Von Malte Lehming
Ein Dieb steht vor dem Richter. Er soll eine kostbare Perlenkette gestohlen haben. ?Was hast du zu deiner Entschuldigung zu sagen?", fragt der Richter. ?Dreierlei", antwortet der Dieb. ?Erstens war es richtig, die Kette zu entwenden, weil die Frau, die sie trug, ein Luder ist. Zweitens gehört die Kette eigentlich mir. Und drittens habe ich sie nie im Leben gesehen." Der Präsident der USA ist kein Dieb, aber auch er hat ein Rechtfertigungsproblem. Seit Monaten sinkt die Zustimmung zu einem Irak-Krieg. Die Mehrheit der Amerikaner spricht sich zwar weiterhin für eine Invasion aus, um Saddam Hussein aus dem Amt zu jagen, aber die allgemeine Stimmung ist ambivalent. Man versteht die Eile und Dringlichkeit nicht, hat Angst vor einem Alleingang der USA und will, dass alle diplomatischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Kriegslüstern ist das Land nicht.
Um Überzeugungsarbeit zu leisten, wandte sich George W. Bush am Montag in einer Grundsatzrede an die Nation.Wer auf neue Gründe, schlüssige Argumente, schlagende Beweise gehofft hatte, wurde enttäuscht. Geschickt ließ sich Bush alle Hintertürchen offen. Er vermied jede Festlegung, wich den entscheidenden Fragen aus. Welches Ziel verfolgt seine Regierung ? die Zerstörung der irakischen Massenvernichtungswaffen oder die Beseitigung des Regimes? Beide Annahmen hat der Präsident erneut genährt. Ja, das Regime in Bagdad kann den Konflikt verhindern, wenn es unsere Forderungen erfüllt. Ein Krieg ist weder unvermeidbar, noch steht er unmittelbar bevor. Das klingt moderat. Doch nur wenige Sätze später erklärt der Präsident, warum ein Regimewechsel ?das einzig sichere Mittel" ist, eine ?große Gefahr von unserer Nation" abzuwenden.
Ebenso schwammig bleibt Bush bei der Begründung für einen Krieg. Sind es die Massenvernichtungswaffen, die Verbindungen Saddams zu Al Qaida oder die Hoffnungen auf eine Demokratisierung des Nahen Ostens? Ja, der Irak könnte einige Kurzstreckenraketen chemisch bestücken, und er arbeitet an der Entwicklung weiter reichender Trägersysteme. Andererseits befinden sich die USA derzeit zweifellos außerhalb jeglicher Reichweite. Direkt bedroht sind allenfalls Saudi-Arabien, Israel und die Türkei. Ja, der Irak hat Verbindungen zu Al Qaida, aber einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem 11. September gibt es nicht. Ja, es sei Zeit, die Iraker ?aus der Gefangenschaft" zu befreien. Aber Bush weiß genau, dass sich daraus kein legitimer Kriegsgrund ableiten lässt. Statt dessen redet er sich in Rage und ist bemüht, für jeden Zuhörer etwas im rhetorischen Gepäck zu haben: für die Weltgemeinschaft die Einhaltung der UN-Resolutionen, für die Falken im Kabinett den Sturz des Regimes, für die Landsleute die Abwehr einer akuten Terrorgefahr, für die neokonservativen Visionäre den Aufbau eines neuen Nahen Ostens.
Doch einem solchen Potpourri an Zielen und Motiven fehlt die Überzeugungskraft. Je zahlreicher die Gründe sind, auf die sich Bush bezieht, desto stärker drängt sich der Eindruck auf, ihm fehle ein wirklicher Casus belli. Politisch punkten kann er mit seinem Kurs allenfalls im Wahlkampf. Ohne Zweifel hat er die Demokraten mit seiner Taktik in die Bredouille gebracht. Die Irak-Frage spaltet die Opposition. Die Parteispitze will das Thema möglichst schnell vom Tisch haben, um andere Probleme in den Vordergrund zu stellen ? von der Wirtschaftsmisere über die Unternehmensskandale bis zur Gesundheitsvorsorge. Deshalb wird der Kongress wohl noch in dieser Woche mit großer Mehrheit eine Resolution verabschieden, die den Präsidenten zum Kriegführen autorisiert. Doch die Basis der Demokraten muckt immer mehr auf. Sie lehnt diesen Schmusekurs ab.
Das Hauptziel seiner Rede hat Bush wohl kaum erreicht. Wer skeptisch war, ist skeptisch geblieben. Einen Kollateralnutzen seiner Irak-Politik kann er indes verzeichnen. Inzwischen dürfen die Republikaner bereits hoffen, bei den Kongresswahlen am 5. November die Mehrheit in beiden Häusern zu erringen. Und dann geht's auch außenpolitisch erst richtig zur Sache. http://archiv.tagesspiegel.de/archiv/09.10.2002/250538.asp
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