Ich sitze oft zwischen den Stühlen. Auf beiden Seiten wird viel Unsinn erzählt... Ich behaupte nicht, dass ich alle Antworten kenne, aber ich weiß wahrscheinlich tatsächlich in der Summe mehr über Wirecard als jeder andere Mensch auf der Welt. Mehr als Markus Braun definitiv :)
Ich bin es leid, alles tausend Mal zu wiederholen. Ich verfüge über beste Kontakte im Wirecardkosmos, aber ich dringe mit meinen Theorien nicht durch. Diese Situation kenne ich, da ich Wirecard seit über 20 Jahren (wenn auch mit Pausen) intensiv begleitet habe. Ich habe über viele Jahre jede einzelne Pressemitteilung von Iris gelesen und dazu recherchiert. Ich habe 2008 ein 100-Seiten-Dossier für eine große internationale Wirtschaftdetektei geschrieben. Ich wurde 2010 von Gomopa kontaktiert, um vorab über deren Veröffentlichung zu sprechen (von der ich nachdrücklich abgeraten habe).
2016 wurde ich zu einer Art "Pressesprecher" von Zatarra. Ich habe jeden mir bekannten Kritiker der Wirecard kontaktiert und mich intensiv ausgetauscht. Ich werde im PUA erwähnt und in vielen Büchern zur Wirecard, es gibt einen Film über mich und trotzdem bin ich im Moment hilflos. Das ist unbeschreiblich frustrierend. Aber ich gebe nicht auf!
Nun ein paar Antworten:
"Die 1,9 Mrd waren nie da!"
Falsch. Was sind denn "die" 1,9 Mrd? Das ist Geld, das angeblich auf Treuhandkonten lag. Dort war es nie, das ist richtig! Historisch betrachtet sind die Treuhandkonten eine Antwort auf die Kritik von Thomas Borgwerth, der festgestellt hat, dass Wirecard im GB 2015 etwa 250 Millionen ? an Forderungen stehen hat, denen kein nachvollziehbares Geschäft gegenübersteht.
Die Frage, ob es ein Geschäft gab, wird also nicht mit dem Treuhandkonto zu klären sein, sondern mit der Klärung dieser Forderungen. Sie standen entweder nicht einfach so in den Büchern, weil es dieses Geschäft "eigentlich" nicht geben durfte, oder, weil es dieses Geschäft nie gab oder aus einer Mischung dieser beiden Gründe.
Oliver Bellenhaus wurde nach meiner Einschätzung von der Staatsanwaltschaft gedrängt, eine Aussage zu machen, dass es kein Geschäft gab. Darauf aufbauend hat er eine Geschichte erzählt, die aus Wahrheiten bestand, die entsprechend der gewünschten Aussage verwoben wurden mit Behauptungen und Lügen. Neben der Motivation, der StA etwas zu liefern, gab es auch die Motivation, seine eigene Tatbeteiligung zu vertuschen. Er hat meines Erachtens auch Aussagen zu Dingen gemacht, von denen er gar keine Ahnung hatte. Das macht seine Aussage insgesamt wertlos.
Die zweite Stütze der Aussage, dass es kein Geschäft gab, ist Michael jaffé. Ich glaube, dazu habe ich genug gesagt...
"Wer heute noch glaubt, es hätte sie jemals gegeben, hat den Schuss nicht gehört." Wer heute noch glaubt, dass es kein Geschäft gab, steht immer noch im Nebel der Rauchbomben des Kronzeugen und des Insolvenzverwalters... Auf jeden Fall ist objektiv unstrittig, dass Geld im System war. Viel Geld. Leider ist auch viel Geld geflossen, beispielsweise für den kauf von Portfolios oder den kauf von teilweise wertlosen Firmen. Das macht eine genaue Analyse schwierig.
"Warum? Weil es einfach zu plausibilieren ist. Um einen Nettoerlös von 1,9 Mrd. Euro zu erzielen, hätten in Asien Finanztransaktionen im Wert von mehreren 100 Mrd. Euro mit Handelspartner abgewickelt werden müssen. Das sind unglaubliche Umsätze, für die nur Großkonzerne in Frage kommen."
