Der ewige Streit um die Peak-Oil-Theorievon Tobias Bayer (Frankfurt)Der Ölpreis ist auf Rekordjagd. Einige Marktteilnehmer fürchten, dass der Höhepunkt der Förderung bald überschritten sein wird. Doch die Peak-Theorie ist umstritten - nicht zuletzt, weil es immer noch keine einheitliche Definition von Reserven gibt.Kjell Aleklett ist ein gefragter Mann. Der Physiker und Astronom an der Universität im schwedischen Uppsala besucht am Dienstag in Leipzig bereits die vierte Konferenz in zwei Wochen. Die These, die er vertritt, stößt derzeit auf so viel Nachhall wie selten zuvor: "Die Ölproduktion hat ihren Höhepunkt erreicht. In ein paar Jahren wird sie zurückgehen", sagt Aleklett, der Präsident der Vereinigung "Association for the study of Peak Oil & Gas" (ASPO) ist, FTD-Online. "Peak Oil ist keine Theorie. Es ist die Wahrheit." Der Ölpreis notiert derzeit über 130 $. Auf Jahressicht hat er sich mehr als verdoppelt. Als Ursache für die Preisrally genannt wird die Angst vor einem nicht ausreichenden Angebot. Das Wort "Peak Oil" macht wieder die Runde. Die Grundidee: Der Welt geht das Öl aus, der Höhepunkt der Förderung - "Peak" - steht kurz bevor. Mehrere Nachrichten fügen sich ins Bild. Starken Widerhall am Markt fand beispielsweise die Prognose der US-Investmentbank Goldman Sachs, deren Experten auf Sicht der kommenden zwei Jahre einen Preis von 150 bis 200 $ für möglich halten. Zudem kommt die alternative Energy Watch Group in einer in der vergangenen Woche vorgestellten Studie zu dem Ergebnis, dass die weltweite Ölförderung mit großer Wahrscheinlichkeit das Maximum bereits überschritten hat und die Ölverfügbarkeit bis zum Jahr 2030 auf etwa die Hälfte zurückgehen wird. Die Internationale Energie Agentur (IEA), die die Interessen der großen Ölverbraucher vertritt, überprüft derzeit die großen Ölfelder. Erwartet wird, dass die Behörde ihre langfristige Förderprognose von 116 Millionen Barrel (je 159 Liter) täglich deutlich kürzt. Vorgestellt wird die Revision im November. "Die Peak-Oil-Theorie flammt wieder auf und lockt Käufer an", sagte Eugen Weinberg, Rohstoffanalyst der Commerzbank. Alle Jahre wieder: Untergangsszenarien für die ÖlwirtschaftAufgestellt hat die Theorie der Geologe Marion King Hubbert in den 50er-Jahren. Hubbert und sein Schüler Colin Campbell, der die ASPO gegründet hat, behaupten, dass das Ölzeitalter bald zu Ende ist. Hubberts Modell ist konzeptionell einfach: Es geht erstens davon aus, dass die geologische Struktur der Erde weitgehend bekannt und umfassend erforscht ist. Zweitens wird unterstellt, dass die Ölproduktion dem Zentralen Grenzwertsatz folgt. Das bedeutet: Sie ist normalverteilt, ihr Verlauf ist glockenförmig. Sie steigt stark an, bleibt für kurze Zeit konstant und fällt dann ebenso stark wieder ab. In den vergangenen 20 Jahren haben Geologen mehrmals auf eine unmittelbar bevorstehende Ölknappheit hingewiesen. All diese Prognosen mussten aber im Nachhinein revidiert werden. Für Aufsehen sorgte Hubbert-Schüler Campbell, der den Peak auf 1989 datierte. ASPO-Präsident Aleklett lässt sich trotz der Fehleinschätzungen der Vergangenheit nicht von seiner Meinung abbringen: "Die großen Ölfelder sind müde. Ihr Ausstoß neigt sich dem Ende zu. Seit Jahren stagniert die weltweite Produktion", sagt Aleklett, der bald mit einem Rückgang der weltweiten Förderung um 3 Millionen Barrel pro Jahr rechnet. Technik und Politik werden bei der Peak-Oil-Theorie ausgeblendetMichael Lynch, Präsident des Beratungshauses Strategic Energy & Economic Research (SEER), hält von den Untergangsszenarien nichts. "Das kommt alle Jahre wieder. Das ist eine Theorie, die eine zyklische Popularität genießt", sagt Lynch FTD-Online. Bereits 1919 verbreitete das geologische Institut der USA Endzeitstimmung, indem es behauptete, die Erdölvorräte der Vereinigten Staaten seien in neun Jahren aufgebraucht. US-Präsident Calvin Coolidge begegnete der Hysterie, indem er 1924 das "Federal Oil Conservation Board" einrichtete. Dessen Aufgabe sollte der Schütz der nationalen Vorkommen sein. In den 70er-Jahren wiederholte sich die Geschichte. Diesmal beschwor der Energieminister James D. Schlesinger das Ende des Ölzeitalters herauf. Eine Folge war der Aufbau der strategischen Reserven, die heute sich auf über 700 Millionen Barrel belaufen. Jetzt feiern die Peak-Oil-Theoretiker ein Comeback. Aus Lynchs Sicht sprechen mehrere Argumente gegen den