Aus der FTD vom 17.8.2001 www.ftd.de/ruhigehand
Gerhard Schröder: Politik der schlaffen Hand
Von Peter Ehrlich, Claus Hulverscheidt, Haig Simonian
Trotz des Abschwungs bleibt der Kanzler bei seinem Kurs des bewussten Nichtstuns. Aus dem Angreifer ist ein Verteidiger geworden. "Was soll ich tun?" Gerhard Schröder.
Die Berliner Republik ist aus ihrem Sommerschlaf erwacht. Der bevorstehende Einsatz von Bundeswehrtruppen in Mazedonien hat zwischen den Spitzen des Kabinetts ein hektisches Hin- und Hertelefonieren ausgelöst. Am Montag sprachen Gerhard Schröder und sein grüner Vizekanzler Joschka Fischer gleich zweimal miteinander. Auch Finanzminister Hans Eichel, Verteidigungsminister Rudolf Scharping und die Fraktionschefs durften mal wieder etwas entscheiden.
Von so viel Aufgekratztheit können die Wirtschaftsreformer in der Koalition nur träumen. Wenn es um ökonomische Belange geht, herrscht im Kanzleramt wie in der SPD-Zentrale die Politik der "ruhigen Hand". Der Begriff, den der Kanzler vor dem Sommer prägte, steht vor allem für eins: Untätigkeit.
Wo sind die Taten
Vorbei die Zeiten, als Schröder im Gewand des Machers durch das Land zog und den angeschlagenen Baukonzern Holzmann quasi nebenbei vor der Pleite rettete. Ausgerechnet jetzt, wo sämtliche Konjunkturindikatoren nach unten zeigen, die Ökonomen ihre Wachstumsprognosen beinahe im Wochentakt herabstufen und die Arbeitslosigkeit wieder steigt, bleibt der Kanzler Taten schuldig.
Die Ziele, die sich Kanzler und Regierung bei Wachstum und Beschäftigung gesetzt haben, entpuppen sich immer mehr als Illusion. Zugleich wird deutlich, dass die Truppe um Schröder kurz vor der Bundestagswahl 2002 kein Rezept gegen den Abschwung hat. Die Folge: In der Koalition macht sich allmählich Unruhe breit.
Viele Unzufriedene
Die Bilder von Schröder-Fans, die den Kanzler bei seiner Tour durch die neuen Bundesländer eifrig beklatschen, täuschen über das wahre Bild der Regierung in der Öffentlichkeit hinweg. 62 Prozent der Befragten, so ermittelte das Institut infratest-dimap, sind mit den Leistungen der Bundesregierung unzufrieden. Das sah vor drei Monaten noch ganz anders aus. Gerhard Schröder, der Genosse der Bosse, der Macher im Kanzleramt, ist vom Angreifer zum Verteidiger geworden.
Über Monate hielt Schröder an seiner Wachstumserwartung von zwei Prozent für das laufende Jahr fest. Seit auch der optimistischste Volkswirt nicht mehr von "Delle" sondern von "Abschwung" redet, will nun auch der Finanzminister im September seine offizielle Prognose zurücknehmen. Schuld an der Flaute seien die USA und die Weltwirtschaft, so Schröder, deren ungünstigen Einflüsse sich Deutschland nicht entziehen könne.
Notgedrungener Rückzieher
Auch bei der bedeutendsten Kennziffer seiner Amtsperiode, an der er sich für die Wiederwahl messen lassen wollte, machte der Kanzler einen Rückzieher - notgedrungen. Die Vorhersagen der Konjunkturforscher lassen kaum noch hoffen, dass die Zahl der Arbeitslosen im kommenden Jahr auf 3,5 Millionen sinkt, wie von Schröder versprochen. "Auf jeden Fall wird die Arbeitslosigkeit geringer sein als bei Regierungsantritt", versuchte er den Patzer schönzureden.
Selbst bei den Lohnnebenkosten wird die Regierung an ihrer Zielvorgabe scheitern. Die Sozialversicherungsbeiträge werden 2002 aller Voraussicht nach steigen und nicht wie im Koalitionsvertrag vereinbart auf 40 Prozent fallen. "Nur der Sparkurs als Markenzeichen bleibt", heißt es im Finanzministerium.
Eine vorgezogene Steuersenkung würde genauso wie der Vorschlag, Milliarden in den Arbeitsmarkt zu pumpen, die Neuverschuldung anheben und so das Budget sprengen. Ergo stehe der Kanzler fest zur Konsolidierung, versichern Mitglieder der Koalition.
Verteidigungshaltung
Wie sehr sich Schröder in die Verteidigerrolle gedrängt fühlt, zeigt sich im Umgang mit Journalisten. So beantwortete er beim Pressegespräch am Dienstagabend im Stettiner Radisson SAS-Hotel ganz gegen seine Art Fragen mit Gegenfragen: "Was soll ich tun? Welchem Ratschlag der Opposition soll ich folgen?"
In Interviews zählt er länglich auf, was die Regierung alles geleistet habe, anstatt Ziele vorzugeben. Und wie schon einmal im schwierigen Jahr 1999 schränken seine Strategen die inoffiziellen Kontakte zur Presse bei Bier oder Rotwein stark ein.
