Schröders Politik der schlaffen Hand
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neuester Beitrag: 22.08.01 12:31
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eröffnet am: | 17.08.01 08:30 von: | Dixie | Anzahl Beiträge: | 36 |
neuester Beitrag: | 22.08.01 12:31 von: | modeste | Leser gesamt: | 4956 |
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viele Grüße
ww
"Dem Traum Amerika hält die politische Linke das Trauma Amerika entgegen: In den Jahren 1977-89 sind in den USA die Realeinkommen des unteren Einkommensfünftels der Bevölkerung um fast 10 Prozent gefallen, während die Realeinkommen des obersten Prozents der Bevölkerung um 100% gestiegen sind."
Quelle:
http://www.sozis.de/kmw/kolumne/jvw/
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Von Dieter Rulff
Der Standort Deutschland hat ein Problem. Das wird ihm durch "unsere hohen Löhne, die hohe Steuer- und Abgabenbelastung sowie eine absurde Regulierungsdichte" beschert. So lautet die Wahrheit des BDI-Präsidenten Olaf Henkel. Es ist noch nicht einmal die halbe Wahrheit.
Als Anfang 1995 der Dollar gegenüber dem Yen und der Mark um 20 Prozent abrutschte, setzte ein Run auf die beiden Währungen ein. Daraufhin mußten auch alle europäischen Staaten im Verhältnis zu Mark und Yen abwerten. Die Auslandseinnahmen deutscher Unternehmen waren plötzlich viel weniger wert als kalkuliert, Daimler, Airbus, VW und viele andere schrieben rote Zahlen und kündigten an, künftig vorrangig im Ausland zu investieren. So lautet ein anderer Teil der Wahrheit über das deutsche Standortproblem, nachzulesen in dem Buch "Die Globalisierungsfalle" der beiden Spiegel-Redakteure Hans-Peter Martin und Harald Schumann. Die beiden Autoren erweitern die auch von sozialdemokratischer Seite gepflegte These von der wechselkursbedingten Schwäche der deutschen Wirtschaft um eine wesentliche Facette: Der schnelle Kursverfall des Dollars gegenüber der Mark war nicht gerechtfertigt, denn die tatsächliche Kaufkraft des Dollars entsprach eher dem Wert von 1,80 statt der gehandelten 1,36 Mark. Mit den Gesetzen des freien Marktes läßt sich das nicht begründen, allerdings läßt es sich als eine gewollte politische Strategie der Amerikaner erklären, um die eigene exportschwache Wirtschaft anzukurbeln.
Zeitweise Destabilisierung der eigenen Währung zur Stabilisierung der Wirtschaft ist nur eine der Spielarten, die die Global Player der internationalen Finanzmärkte beherrschen. Destabilisierung fremder Wechselkurse, um vom absehbaren Kursverfall zu profitieren, ist eine andere. Die Möglichkeiten, Aktienwerte zu manipulieren, sind so reichhaltig wie der Profit, der sich noch aus der Verschiebung der dritten Stelle hinter dem Komma bei einem Kurs erzielen läßt. Was zählt, sind weniger die realen Wertveränderungen als vielmehr die induzierten Schwankungen, die die spekulativen Geldströme auslösen. 1995 wurden allein in Termingeschäften Kontrakte im nominellen Wert von 41.000 Mrd. Dollar gehandelt.
Martin/Schumann geben anschaulich Einblick in das globale Netz der Geld- und Anlagemärkte, sie ordnen dem anonymen Fluß der Werte Namen zu, sie schildern Wirkungen und benennen Verursacher. Und sie warnen vor den fatalen Folgen, dem Zusammenbruch einzelner Volkswirtschaften und der damit einhergehenden Verelendung, wie dem "größten anzunehmenden Unfall", dem Börsenkrach, gegenüber dem sich der Sturz der Barings-Bank als harmloses Spektakel ausnimmt.