bald bevorstehenden Peak. "Einerseits wird der technische Fortschritt nicht ausreichend beachtet. Dank Fortschritten in der Bohrtechnik beispielsweise ist der Rückgang der Förderung aus vielen Feldern über die Jahre kleiner geworden", gibt Lynch zu bedenken. "Dass die Förderung stagniert, hat andererseits viel mit politischen und nicht mit geologischen Faktoren zu tun. Viele große Vorkommen befinden sich in Ländern, zu denen die internationalen Ölunternehmen keinen Zugang haben", sagt Lynch. Und in diesen Ländern halten sich die staatlichen Ölfirmen mit Investitionen zurück. Beispiel Venezuela. Präsident Hugo Chavez zweigt einen großen Teil der Erlöse aus Ölverkäufen für seine Sozialpolitik ab. Eine dieses Jahr veröffentlichte Studie des Beratungshauses Cambridge Energy Research Associates (Cera), die 811 Ölfelder untersucht hat, stellt sich der Peak-Oil-Theorie entgegen. Die Schlussfolgerung: Der Förderrückgang aus bestehenden Feldern ("Decline Rate") ist mit 4,5 Prozent deutlich geringer als gedacht. Zudem haben nur 41 Prozent der Felder ihren Zenit überschritten. "Einige der Peak-Oil-Vertreter berufen sich in ihren pessimistischen Szenarien auf sehr hohe Rückgangraten. Unsere Analyse stärkt das Vertrauen in die zukünftige Verfügbarkeit von Öl", sagt Peter Jackson, der die Studie durchgeführt hat. "Das bessere Verständnis von Riesenfeldern und ihren Eigenschaften hat dazu geführt, dass besser mit den Vorkommen umgegangen wird und die Produktion deutlich gesteigert werden konnte", sagt Jackson. Was bei der Debatte über den Peak nicht vergessen werden darf: Experten streiten seit Jahren, wie Ölunternehmen ihre Reserven ausweisen. International gibt es große Unterschiede. In den USA beispielsweise werden Ölsande, die in Kanada abgebaut werden und denen eine große Zukunft vorhergesagt wird, nicht als "nachgewiesene Reserven" klassifiziert. Russland wiederum hat seine ganz eigene Methodologie. Auch ist die Abgrenzung zwischen Minen- und Ölaktivitäten häufig unklar. Um die verschiedenen Standards zu harmonisieren, haben die Vereinten Nationen ein Expertengremium eingerichtet. Geleitet wird sie von Sigurd Heiberg. Der Norweger arbeitet für Statoil Hydro und ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet der Rohstoffvorkommen und ihrer Klassifizierung. Er tauscht sich dabei mit anderen Gremien wie der Society of Petroleum Engineers (SPE), der internationalen Vereinigung der Wertpapieraufseher IOSCO, dem Bilanzierungsausschuss International Accounting Standards Board (IASB) und der US-Börsenaufsicht SEC aus. "Eine vorausschauende Energiepolitik ist absolut unabdingbar. Allerdings muss sie auf verlässlichen Daten basieren. Unsere gemeinsame Anstrengung soll Experten dabei helfen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Peak-Oil-Diskussion würde so in einem neuen Licht erscheinen", sagt Heiberg FTD-Online. IASB arbeitet an Bilanzstandard für ÖlreservenDie SEC überarbeitet seit Dezember 2007 ihre Regeln. Die Grundfragen: Darf ein Unternehmen mehr als die "nachgewiesenen Reserven" ausweisen? Darf es sich dabei auf neue Technologien verlassen? Sollen starre Regeln flexiblen Prinzipien weichen? Die aktuellen Regeln der SEC stammen aus den 70er- und 80er-Jahren. Die Ölbranche beklagt sich schon lange darüber, dass die Regeln zu starr seien und die Angebotssituation schlechter darstellten als sie wirklich sei. Heiberg hat dazu eine klare Meinung: "Das Konzept der nachgewiesenen Reserven war in der Vergangenheit gültig. Wir haben die Definition anders gefasst, indem wir jetzt auf wahrscheinliche Reserven abstellen. Dabei maßgeblich ist der Einsatz, den es braucht, diese auch tatsächlich zu heben", sagt Heiberg. "Da das Konzept nicht so konservativ ist, würde es das Angebot auf ein höheres, relevantes, aber auch schwankungsanfälligeres Niveau bringen", sagt Heiberg. Er hat einen Wunsch. "Es wäre toll, wenn das IASB einen eigenen Standard für das Ausweisen von Reserven vorlegen würde." Das Gremium ist verantwortlich für die internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS, nach denen auch große Ölfirmen bilanzieren. Laut Heiberg wird das IASB Ende des Jahres eine Studie vorstellen. "Es ist durchaus möglich, dass wir 2012 einen eigenen IFRS-Standard für Ölreserven bekommen", sagt Heiberg. http://www.ftd.de/boersen_maerkte/aktien/...Oil%20Theorie/360721.html
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