Lieber zur Armee als ohne Job
Von Ute Müller 26. Januar 2009, 02:22 Uhr
Spanien droht neue Massenarbeitslosigkeit - Die Regierung Zapatero hat für neue Konjunkturprogramme keinen Spielraum mehr
Madrid - Die Nachricht klang eigentlich harmlos.
Die spanische Armee kann sich vor Bewerbern kaum mehr retten. Auf 20 000 Stellen kommen mehr als 80 000 Bewerber. Einen so hohen Andrang gab es seit der Abschaffung der Wehrpflicht in Spanien vor sieben Jahren nicht mehr, meldeten die Zeitungen vor kurzem. Doch dahinter verbirgt sich eine bittere Realität. Die Rezession hat auf der Iberischen Halbinsel in den vergangenen Monaten gnadenlos gewütet, und Neueinstellungen gibt es praktisch nicht mehr. Das bekommen vor allem die jungen Leute zu spüren. Mehr als eine Million Menschen unter 30 Jahren sind mittlerweile arbeitslos.
Für Oscar, einen Schweißer, der jeden Tag mehrere Stunden vor dem Arbeitsamt Schlage steht, ist die Armee keine Option. Denn mit 31 Jahren ist er zu alt, um bei den Streitkräften unterzukommen, die Altersobergrenze liegt bei 29 Jahren. Das Bauunternehmen, bei dem er elf Jahre lang beschäftigt war, setzte ihn zu Jahresbeginn frei: "Ich bekomme zwölf Monate lang Arbeitslosengeld, doch was kommt dann" fragt er besorgt. Am Bau wird er keine Stelle mehr finden, denn nach dem Boom der letzten Jahre ist jetzt erst einmal eine lange Durststrecke angesagt.
"Durch den Schrumpfprozess auf dem Bausektor wird Spanien länger als die EU-Partner brauchen, um aus dem Konjunkturtal herauszukommen", warnt EU-Währungskommissar Joaquín Almunia. Die Brüsseler Kommission sieht die kommenden Jahre rabenschwarz für die viertgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. So werde die Wirtschaft im Gegensatz zu den Nachbarländern auch 2010 noch nicht auf den Wachstumspfad zurückfinden. Die Arbeitslosigkeit könne bis dahin auf 18,7 Prozent steigen.
Schon jetzt hat das Land 3,2 Millionen Arbeitslose, mehr als eine Million käme dann noch hinzu. Jeder fünfte Spanier im arbeitsfähigen Alter stünde damit ohne Job da. Doch Spaniens Premier José Luis Rodríguez Zapatero leugnete lange Zeit den Ernst der Lage. Noch im Herbst hatte er die Opposition, die vor der Krise warnte, als "Vaterlandsverräter" bezeichnet. Spaniens Wirtschaft stünde so solide da wie nie zuvor. Doch das Platzen der Immobilienblase und der tiefe Fall der Bauwirtschaft, die in den vergangenen Jahren 30 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) beisteuerte, haben die gesamte Wirtschaft des Mittelmeerlandes ins Wanken gebracht.
"So etwas haben wir noch nie erlebt, das ist die schlimmste Krise in der jüngeren spanischen Geschichte", sagt Wirtschafts- und Finanzminister Pedro Solbes. Rund 60 Mrd. Euro hat die Regierung bereits in die Wirtschaft gepumpt, doch die Konjunkturpakete sind bislang wirkungslos verpufft. "Wir haben den Spielraum, der uns zur Verfügung stand, völlig ausgeschöpft", gab Solbes nun entnervt zu.
Angesichts der düsteren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt mutet der von der sozialistischen Regierung an den Tag gelegte Aktionismus fast schon verzweifelt an. Zapatero forderte die Spanier, die eine feste Arbeitsstelle haben, auf, in so schweren Zeiten keinen Konsumverzicht zu üben. Sein Industrieminister Miguel Sebastián forderte gar einen Teilboykott ausländischer Waren, um spanische Arbeitsplätze zu retten.