Zur Regulierung der internationalen Finanzströme empfehlen Martin/Schumann die Einführung einer Steuer auf Devisentransaktionen. Eine solche Tobin-Tax (benannt nach dem Nobelpreisträger James Tobin) würde spekulative Wechselkursschwankungen eingrenzen, da diese erst ab einer gewissen Marge gewinnträchtig wären und zudem zu beträchtlichen Einnahmen führten. Das Problem ist nur, wie läßt sich diese Steuer erheben, ohne zugleich Devisenbewirtschaftung zu betreiben? Die von linken Ökonomen und Politikern neuerdings als willkommene Deckung staatlicher Defizite gefeierte Einnahmequelle leidet zudem unter dem Mangel, daß sie nur fließen würde, wenn alle Staaten dieser Welt sie gleichzeitig und gleichartig einführen würden. Eine in Anbetracht der globalen Konkurrenz der Standorte wenig realistische Perspektive.
Die Entgrenzung der Märkte, die ihren ersten Schub Ende der siebziger und ihre vorläufige Vollendung in der Gründung der WTO Mitte der neunziger Jahre erlebte, fand ihr innerstaatliches Pendant in den drei "-ungs": Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung. Forciert wurde dieser Prozeß von Politikern wie Thatcher und Reagan, theoretisch unterfüttert wurde er von Wirtschaftswissenschaftlern wie Hayek und Friedman, die das Ende der keynesianischen Ära einläuteten. Die Regeln der ehedem nationalen Volkswirtschaften wurden gesprengt, die Einzelstaaten gerieten in zunehmende Abhängigkeit transnationaler Konzerne. Die gleichen Regierungen, die den weltweiten Kapitalverkehr durchsetzten, kämpfen nun gegeneinander darum, das Kapital an ihrem Standort zu halten. Die Kampfmittel sind überall die gleichen: Subventionen, verlorene Zuschüsse, zinsgünstige Darlehen, Steuervorteile. In der Konsequenz sinkt der Anteil der Unternehmen am Staatseinkommen, der Anteil der abhängig Beschäftigten steigt. Und diese geraten zudem in einen unaufhaltsamen Strudel aus Entwertung und Rationalisierung. "Auslagern, vereinfachen, streichen und kündigen", schreiben Martin/ Schumann, "die Hochleistungs- und High-Tech-Ökonomie frißt der Wohlstandsgesellschaft die Arbeit weg und entläßt ihre Konsumenten." Der schrankenlose Wettlauf um Anteile am Welt(arbeits)markt entwertet in immer schnelleren Zyklen die Arbeitskraft. "Egal was sie tun, die meisten Arbeitnehmer können bei diesem Spiel nur noch verlieren." Was droht, ist nicht mehr die Zweidrittel- sondern die 20-zu-80-Gesellschaft, was diese noch zusammenhält, brachte Zbigniew Brzezinski, ehedem Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, auf den bildhaften Begriff "Tittytainment": panem et circenses im Jahre 2000 nach Christi.
Zur Globale der Kapitalmacht entwerfen Martin/Schumann die Totale der Leitbilder und Bildschirme: "Disney über alles". Weltangleichung im Werbeblock. Die Kolonialisierung der globalen Kultur im Dienste der McDonald's und Murdochs ist eines der schwachen Kapitel, ein Parforceritt durch gängige Klischees des zeitgenössischen Kulturpessimismus. Düster auch die Farben, in denen gesellschaftliche und politische Folgen der Globalisierung ausgemalt werden: organisierte Kriminalität, krasser Anstieg der Kinder- und Jugendkriminalität, abgeschlossene Reichenghettos, Zulauf für Rechtspopulisten. Das "horrende Tempo der Veränderung wird zu einem Trauma für einen Großteil der Bevölkerung" zitieren Martin/Schumann den US- Ökonomen Edward Luttwak, der dafür den Begriff des "Turbo-Kapitalismus" prägte. Als mögliche Reaktion darauf drohen Handels- und Abwertungskriege, die zu wirtschaftlichen Verwerfungen und Wohlstandsverlusten führen würden.
