großen asiatischen Lieferländern habe die EU-Kommission keine Kapazitäten.
Quelle: http://www.welt.de/wirtschaft/energie/...seinem-Biodiesel-sitzen.html
24hs
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