Selbst für Medienschelte ist sich Schröder neuerdings nicht zu Schade. Bei einem Treffen mit Journalisten in der Bar des Dampfers "European Vision" am Rande des G8-Gipfels in Genua verbrachte er ein Drittel der Zeit damit, an der Konjunkturberichterstattung und den Wirtschaftsforschungsinstituten herumzukritteln. Alles Zeichen dafür, dass Schröder bei weitem nicht so entspannt ist, wie er nach außen demonstriert.
Besonders empfindlich scheint er auf das Wort "Aussitzen" zu reagieren, mit dem sonst sein Vorgänger aus Oggersheim verhöhnt wurde. Es stand diese Woche auf dem Titelbild des "Spiegel". "Da wird seitenlang das Nichtstun kritisiert und dann werden die Vorschläge, was man tun könnte, ebenfalls zerrissen", klagt ein SPD-Fraktionssprecher.
Ungeduld bei den Grünen
Noch spürt Schröder kaum Druck aus der eigenen Partei. "Eine breite Mehrheit in der Fraktion wie an der Basis steht hinter Schröder", sagt Reinhold Robbe, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises. Und auch die Linken in der Fraktion halten sich mit der Forderung nach Konjunkturprogrammen zurück.
Ungeduldig hingegen werden allmählich die Grünen. Sowohl deren Finanzexpertin Christine Scheel als auch Thea Dückert, arbeits- und sozialpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, drängen endlich auf Taten zur Belebung der Wirtschaft. "Die brauchen das auch, um sich vor den nächsten Landtagswahlen zu profilieren", kanzelt ein Regierungsmitglied die Aufmucker ab. Selbst ein grünes Schwergewicht wie Fraktionschef Rezzo Schlauch konnte seinen Duzfreund Gerhard nicht dazu bringen, sich zu bewegen.
Mit der Wirtschaft sei es mit dem Meer, versuchte SPD-Generalsekretär Franz Müntefering das Nichtstun vergangene Woche zu erklären. Mal komme das Wasser, mal gehe es.
Die Wähler haben für diese Art von politischem Zen-Buddhismus wenig übrig. Schon bröckeln die Umfragewerte. Bei der Wirtschaftskompetenz liegt die Union wieder vor der SPD. Münteferings Slogan "Sicherheit im Wandel" scheint sich als zu brav zu erweisen.
Gezielte Maßnahmen
Um den Eindruck des Nichtstuns zu vermeiden, wurden diese Woche neue Interpretationsversuche gestartet. "Ruhige Hand heißt nicht, die Hände in den Schoß zu legen", verkündeten die Regierungssprecher. Als Beispiele wurden das Städtebauprogramm Ost und die Erleichterung von Beteiligungsverkäufen für Mittelständler präsentiert.
Immerhin, die Maßnahmen wurden geschickt verkauft. Die Ost-Hilfen gingen als 4,2-Mrd.-DM-Programm durch, obwohl Bund, Länder und Gemeinden die Summe bis 2009 strecken. So muss der Finanzminister im kommenden Jahr gerade mal 200 Mio. DM zusätzlich aufwenden, die steuerliche Mittelstandskomponente kostet ihn 150 Mio. DM.
Dabei muss es nicht bleiben. Weitere solcher "gezielter Maßnahmen" seien durchaus denkbar, lautet die neueste Sprachregelung in der Koalition. Ein bisschen Geld lässt selbst der strenge Hans Eichel im Notfall springen.
Die Möglichkeiten sind vielfältig. Denkbar wären etwa Verbesserungen bei den Abschreibungsbedingungen durch den Verzicht auf die geplanten so genannten Branchentabellen oder sogar Rücknahme der bereits in Kraft getretenen Tabellen für wichtige Wirtschaftsgüter.
Plausibler als ein neues Signal an die Wirtschaft erscheinen jedoch Maßnahmen zu Gunsten des Arbeitsmarktes. Bisher hat Schröder stets erst die eine und dann die andere Seite des Bündnisses für Arbeit bedacht. Über das noch nicht beschlossene Job-Aktiv-Gesetz ließe sich etwa die Förderung des Niedriglohnsektors ausbauen.
Andererseits könnte sich Schröder verstärkt für Dinge engagieren, die den Bund nichts kosten. Einen Anfang machte er mit seinem Eintreten für das VW-Modell 5000 x 5000, bei dem abweichend vom geltenden Tarifvertrag 5000 Arbeitsplätze mit jeweils 5000 DM Monatslohn geschaffen werden sollen. "Das Beispiel VW zeigt, dass innovative Lösungen möglich sind", sagte Schröder in Stettin. Die deutschen Gewerkschaften seien flexibler als ihr Ruf.
Für welche Varianten sich Schröder letztlich entscheidet und ob am Ende für PR-Zwecke ein kleines Paket geschnürt wird, bleibt offen. Zunächst einmal heißt das Top-Thema Mazedonien. Und da will Schröder zeigen, dass er Parlament und Partei im Griff hat.
Quelle: Financial Times Deutschland
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