Um den Rückfall in den wirtschaftlichen Nationalismus zu verhindern, setzen Martin/Schumann auf die Regelung des grenzenlosen Systems mittels eines erneuerten wohlfahrtsstaatlichen Systems. Den Autoren ist klar, daß es dabei kein Zurück zu den siebziger Jahren gibt, als noch die Nationalstaaten mittels Besteuerung für Verteilungsgerechtigkeit gesorgt haben.
Sie setzen auf die Verwirklichung der Europäischen Union, nicht nur als Ordnungsrahmen, sondern auch als Gegengewicht zur bisherigen US-amerikanischen Dominanz auf den Devisenmärkten. Denn Größe sei der einzig wichtige Machtfaktor in der globalisierten Ökonomie, damit ließe sich auch auf die Trockenlegung der Steueroasen drängen und privater Zinsgewinn wieder der Steuerpflicht unterstellen.
Die Abwärtsspirale der nationalen Wettbewerber um die Kapitalanlagen ließe sich sicher durch eine europäische Harmonisierung unterbrechen. Doch für wie lange? Wann würden die Effekte dieser Angleichung wieder durch die Konkurrenz mit den Wirtschaftsräumen Südostasiens und Amerikas durchbrochen? Und welche Chancen (und Gefahren) lägen in einer Verteuerung der globalen Verkehrsströme und einer dadurch induzierten Regionalisierung der Wirtschaftsräume? Auf diese Fragen hätten die Autoren sicher profunde Antworten gewußt, leider fehlen sie.
Offen ist auch noch die Frage, welches die gesellschaftlichen Kräfte sind, die sich der Abwärtsspirale entgegenstemmen, wo die Mehrheiten zu finden sind, das sozialstaatliche Projekt zu retten. Die Antwort darauf sollte man fairerweise nicht von Martin/Schumann erwarten, den diese Antwort suchen eine Reihe prominenter Politiker seit Jahren vergeblich.
Hans-Peter Martin, Harald Schumann, "Die Globalisierungsfalle - Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, Rowohlt, Reinbek 1996, 351 Seiten, 38 DM
http://www.smipp.com/taz05.htm
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Ein vorweg: No Logo ist keine objektive Studie, sondern ein aus links-intellektueller Sicht geschriebenes Buch mit klarer politischer Aussage. Nur zum kleineren Teil geht es um die Auswirkungen von Werbung auf unser tägliches Leben. Um Marketing, dass das öffentliche Bild bestimmt und unaufgefordert immer mehr öffentliche Plätze - geistige wie tatsächliche - vereinnahmt. Um Markenklamotten, für die Schüler zu Straftätern werden, den Schriftzug, der längst eine Art überhöhter Talisman ist. In diesem Teil ist das Buch teilweise scharfsinnig, stellt Bezüge und Strukturen her, etwa die Beziehungen von Kultursponsoring und der Kultur selbst. Leider geht die Autorin viel zu wenig auf die Auswirkung der Werbung auf den Konsumenten ein: was hat sich langfristig bei den Leuten durch Marken-Branding verändert, wer kauft was, usw? Zum insgesamt größeren Teil geht es aber um die Machenschaften von Konzernen wie Nike oder Gap, die nur noch Werbung herstellen - und die eigentliche Entwicklung von Produkten den sogenannten ?Sweatshops" in der dritten Welt überlassen. Sweatshops heißen die abgeschirmten Turnschuh- oder Jeansfabriken, in denen an der Tagesordnung sind: Hungerlöhne, zwangsweise Überstunden, Schwangerschaftstests, sexuelle Belästigung und sogar Kinderarbeit. Die Autorin macht Vorschläge, wie die Ungerechtigkeiten beseitig werden können. Leider wirkt das ganze teilweise albern, etwa wenn sie zum Verändern von Anzeigenmotiven und Images aufruft. Letztlich jedoch zeigt sie gangbare Wege: Globale politische Lösungen im Rahmen von Abkommen, gleichzeitig aber ?Hilfe zur Selbsthilfe", etwa bei Arbeitern in Sweatshops. Insgesamt ein gutes Buch, in dem dermaßen viele Fakten über unsere Geschäfts- und Marken-Welt zu finden sind, als das man ihm seine politische Schlagseite ernsthaft vorwerfen kann.