Auch beim jüngsten Konjunkturprogramm ist kein klares Konzept zu erkennen. So erhalten die hoch verschuldeten Kommunen bis März acht Mrd. Euro für Infrastrukturprojekte. Zapatero hofft, damit 250 000 Arbeitsplätze zu schaffen. Jetzt werden neue Friedhöfe, Skateboard-Bahnen, Fitnessstudios und Tennisplätze gebaut, oder Fußballplätze werden mit Kunstrasen ausgestattet. Mit solchen Aktionen würden nur Steuergelder verschwendet, schimpft die Tageszeitung "El Mundo". Sie rechnet vor, dass die ersten 85 000 Arbeitsplätze mit fast 37 000 Euro pro Stelle subventioniert werden, ohne dass sich nachhaltig etwas an der Infrastruktur des Landes bessere.
Doch größere Projekte kann die Regierung derzeit kaum in Angriff nehmen. Bis zum Jahr 2011 wird die Staatsverschuldung wegen rückläufiger Steuereinnahmen und steigender Sozialausgaben auf bis zu 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) klettern, was einem Anstieg von 200 Mrd. Euro entspricht.
Zudem wird es für Spanien ab sofort teurer, sich neues Geld an den internationalen Finanzmärkten zu beschaffen. Denn zu Wochenbeginn stufte die Ratingagentur Standard & Poors die Bonitätsnote der Iberer für langfristige Staatsanleihen vom Bestwert "AAA" auf "AA+" herunter und begründete die Entscheidung mit den strukturellen Schwächen der Wirtschaft.
Die Regierung forderte die Banken nun auf, ihren Beitrag zu leisten, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Noch in diesem Monat sollen die Chefs der führenden spanischen Banken bei Zapatero zum Rapport antreten. Bei dieser Gelegenheit wird er sie nachdrücklich auffordern, die privaten Haushalte mit frischem Geld zu versorgen, nachdem die Regierung die Finanzinstitute bereits mit zusätzlicher Liquidität ausgestattet hat.
Doch die Banken stecken selbst in der Klemme. In Spanien vergeht fast keine Woche, in der nicht irgendein Immobilien- oder Baukonzern Pleite geht. Bereits Ende November summierte sich die Zahl der faulen Kredite auf 56 Mrd. Euro, was einer Steigerung von 300 Prozent binnen Jahresfrist entspricht. Jaime Guardiola, Vorstandsvorsitzender bei Banco Sabadell, immerhin Spaniens viertgrößte Bank, rechnet damit, dass das Volumen der riskanten Kredite bis auf100 Mrd. Euro ansteigen wird.
Mittlerweile hat die Krise alle Sektoren mit voller Wucht erfasst. Die Zahl der Kfz-Neuzulassungen ist zum Jahresende um die Hälfte gesunken, bei den Autobauern und zahlreichen Zulieferern müssen 60 000 Beschäftigte kurzarbeiten. Im Handel gibt es zweistellige Umsatzeinbrüche, die Industrieproduktion verzeichnete im November einen historischen Rückgang von21 Prozent. Die Auftragsbestände fielen sogar um 28 Prozent, und Analysten befürchten, dass der massive Arbeitsplatzabbau mit erneutem Produktivitätsverlust einhergehen wird. Mittlerweile stöhnt sogar die letzte Bastion der spanischen Wirtschaft, der Tourismus, unter der Krise: Im vergangenen Jahr kamen 1,7 Millionen Besucher weniger als 2007.
Angesichts der Misere erwarten die Experten der Schweizer UBS eine Erholung der spanischen Wirtschaft erst Ende 2010. Solange kann sich Oscar, der Schweißer, nicht alleine über Wasser halten. Er trägt es mit Galgenhumor. "Ich muss eben wieder zu meinen Eltern ziehen und ihnen auf der Tasche liegen."
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