Ich hab da einen weitaus differnzierteren Artikel gefunden. Ich hab übrigens meine eigene These zu Dutschke, die auch in Zügen in folgendem Artikel der Süddeutschen am Ende angesprochen wird.
Für mich ist nämlich die Tatsache das Dutschke den Holocaust selten angesprochen hat ein Indiz darauf, das er eben kein Nationalist oder gar Rassist war. Wenn er sich nämlich damit stärker auseinandergesetzt hätte, wäre er über einige Fehler in seiner Argumentation der 60er Jahre gestolpert. Deshalb hat er den Holocaust nicht geleugnet, sondern aus seinem Kopf verbannt, um so die Gründe für die Teilung Deutschlands zu negieren. Die Einigung Deutschlands war ja ein Hauptanliegen von ihm, gerade als ehemaliger Ossi auch verständlich. Sein Antiamerikanismus war bei vielen 68ern verbreitet, auch bei den heutigen Linken. Nur weil Mahler einen anderen Weg eingeschlagen hat und Rabehl oskure Ideen und Ansichten verbreitet, heißt das noch lange nicht, das Dutschke ein Nationalist war. Wenn das stimmen soll, wären Brandt, Kohl, Joschka Fischer oder Schmidt auch Nationalisten gewesen.
Hab vor einigen Jahren übrigens mal in Berlin ein Seminar von Rabehl besucht. Wirklich ein kranker Zeitgenosse. Weiß gar nicht, wieso die FU diesen Mann beschäftigt hat.
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Dutschke ? ein Nationalist ?
Süddeutsche Zeitung - Magazin, Fr 02.07.2004 Seite 14 Zitat: Der Deutschke
Wenn er nicht wegen Notstandsgesetzen und Vietnamkrieg wach lag, träumte Rudi Dutschke, Cheftheoretiker der Achtundsechziger, von einem wiedervereinigten deutschen Volk. Das wenigstens behaupten heute einige seiner alten Freunde - und lösten damit einen Riesenstreit aus.
Von Hans Kundnani
Er sei sein bester Freund gewesen, erklärt Bernd Rabehl. Als der am Kurfürstendamm 140, dem Ort des Geschehens, eintraf, wurde Rudi Dutschke bereits im Krankenhaus operiert. Das Straßenpflaster war mit Blut befleckt, die Umrisse von Dutschkes Schuhen hatte die Polizei mit Kreide nachgezogen. Es war Gründonnerstag 1968. Rudi Dutschke war niedergeschossen worden. Er hatte gerade seine Post aus dem Büro des SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds, geholt und war auf dem Weg zur Apotheke, um für seinen drei Monate alten Sohn Medizin zu kaufen. Ein Mann in Leder-jacke kam auf ihn zu und fragte, ob er Rudi Dutschke sei. Dann beschimpfte er ihn als »dreckiges Kommunistenschwein« und feuerte drei Schüsse ab. Jetzt steht Rabehl wieder an dieser Stelle, Kurfürstendamm 140, vor dem alten SDS-Gebäude. Es weht immer noch die rote Fahne. Allerdings inzwischen die des Türkischen Generalkonsulats.
Bernd Rabehl ist heute 65 Jahre alt und Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin, jenem Ort, an dem die Studentenrevolte damals begann. Er sieht noch immer aus wie auf den alten Fotografien, wo er auf SDS-Veranstaltungen neben Dutschke sitzt: Zwar ist sein Bart inzwischen ergraut, doch die buschigen Augenbrauen, an den Seiten wie aufgezwirbelt, dominieren immer noch das runde Gesicht und auch sein listiges Lächeln hat er sich bewahrt. Eines aber hat sich verändert: Während früher er es war, der gegen die Professoren auf die Straße ging, demonstrieren heute die Studenten gegen ihn. Angefangen hat das vor ein paar Jahren mit einer merkwürdigen und für viele empörenden Behauptung Rabehls: Dutschke, Ikone der deutschen Linken, und er - sie seien im Jahr 1968 in Wahrheit »Nationalrevolutionäre« gewesen.