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Die Hand, sie bewegt sich doch
Von KLEMENS KINDERMANN
Nach außen gibt Gerhard Schröder den Lotsen, der unbeeindruckt durch die Strudel konjunktureller Unwägbarkeiten steuert. Doch im Kanzleramt suchen seine Strategen ein Jahr vor der Bundestagswahl fieberhaft nach den Stellschrauben, die ihrem obersten Chef den Amtserhalt trotz Wachstumsrückgangs sichern können. Schon zu Beginn seiner diesjährigen Expedition gen Osten hat Schröder seine Hand entgegen vorherigen Ankündigungen weit geöffnet. Nun steht zwar keine Finanzspritze, aber ein Stopp weiterer milliardenschwerer Belastungen der Wirtschaft bevor: Auf eine Verschlechterung der steuerlichen Abschreibungsbedingungen durch eine Überarbeitung der Branchen-Tabellen zum Jahresanfang 2002 will der Kanzler verzichten.
Noch ziert sich der Finanzminister, der die zusätzlichen Steuereinnahmen fest eingeplant hatte. Immerhin habe die Steuerreform die Wirtschaft ja schon entlastet und die geänderten Abschreibungstabellen seien gewissermaßen als Kompensation gedacht gewesen. Doch die Länder, die an den Sorgen ihrer gebeutelten Wirtschaft noch näher dran zu sein scheinen, laufen dagegen Sturm ? allen voran die mächtigen SPD-Regierungschefs von Nordrhein- Westfalen und Niedersachsen. Zu Recht: Denn in diesen Wochen erstellen die Firmen ihre Pläne für die Investitionen im Jahr 2002. Wenn jetzt nicht unverzüglich ein klares Signal gegen die ungünstigeren Abschreibungsmöglichkeiten gegeben wird, werden Investments unterbleiben.
Gegen alle Bedenkenträger, die wegen der Änderung der allgemeinen Tabelle zum Jahresanfang nun auch die Branchen-Tabellen überarbeiten wollen: Nicht Steuersystematik ist das Gebot der Stunde. Ein schneller und öffentlicher Verzicht auf die Mehreinnahmen schafft Klarheit für die Unternehmen und wirkt besser als jedes teure Konjunkturprogramm. Das hat Schröder offenbar erkannt. Die Hand am Steuer des Deutschland-Tankers ? sie bewegt sich ein Jahr vor der Wahl doch noch.
HANDELSBLATT, Montag, 20. August 2001
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Kanzler Zitterhand
Warum im neudeutschen Ständestaat Führung schwer ist. Und trotzdem sein muss
Von Josef Joffe, DIE ZEIT
Das Etikett "ruhige Hand" wird an dem Sommerloch-Reisenden Schröder so haften bleiben wie "Aussitzer" an Kohl. Sich darüber zu mokieren wäre Ironie vom Gröbsten. Denn alle moderne Politik hat mit "Aussitzen" zu tun. Keinem Kanzler, keinem Präsidenten ist es je gelungen, das Auf und Ab der Konjunktur abzuschaffen. Kollektive Aufwallungen kommen und gehen - zuletzt BSE und MKS; ihre hysterische Hypertrophie widerspiegelt offenbar ein Grundbedürfnis nach Aufregung in einer langweiligen, vor allem risikoarmen Welt. Auf der gesegneten Insel zwischen Berlin und Berkeley jedenfalls sind Krieg, Seuche und Massenverelendung nicht mehr Teil unseres Kalküls. Wo das Brot gesichert ist, werden Spiele (die schon im alten Rom mit Angst und Schrecken faszinierten) immer wichtiger.
