Russland droht mit Raketenangriff
VON Neil Buckley, Moskau, Hubert Wetzel, Baku, Nils Kreimeier, War schau, und Friederike v. Tiesenhausen, Berlin
20.02.2007
Moskau nimmt osteuropäische US-Anlagen ins Visier · Streit um geplantes militärisches Abwehrsystem eskaliert
Ein hochrangiger russischer General hat Polen und Tschechien im Streit um das geplante US-Abwehrschild in Osteuropa mit Raketenangriffen gedroht. Zuvor hatten die Ministerpräsidenten der beiden Länder signalisiert, der US-Bitte nach Stationierung von Anlagen für das Raketenabwehrschild nachkommen zu wollen. Der Kommandeur der russischen Raketenstreitkräfte, Nikolai Solowzow, warnte jedoch: ?Sollten die Regierungen von Polen und der Tschechischen Republik sich so entscheiden, könnten russische Raketen auf diese Einrichtungen zielen.?
Mit der Drohung Solowzows erreicht das russische Säbelrasseln um das US-Abwehrschild eine neue Lautstärke. Die USA wollen sich mit in Polen stationierten Raketen gegen Angriffe aus ?Schurkenstaaten? wie dem Iran oder Nordkorea schützen. Russland sieht in dem milliardenschweren Vorhaben jedoch eine Provokation ? zumal der Iran derzeit gar nicht über Langstreckenraketen verfügt, die die USA treffen könnten.
Auch innerhalb Europas sorgt das Thema für Streit und eine ähnliche Spaltung wie während des Irakkriegs. Polen und Tschechien erhoffen sich durch die Stationierung der Raketenabwehr eine bevorzugte Behandlung seitens der USA. Die osteuropäischen Staaten sehen in Washington ihre beste Rückversicherung gegen etwaige russische Aggressionen.
Deutschland und andere westeuropäische Nato-Staaten befürchten jedoch im Gegenteil, das System könnte Russland gerade provozieren. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) wiederholte gestern am Rande seines Besuchs in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku seine Kritik am Verhalten der USA: Die Sorgen Moskaus hätten früher ernst genommen werden sollen.
Russland hat in den letzten Tagen eine Reihe von Drohungen geäußert. Schon auf der Münchner Sicherheitskonferenz vor zehn Tagen hatte der russische Präsident Wladimir Putin mit deutlicher Kritik überrascht. Vergangene Woche drohte dann der russische Generalstabschef Juri Balujewski, Moskau könne einen der wichtigsten Abrüstungsverträge kündigen, das sogenannte INF-Abkommen zu Mittelstreckenwaffen. Raketenkommandeur Solow?tzow fügte gestern hinzu, Russland könnte in fünf oder sechs Jahren wieder die Produktion von Mittelstreckenraketen aufnehmen: ?Wir haben alle Dokumente, wir haben die Technologie.?
Polen und Tschechien lassen sich davon nicht beirren. Nach einem Treffen mit dem polnischen Regierungschef Jaroslaw Kaczynski in Warschau sagte der tschechische Ministerpräsident Mirek Topolanek gestern: ?Wir waren uns einig, dass unsere Antwort auf das US-Angebot höchstwahrscheinlich positiv ausfallen wird.? Befürchtungen, das geplante Raketenabwehrsystem könne die ?Ordnung in Europa? verändern, nannte Kaczynski ein Missverständnis: ?Wir werden die Russen davon überzeugen, dass sich diese Stationierung in keiner Weise gegen sie richtet.?
Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Rudolf Adam, sagte der FTD: ?Die Russen haben eigentlich keinen Grund zur Sorge. Russische Raketen mit dem Ziel USA würden nicht über Europa, sondern über den Nordpol fliegen.?
Auch der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden meinte: ?Dass sich Russland durch ein amerikanisches ballistisches Raketenabwehrsystem bedroht fühlt, ist nicht nachvollziehbar.? Es wäre aber wünschenswert, wenn ein gemeinsamer Raketenabwehrschirm von Nato und Russland realisiert werden könnte.
Allerdings ist schon das Thema eines Nato-einheitlichen Raketenabwehrschilds in der Allianz heftig umstritten. Derzeit gibt es keine offiziellen Diskussionen über ein solches Projekt. Dabei ist nicht nur die Sorge vor Russlands Reaktion ein Faktor. Länder mit vergleichsweise geringen Wehrausgaben wie Deutschland befürchten auch, dass sie sich an einem gemeinsamen System nicht beteiligen könnten. Ein Raketenabwehrschild ist extrem teuer.
Zudem steht auch seine Effektivität in Frage: Tests zur ballistischen Raketenabwehr lieferten bis jetzt durchwachsene Ergebnisse. ?Es wird noch mindestens zehn Jahre dauern, bis ein solches System wirklich funktioniert?, sagte Andrew Brookes, Analyst beim renommierten International Institute for Strategic Studies (IISS) in London, der FTD.
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