In einem Vortrag - gehalten bei der stark national gesinnten Burschenschaft Danubia - warnte Rabehl düster vor einer »Überfremdung« Deutschlands und später druckte - wenn auch ohne Rabehls Erlaubnis - das rechtsgerichtete Blatt Junge Freiheit den Vortrag ab. Im Jahr 2002 veröffentlichte Rabehl noch ein wütendes Buch mit dem Titel Rudi Dutschke. Revolutionär im geteilten Deutschland bei dem obskuren rechten Dresdner Verlag Edition Antaios. Ob die anderen SDSler es wussten oder nicht: Was Dutschke wirklich umtrieb, war, so Rabehl, der tief verwurzelte Wunsch, Deutschland von der amerikanischen und sowjetischen »Fremdherrschaft«, wie Rabehl es nennt, zu befreien. »Dutschke wollte den Kolonialkrieg der Nationen und Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas auf Mitteleuropa übertragen«, schrieb Rabehl: Sein Ziel sei die Wiedervereinigung Deutschlands gewesen.
Die Indizien, dass Rabehl nicht ganz falsch liegt, häufen sich. Man sollte ihn nicht zum Kronzeugen machen, aber man muss anerkennen, dass auch andere, die seine politische Überzeugung nicht teilen, sich mit seinen Thesen beschäftigen - vor allem wohl, weil allmählich die zeitgeschichtliche Auseinandersetzung mit 68 und seinen Protagonisten beginnt, jetzt, da abzusehen ist, dass sie von der Bühne abtreten werden.
Dutschkes private Kommentare zur deutschen Frage, von denen viele erst durch die Forschung des Hamburger Soziologen Wolfgang Kraushaar an die Öffentlichkeit gelangten, legen nahe, dass die Wiedervereinigung ihm ein zentrales Anliegen war: »Die Forderung nach Wiederherstellung der Einheit Deutschlands«, sagt Kraushaar, »war von 1958 bis ans Lebensende eine durchgängige Grundposition Dutschkes.«
Dutschke hatte gute persönliche Gründe, sich die Teilung Deutschlands besonders zu Herzen zu nehmen. Er wuchs im brandenburgischen Luckenwalde auf. Als 18-Jähriger verweigerte er den Militärdienst in der Nationalen Volksarmee. Er wolle, erklärte er seinen Klassenkameraden, nicht in einer Armee dienen, in der er womöglich auf andere Deutsche schießen müsste. So blieb ihm ein Studium in der DDR verwehrt, weshalb er nach West-Berlin zog, genauso wie Rabehl, der auch aus Brandenburg kam. Beide nannten sich selbst »Abhauer« und im August 1961 - Dutschke hatte gerade sein Studium an der Berliner FU begonnen - schnitt die Mauer sie von ihren Familien ab. Dutschke sollte seine Mutter, bis dahin die dominante Figur in seinem Leben, nie wiedersehen.
Später hatten die meisten seiner Mitstreiter im SDS keine Ahnung, dass Dutschke auf dem Höhepunkt der Studentenproteste nicht nur an Vietnam und die Notstandsgesetze dachte, sondern auch an die Wiedervereinigung. Im Sommer 1967, kurz nach dem Tod Benno Ohnesorgs, entwarf er sogar einen bizarren Plan, um aus West-Berlin einen »freien Staat«, wie er es nannte, zu machen, unabhängig von den beiden Großmächten: »Strategischer Transmissionsriemen für eine zukünftige Wiedervereinigung Deutschlands«, nannte er es in einem Aufsatz unter dem Pseudonym R. S.
Nach dem Attentat befasste sich Dutschke zunehmend mit dem, was er »die deutsche Misere« nannte. »Die "nationale Frage", das Problem der deutschen Wiedervereinigung als revolutionäres Kettenglied des Angriffs gegen Spätkapitalismus und Revisionismus, muss endlich reflektiert werden«, schrieb er 1969 in sein Tagebuch. Doch erst Mitte der siebziger Jahre, als sich sein politischer Einfluss verringert hatte, begann Dutschke, sich offen für die Wiedervereinigung auszusprechen. In einer Reihe von Artikeln für linksgerichtete Magazine versuchte er, die westdeutsche Linke für die nationale Frage zu interessieren. Er stieß auf nahezu einhellige Ablehnung.