Mokieren wir uns also nicht über Old Steadyhand im Kanzleramt. Ist er nicht auf den Rängen (sprich: von den Medien) vor Jahresfrist noch bejubelt worden, nachdem er mit scheinbar eiskalter Ruhe das Tal der verlorenen Landtagswahlen durchschritten hatte, nachdem er das Sparpaket geschnürt, die Steuer- und Rentenreform angepackt hatte? Ein bisschen Glück, das angeblich nur den Tüchtigen winke, gehörte auch dazu. Sein Quälgeist, der rot gefärbte Populist von der Saar, verlor die Nerven und schmiss hin. Der Große Schwarze aus Oggersheim, aus dessen Schatten Schröder sich bis dato nie befreien konnte, ging unter der Last der Bimbes-Affäre in die Knie. Und die Konjunktur sprang an.
Doch Gerd im Glück, das ist in diesem Sommer vorbei. Er ist nervös geworden. Noch im März versuchte er, dem Volk einzureden, dass die Flut der verhängnisvollen Konjunkturdaten aus Amerika und Japan ausgerechnet vor den deutschen Deichen Halt machen würde: Die Verhältnisse, so Schröder, seien nicht übertragbar. Nun ist just Amerika schuld: Er könne doch nichts dafür, "dass wir von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den USA stärker betroffen sind als alle anderen" in Euroland. In diesem Sommer stieg die Arbeitslosigkeit wieder zum ersten Mal seit 1997, die Neuverschuldung wächst, an der Börse wildern die Bären.
Derweil steckt "Kanzler Ruhighand" wirtschaftspolitisch in der doppelten Zwangsjacke: Was ohnehin nicht funktioniert, ist auch noch verboten. Also: Ein wahlgerechtes Konjunkturfeuerchen mit staatlichen Mehrausgaben zu entfachen bringt nichts mehr; das lehrt die Erfahrung der letzten 25 Jahre. Die Flammen verpuffen, aber der Schuldenberg wächst. Schlimmer noch: Schröder darf es nicht einmal versuchen; dagegen steht der Euro-Stabilitätspakt, der strenge Fiskaldisziplin fordert. Runter mit den Zinsen, wie es die US-Zentralbank fast monatlich probiert? Geht nicht. Seit 1999 liegt das Schicksal des Geldes nicht mehr in deutscher, sondern europäischer Hand.
Klar, dass nun, da der klassische makroökonomische Ausweg verrammelt ist, das mediale Kolosseum hämisch mit dem gesenkten Daumen wedelt: "Du hättest eben Mikropolitik machen müssen - die Märkte deregulieren, die Lohnnebenkosten senken, die Sozialtransfers beschneiden, das jobvernichtende Arbeitsrecht auflockern." Gut gebrüllt und richtig obendrein. Nur ist das zutiefst unfair.
Denn das Problem sind wir selbst. Schröder soll die sozialen Wohltaten zurückfahren, auf dass wieder, wie weiland im "Wirtschaftswunder", Unternehmergeist und Risikomut erblühe? Warum sind denn die Sozialleistungen in den vergangenen drei Jahrzehnten von 151 auf 1300 Milliarden, von 23 Prozent des Bruttoinlandsproduktes auf 34, von 2500 Mark pro Kopf auf 16 000 gestiegen, die Aufmerksamkeiten für den Agrar- und Industriesektor noch nicht mitgerechnet? Schröder soll den Staat zurückschneiden? Warum ist dann die Staatsquote in vier Dekaden von 33 auf 48 Prozent angeschwollen? Warum hat sich denn das Arbeitsrecht so verfestigt, der Regulierungsdrang so ausgedehnt?
Gegenseitige Korruption
Schuld daran waren nicht die Kanzler dieser Republik; die lebten nicht von ihrer eigenen, sondern von geborgter Macht. Ihnen kann man allenfalls ankreiden, dass sie ein unwiderstehliches Angebot offeriert haben, welches das Wahlvolk enthusiastisch "gekauft" hat. In diesem System verhält sich der Bürger übrigens völlig rational. Wenn er das Private zum Politischen machen, also so viel Vorsorge wie möglich gegen so viele Fährnisse wie möglich auf die Allgemeinheit abwälzen kann, wird er es tun. Die Korruption von Staat und Staatsvolk ist gegenseitig, die Rechnungen werden hinterher bezahlt, mit der höheren Belastung von morgen für die Wohltat von heute. Und die Begehrlichkeiten wachsen.
