Mordprozess: Zeugin wurde überfallen
Eine Belastungszeugin im Mordprozess gegen den türkischen Autowäscher, der vor Heiligabend 2002 seine Ehefrau auf offener Straße erstochen haben soll, ist wenige Tage nach ihrer Vernehmung durch die VIII. Große Strafkammer auf offener Straße überfallen, bedroht und verletzt worden.
Die Justiz reagierte mit einem "beschleunigten Verfahren":
Der Angreifer (24), ein Schwager des mutmaßlichen Messerstechers, wurde umgehend festgenommen und bereits gestern im Kieler Amtsgericht wegen Körperverletzung und Bedrohung zu einer fünfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt. Auflage für die dreijährige Bewährungszeit: 400 Euro Schmerzensgeld für die verletzte Zeugin und Vermeidung jedes weiteren Kontakts.
Zu seiner mutmaßlichen Racheaktion machte der angeklagte Döner-Verkäufer keine Angaben. Nach Überzeugung der Strafrichterin hatte der 24-Jährige am vergangenen Montag zunächst die minderjährige Tochter der Belastungszeugin, die regelmäßig auf dem Weg zur Oma an seinem Arbeitsplatz vorbeigehen muss, mit hasserfülltem Blick angeschrien. Das eingeschüchterte Mädchen lief zu seiner Großmutter, die den eher zierlichen Angeklagten sogleich im Imbiss aufsuchte, um ihn zur Rede zu stellen. Hierbei soll es zu ersten Handgreiflichkeiten gekommen sein. Die Großmutter zückte ihr Handy, rief ihre Tochter an und forderte sie auf, die Polizei zu rufen. Die 36-Jährige war schon fast beim Imbiss, als sie von hinten gepackt und herumgerissen wurde. Mit den Worten "Ich bring dich um, du Schlampe" habe der Angreifer ihr eine Kopfnuss versetzt und die Oberlippe aufgerissen.
Die verletzte Zeugin ist eine Ex-Frau des Angeklagten, 1989 war sie mit ihm "nach dem Wort Gottes" verheiratet. Trotz ihrer Ängste ("Ich grabe mir mein Grab") hatte sie vor dem Kieler Landgericht gegen den Ex-Mann (37) aussagen müssen. Dessen Angehörige empfanden ihre öffentliche Preisgabe des Familien- und Ehelebens offenbar als ehrverletzend: Nachdem die jüngste Schwester (22) des Angeklagten diesen zum Prozessauftakt als zärtlichen, großzügigen Ehemann und ausgeglichenen Menschen charakterisiert hatte, stellte die Zeugin ihre kurze Ehe mit dem Angeklagten als Albtraum von Unterdrückung und Gewalt dar (wir berichteten).
Vor ihrer Aussage ("Für mich war das Kapitel seit 13 Jahren abgeschlossen") hatte ihr der Vorsitzende des Schwurgerichts "wegen außergewöhnlicher psychischer Belastung" Begleitung durch einen Zeugenbeistand eingeräumt. Die Verteidigung protestierte vergeblich und lehnte den Vorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Der Antrag wurde inzwischen zurückgewiesen. Die Kammer sah sich schon beim Prozessauftakt veranlasst, ausdrücklich vor der Bedrohung von Zeug(inn)en in diesem Verfahren zu warnen. Von Thomas Geyer
Aus den Kieler Nachrichten vom 12.09.2003
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