Die früheren Freunde Dutschkes, die im linken Lager geblieben waren, wollten seine Entwicklung nicht wahrhaben. Die Danubia-Rede habe mehr mit Rabehls eigener Verbitterung zu tun als mit Dutschkes politischem Denken, sagen sie. »Er hat immer darunter gelitten, dass er nicht Dutschke ist«, meint Klaus Meschkat, 1968 ein leitendes Mitglied des Berliner SDS und einer von Dutschkes besten Freunden, heute Professor für Soziologie an der Universität in Hannover. »Rabehl hat sich niemals richtig gewürdigt gefühlt. Er erscheint immer sozusagen im Schatten von Rudi. Das ist eine Erklärung für diese Originalitätssucht.« Andere wiederholen bis heute kategorisch, Dutschke könne kein Nationalist gewesen sein, weil er Internationalist war. Angelpunkt seines politischen Denkens seien doch die »nationalen Befreiungsbewegungen« in Lateinamerika, Afrika und vor allem in Vietnam gewesen. Doch gerade das dient Rabehl als Beweis für Dutschkes Nationalismus: Deutschland sei selbst eine Kolonie - oder, besser gesagt, zwei Kolonien - gewesen und bedurfte deshalb einer eigenen nationalen Befreiungsbewegung. »Dutschke und ich waren uns einig«, sagt Rabehl. »Deutschland ist doppelt besetzt. Der Kampf in Deutschland ist Bestandteil des Antikolonialkampfes.«
Als Dutschke niedergeschossen wurde, waren er und Rabehl einander bereits »entfremdet«, wie Rabehl in alter marxistischer Terminologie erklärt: Kein einziges Mal habe er den Freund im Krankenhaus besucht. Mit Dutschkes Frau Gretchen war er ja nie gut ausgekommen, ein »Hippiemädchen«, das Dutschke von der Revolution ablenkte, fand Rabehl. Tatsächlich hatte sie Dutschke Anfang 1968 zum Umzug in die USA überredet. »Ich sage zu ihm: "Du kannst nicht die Leute mobilisieren und dann sagen: Tschüss, ich geh weg" Beim Erzählen rutscht Rabehl - wie so oft, wenn er sich an 1968 erinnert - in die Gegenwartsform: »Ich bin darüber entsetzt.«
Gretchen Dutschkes Haus liegt in einem Wald am Charles River in Massachusetts. Sie erzählt, barfüßig am Küchentisch sitzend, dass sie Rabehls Buch nicht gelesen habe: »Mir wird übel davon«, sagt sie. »Er nimmt einen Satz und ändert ein paar Wörter, sodass er schließlich das Gegenteil aussagt. Er ist so unehrlich.« Gretchen kam 1962 nach West-Berlin. Wie Dutschke stammte sie aus einer religiösen Familie, das brachte die beiden zusammen: »Niemand sonst wollte über Religion reden«, erinnert sie sich. Nachdem Dutschke ihr 1964 erklärt hatte, er sei »mit der Revolution verheiratet« und könne sie deshalb nicht heiraten, kehrte sie in die USA zurück. Ein Jahr später änderte Dutschke seine Meinung und 1966 heirateten sie.
Als Gretchen ihren späteren Mann und Rabehl zum ersten Mal traf, wirkten die beiden wie ebenbürtige Partner, »ein bisschen wie Marx und Engels«. Bald aber merkte sie, das Rabehl eher Dutschkes Gehilfe war. Zudem sei Rabehl von Anfang an eifersüchtig auf ihre Beziehung zu Dutschke gewesen. »Er sprach nicht mit mir«, sagt sie. »Bald dämmerte mir, dass es mit Rassismus zu tun hatte. Bernd konnte nicht akzeptieren, dass Rudi eine amerikanische Freundin hatte.« Rabehl streitet das ab: »Es war nichts Rassistisches. Sie war einfach komisch.«
Es war Gretchen, die in den frühen Neunzigern Dutschkes Aufzeichnungen zum Hamburger Institut für Sozialforschung brachte. Dort begann Wolfgang Kraushaar, sie zu analysieren, und dabei wurde das Ausmaß von Dutschkes Beschäftigung mit der Teilung Deutschlands offenkundig. Zuerst wollte Gretchen es gar nicht glauben. Sie erinnert sich, wie sie ihn gewarnt hatte, als Dutschke in den Siebzigern erstmals den Wunsch äußerte, etwas zur »nationalen Frage« zu schreiben. »Aber Rudis Argumentation zufolge«, sagt sie, »musste man der Rechten gerade jede Möglichkeit nehmen, sich nationalistischer Ressentiments zu bedienen.« So viel Strategie traut Kraushaar Dutschke nicht zu. Als »etwas Ursprüngliches, etwas Überhistorisches, etwas Substanzielles« sah Dutschke die Nation in den Augen Kraushaars. Und damit eröffnet sich eine weitere verstörende Möglichkeit: Man könnte nun argumentieren, dass Dutschkes politisches Denken in Wahrheit auf eine 1968 noch unentwickelte Verbindung aus »national« und »sozialistisch« hätte hinauslaufen können.