Nun hatte dieser Kanzler einst gelobt, nicht alles anders, aber vieles besser zu machen. Und: "Die Leute wollen doch gar nicht, dass einer immer nur sympathisch ist. Die wollen einen an der Macht, der was durchsetzen kann." Das ist nur zur Hälfte richtig, denn der Wähler ist ein abgefeimtes Wesen. Seine Devise lautet: "Ich will Führung, aber nicht gegen mich." Führung ist deshalb ein gar schwierig' Ding in dieser Republik. Wir haben uns in diesem Land wie in einem neuzeitlichen Ständestaat eingerichtet. Jede halbwegs organisierte Gruppe kann sich durchsetzen, zumindest alle anderen blockieren - sogar den obersten Chef der Republik. Und wir schätzen den Konsens über alles - deshalb die Runden Tische und Bündnisse für Arbeit. Der Wirtschaftswissenschaftler Herbert Giersch hat diesen Korporatismus so definiert: als "Zusammenarbeit in Zünften, Kooperation in Kartellen, Zusammenwirken von Bürokratie und Interessengruppen, Herrschaft der Verbände".
Die Folge, wie wir auch bei Schröder sehen, ist nicht die "ruhige", sondern die "zittrige Hand". Oder genauer: die "ruhig stellende Hand", die im raschen Rhythmus mal jene, mal diese Gruppe besänftigt (oder besticht). Big Business darf seine Beteiligungen steuerfrei verkaufen? Dann kriegen die Gewerkschaften ihr neues Betriebsverfassungsgesetz. Jetzt mault der Mittelstand? Der kriegt auch Steuererleichterung. Teilprivatisierung der Rente? Die Gewerkschaften bekommen Sonderkonditionen für die eigenen Rentenfonds. Im Osten grummelt's gegen die Regierung? Der Kanzler gewährt mit dem "Stadiumbau Ost" ein hübsches Präsent in Höhe von zwei Milliarden Mark. Und so weiter - aber immer öfter, je näher der Wahltermin rückt.
Nur: Der Mann verhält sich nicht wie ein gnadenloser Opportunist, sondern absolut systemkonform. Oder wie er's selbst sagt: "Es gibt Situationen, da kannst du allein nicht durch. Du brauchst die kollektive Absicherung." Entschlüsselt: Alle quietschenden Räder müssen geschmiert werden, die lautesten zuerst. Trotzdem: Für einen Kanzler reicht das nicht aus. Denn der Verweis auf die probate Technik der Macht beantwortet keinesfalls die Große Frage aller Politik: Wenn jeder etwas kriegt, was kriegen dann alle? Wie summieren sich derlei Wohltaten zum Wohle der Nation, die im dritten Jahr Schröder im sattsam bekannten Reformeis stecken geblieben ist?
Führung ist mehr, als bloß Durchwurstel-Bündnisse für den Tag zu zimmern. Führung heißt auch, Mandate zu schmieden, die Wertematrix in den Köpfen so zu verändern, dass Koalitionen für die Zukunft entstehen. Wer das geschafft hat? Adenauer, Brandt, Schmidt - und merkwürdigerweise auch der Aussitzer aus Oggersheim. Hätte er nur die Räder geschmiert, wäre er sowohl mit der Nachrüstung als auch mit dem Euro gescheitert.
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Wenn man allein die kommende Karnevalssession ins Auge nimmt, ist der Slogan allein dort für glatt 1111 Verballhornungen gut....ganz zu schweigen von den bevorstehenden Wahlkämpfen....die Plakate werden überlaufen....
Das ist sogar noch doofer gewesen als die Rote-Socken-Kampagne...oder Rinder statt Kinder... oder so ähnlich....
Sollte Schröder allerdings selbst der Autor dieses fatalen Fehlgriffs gewesen sein, darf er getrost an sich selbst A.... äh.. Hand anlegen....
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