Das ist mehrfach falsch! Gehen wir mal davon aus, dass es tatsächlich diese 1,9 Mrd Nettoerlöse sein müssen. Ray Akhavan hat für die Abwicklung von 125 Mio Cannabis-Artikeln in den USA fast 14 Mio kassiert. Das sind 12%. Das war noch nicht einmal ein besonders heikles Geschäft für den high risk-Bereich. Es gibt noch weniger heikles high risk, so mit 5-6% und es gibt noch heikleres mit höheren Raten. So an die 8% Brutto würde ich aber für relativ realistisch halten. Laut einer Analyse von Borgwerth erwirtschaftete Wirecard laut eigenen Angaben eine Nettomarge von 0,72% - das Vierfache von Adyen! Es ist leider nicht klar, wie man auf die realen Margen des TPA-Geschäftes kommen soll. Dass Wirecard Geschäfte mit angeblichen Dritten macht, die in Wahrheit "zur Familie" gehören, ist nicht neu. Wie das real abgerechnet bzw. verteilt wurde, weiß leider keiner. Ich kann also nicht sagen, wieviel geschäft nötig war, um 1,9 Mrd Gewinn zu machen, aber auf gar keinen fall 100 Milliarden, sondern viel viel weniger! 40 Milliarden? 50 Milliarden? Mehrere der größten Datingportale weltweit rechneten über Wirecard ab (dating.com, Friedfinder, Avid Media, usw), Wirecard war ein big player im Bereich Gambling, Porno, Binary Options usw usf Ob unter dem TPA auch "klassisches" TPA war, also tatsächlich Geschäfte in Asien oder anderswo, wo man keine Lizenz hatte, kann ich nicht sagen. Die Drittpartner waren jedenfalls verbunden mit großen Namen in der Paymentwelt wie James Bergman oder O'Sullivan (Earthport!). Die Plausibilität der Annahme, dass es Geschäfte gab, ist nach meiner Überzeugung höher als die gegenthese, allein deshalb, weil irgendwoher das Geld für Marsaleks Lebensstil oder Bellenhaus-Millionen kommen musste. Wenn Wirecard keine Gewinne gehabt hätte und nur von Krediten gelebt hätte, wäre ein 6000-Mann-Unternehmen nicht möglich gewesen, wenn gleichzeitig allein Marsalek 500Mio bis 1 Mrd rausgezogen haben soll. "Hätte es diese gegeben, könnte dies anhand von Verträgen mit Handelspartnern leicht nachgewiesen werden. Weder existieren aber (verbindliche) Verträge, noch haben mögliche genannte Handelspartner überhaupt so hohe Umsätze erzielt, dass diese Erlöse möglich gewesen wären." Quelle? Im Fall Eaze/Akhavan wird Wirecard in den Gerichtsdokumenten erwähnt, bei Binary Options war Wirecard involviert, bei Gambling auch - zu nichts davon findest Du Verträge und doch war es so. Und was die kleinen Firmen angeht: Die Bluemay, eine Firma des israelischen Gambling-Clans Raviv, hatte 2013 fast 40 Mio auf Konten der Wirecard liegen.
In einem Bericht der britischen Insolvenzbehörden hieß es: "Failure to maintain, preserve and/or deliver up accounting records: The Company?s abbreviated accounts for the years-ended 30 June 2011 and 30 June 2012 show profits of £478 and £833 respectively. However, a Company account at Wirecard Bank AG had total credits of ?36,259,489 between 01 January 2011 and 18 March 2013." "Wer diese Fragen bei Wirecard nicht gestellt hat, wollte den Betrug offenbar nicht wahrhaben oder ist ein Volltrottel."
Dass der Betrug bei Wirecard erkennbar war, ist die eine Sache. Wie er aber genau aussah, ist eine andere Sache...
"Von EY rede ich nicht mehr. Ich hatte damals gekauft, weil ich mich auf testierte Abschlüsse verlassen hatte und auf den Bestand der wichtigen Aktive vertraute."
Wie jetzt? Wer den Betrug nicht sah, ist ein Volltrottel, aber Du hast Dich auf EY verlassen? Das Unfassbare war: Dass da was nicht stimmt, war absolut klar, immer schon. Gleichzeitig sagten alle Behörden immer schon, dass da nichts ist...
Man hätte zB schauen können, was Zatarra 2016 geschrieben hat über 2010. Dann hätte man festgestellt: In 2010 war was nicht in Ordnung, definitiv - aber BaFin, StA und Ey haben alles durchgewunken. Das konnte nur bedeuten, dass die Tatsache, dass BaFin, StA und EY 2019 nichts machten, keine Garantie sein KANN dafür, dass da nichts IST! Und was das war, was da sein KÖNNTE, war im Oktober 2019 klar: große Teile der Gewinne fraglich...
Man hätte natürlich spekulieren können, dass auch 2020 wieder nichts passiert und EY testiert. Ich hielt das noch am 18.06.20 für möglich.
Es hätte also sein können, dass Wirecard TROTZ BETRUG durchkommt, weil (warum auch immer) BaFin, StA und EY nichts aufdecken wollen. Das wäre der investment case bei Wirecard gewesen. Aber nicht, dass Wirecard sauber war. Das war eigentlich ausgeschlossen.
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