Vielleicht gilt Horst Mahler deshalb als ein solches Schreckgespenst für die Achtundsechziger. Ist Rabehl einfach nur ein unangenehmes Thema, lehnen viele eine Diskussion über Mahler schlichtweg ab. Mahler, Dutschkes damaliger Anwalt, behauptet nämlich, seine rechtsextremen Ansichten stammten unmittelbar aus dem Protest von 1968. »Die Studentenbewegung war mit Sicherheit ein Ausdruck des völkischen Denkens, das als solches gar nicht bewusst war«, erläutert er mir voller Überzeugung in seiner Villa in Kleinmachnow nahe Berlin.
Horst Mahler vertrat auch Andreas Baader, schloss sich 1970 selbst der Baader-Meinhof-Gruppe an und versuchte, Dutschke - ohne Erfolg - zur Beteiligung am »bewaffneten Kampf« zu überreden. Nachdem er im Oktober 1970 verhaftet worden war - sein Strafverteidiger war Otto Schily -, verbrachte Mahler ein ganzes Jahrzehnt im Gefängnis. Später gewann er seine Anwaltslizenz zurück - mithilfe eines anderen jungen linken Anwalts: Gerhard Schröder. Heute ruft Mahler öffentlich zur Errichtung eines »Vierten Deutschen Reiches« auf, in dem er selbst der Führer wäre.
Dutschke, wäre er noch am Leben, sagt Mahler, würde heute seine rechtsextremistischen Ansichten teilen. Das scheint, gelinde gesagt, unvorstellbar. Allerdings erwähnt Dutschke tatsächlich in all seinen Reden und Schriften - im Gegensatz zu den anderen Achtundsechzigern - fast nie den Holocaust oder die deutsche Schuld. In einer seiner seltenen Ausführungen dazu schrieb er 1978: »Meine christliche Scham über das Geschehene war so groß, dass ich es ablehnte, weitere Beweisdokumente zu lesen, mich mit einer allgemeinen Erkenntnis zufrieden gab: Der Sieg und die Macht der NSDAP, das Entstehen des zweiten Weltkrieges ist von einem Bündnis zwischen NSDAP und den Reichen, dem Monokapital, nicht zu trennen.« Indem er den Kapitalismus für den Faschismus verantwortlich machte, sprach Dutschke Deutschland als Nation letztlich von Verantwortung für den Genozid frei.
Tilman Fichter, 1968 ein guter Freund Dutschkes und später Mitglied des SPD-Vorstands, erinnert sich, Dutschke einmal gefragt zu haben, warum er sich nicht für den Holocaust interessiere. »Er sagte: "Tilman, das ist alles so hoffnungslos. Wenn man die ganze Zeit darüber redet, dann hat man keine Energie mehr für die Revolution." Der Holocaust passte nicht zu seinem revolutionären Optimismus.«
Möglicherweise liefert Dutschkes Schwei-gen zum Holocaust einen Schlüssel zum Verständnis seiner nationalistischen Tendenzen. Er hat die Verbindung zwischen den Verbrechen der Nazizeit und der Teilung und Besatzung Deutschlands in der Nachkriegszeit offenbar nie hergestellt; das deutsche Volk erschien ihm daher als passives Opfer seines Schicksals. Ob aber Dutschke 1968 die Studentenbewegung wirklich als »nationale Befreiungsbewegung«, ähnlich dem Vietcong, sah, wie Rabehl behauptet, bleibt ungewiss. »Die Frage ist damals einfach nicht zugespitzt worden«, sagt Fichter. Womöglich ist Ra-behls Rede über 1968 im Präsens doch mehr als eine Marotte. »Rabehl hat sozusagen die Zeit aufgehoben«, meint Fichter.
Als der 23-jährige Josef Bachmann die Schüsse auf dem Kurfürstendamm abgab, hatte er die rechtsextreme Deutschen Nationalzeitung in seiner Tasche.Ausgerechnet. »Das sind die Ironien der Geschichte«, sagt Rabehl dazu,während er dort steht, wo sein bester Freund niedergeschossen wurde. Er klingt dabei, als diskutiere er gerade eine interessante Stelle bei Marx.Ich frage ihn, was er jetzt, 35 Jahre nach den Ereignissen, empfinde. Er zuckt die Achseln. »Nichts«, sagt er und läuft zurück zu seinem Auto.
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