Rainer Rupp | | London bleibt Terrorziel | | Wieder Explosionen in der britischen Hauptstadt. Bürgermeister Livingstone machte anglo-amerikanische Nahostpolitik verantwortlich für Anschläge | | Zwei Wochen nach den Terroranschlägen in London haben mehrere Explosionen in öffentlichen Verkehrsmitteln die britische Hauptstadt erneut lahmgelegt. Laut Londons Polizeichef Ian Blair ereigneten sich am Donnerstag mittag insgesamt vier »Zwischenfälle«, drei in U-Bahn-Zügen und einer in einem Bus. Die Zahl der Verletzten sei »sehr gering«, es handle sich aber um »sehr ernste Vorfälle«. Bei den Anschlägen am 7. Juli waren durch vier schwere Bombenexplosionen 56 Menschen getötet und mehr als 700 verletzt worden.
Die Attentäter damals waren nicht durch »Das Böse« motiviert worden, wie der britische Premierminister Anthony Blair nicht müde zu behaupten wird, sondern durch die seit Jahrzehnten andauernde anglo-amerikanische Intervention im ölreichen Nahen Osten. Das hatte kein Geringerer als der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone am Mittwoch abend erklärt. »Wir haben 80 Jahre westlicher Intervention in mehrheitlich arabischem Gebiet hinter uns, weil der Westen Öl braucht«, sagte Livingstone in einem vielbeachteten BBC-Interview. Er hege bestimmt keine Sympathie mit den Bombern, versicherte der »rote Ken«. Er sei aber überzeugt, daß die Anschläge in London nicht stattgefunden hätten, wenn die anglo-amerikanischen Mächte sich aus den inneren Angelegenheiten der arabischen Staaten herausgehalten hätten. Wenn westliche Regierungen es nach dem Ersten Weltkrieg der arabischen Welt ermöglicht hätten, ihre eigenen Regierungen zu finden, wäre es wahrscheinlich nicht zu den »terroristischen Problemen« gekommen, sagte Livingstone weiter.
Er habe sein ganzes Leben lang »westliche Regierungen gesehen, die so viel Angst hatten, die Kontrolle über ihren Treibstoffvorrat zu verlieren«, fügte Livingstone gegenüber der BBC hinzu. Es habe immerzu Eingriffe durch westliche Regierungen im Nahen Osten gegeben. Daraus resultierten doppelte Standards. In Großbritannien gebe es viele junge Leute, die eine westliche Politik ablehnten, wie sie sich in der Unterstützung Israels durch die USA oder im Gefangenenlager Guantánamo manifestiere. Zwar verurteile er alle Selbstmordanschläge, betonte der Londoner Bürgermeister am Mittwoch abend. Doch verstehe er, weshalb Palästinenser in Israel zu einer solchen Taktik kämen: »Unter ausländischer Besatzung zu leben, ohne das Recht zu wählen, ohne das Recht, die eigenen Angelegenheiten zu regeln, ohne das Recht, einer Arbeit nachzugehen, und das seit drei Generationen ? ich vermute, wenn so etwas hier in England passiert wäre, dann hätten wir hier auch eine Menge Selbstmordattentäter hervorgebracht«.
Livingstone sprach damit aus, was rund zwei Drittel der Briten denken. Auch sie sehen einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Blairs Entscheidung, sich am Krieg gegen den Irak zu beteiligen, und den Anschlägen in London vom 7. Juli, berichtete die Tageszeitung The Guardian über eine Umfrage in dieser Woche. 33 Prozent der Befragten machten den Premierminister sogar direkt für die Anschläge verantwortlich, während weitere 31 Prozent ihm nur »etwas« Mitschuld zuwiesen. Drei Viertel der Befragten erwarteten, daß weitere Anschläge gegen Großbritannien unvermeidlich sind.
Die New York Times hob am Donnerstag hervor, daß Livingston nicht nur die Bomber von London, sondern auch all die westlichen Regierungen verurteilt, »die mit unterschiedslosem Abschlachten von Menschen ihre außenpolitischen Ziele durchzusetzen versuchen, so wie wir es auch gelegentlich bei der israelischen Regierung erleben, die ein Gebiet, von dem ein Terrorangriff ausgegangen ist, bombardiert, egal wie viele Verluste dies unter der Zivilbevölkerung, bei Frauen, Kindern und Männern, verursacht«.
Gut, daß der erklärte Irak-Kriegsgegner und Blair-Kritiker Livingstone kein Muslim ist. Zu leicht könnte er als »Haßprediger« diffamiert, inhaftiert und außer Landes geschafft werden. | (jw) |
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