Von Marco Dalan und Jörg Eigendorf
Volkswagen Der Kreuzzug des Porsche-Enkels VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch wollte immer eine größere Firma leiten als sein Großvater, Käfer-Erfinder Ferdinand Porsche. Kurz vor seinem Abgang als Aufsichtratschef ist er so mächtig, dass er den Posten gar nicht mehr braucht - zum Schaden des VW-Konzerns.
Der Anlass war unbedeutend: Am Montag wurde in Halle 68 des Wolfsburger Volkswagen-Stammwerks ein neues "Kälte- und Klimazentrum" eröffnet, um Neuwagen in Eis und Hitze zu testen. Gleichwohl nahmen zahlreiche VW-Topmanager daran teil. Sie konnten sich persönlich davon überzeugen, dass der Haussegen in der Führungsetage schief hängt. Vorstandschef Bernd Pischetsrieder und sein Aufsichtsratsvorsitzender Ferdinand Piëch verfolgten nebeneinander die Eröffnung mit versteinerten Mienen.
Kaum 24 Stunden später war klar warum. Mit einer kargen Mitteilung aus drei Sätzen schickte das Aufsichtsratspräsidium Pischetsrieder in die Wüste - nur sechs Monate nachdem das Kontrollgremium den Vertrag des Bayern zum 1. Januar 2007 um fünf Jahre verlängert hatte. Sein Nachfolger wird der bisherige Audi-Chef Martin Winterkorn, ein Piëch-Vasall.
Wie kein Manager unter den deutschen Dax-Konzernen schafft es Piëch, Europas größtem Autobauer mit 345 000 Mitarbeitern, davon 179 000 in Deutschland, seinen Stempel aufzudrücken. Ganz gleich wie es VW geht: Der Enkel Ferdinand Porsches hält sich beständig an der Spitze - sei es zunächst als Vorstandschef oder später als oberster Kontrolleur. Für Volkswagen ist das kein Segen.
In der Öffentlichkeit wird über den 69-jährigen Ingenieur zwar nicht so viel diskutiert wie über Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, in Wirtschaftskreisen hingegen ist er ein Dauerthema. Piëch polarisiert. Genialer Techniker, betonen diejenigen, die ihn schätzen. Die meisten tun das aber nicht. Für sie ist er ein kaltschnäuziger, machtbesessener Egoist. In Wolfsburg hat er ein ausgeklügeltes System geschaffen, das es ihm - ohne die Aktienmehrheit zu halten - ermöglicht, VW de facto wie ein Imperator zu regieren. Piëch schmiedet Bündnisse, eliminiert Gegner und setzt sich so ziemlich über alles hinweg, was in der Geschäftswelt zum guten Takt gehört. Damit ist er eine einzigartige Erscheinung unter der an Egomanen nicht armen deutschen Wirtschaftselite.
Kaum jemand, ob Freund oder Feind, stellt außer Frage, dass der gebürtige Wiener eine exzentrische Persönlichkeit ist. Legendär ist, wie er seine Ingenieure wegen des richtigen Spaltmaßes zwischen Kotflügel und Motorhaube nervte. Den Namen "Fugen-Ferdi" haben sie ihn daraufhin verpasst. Die angelsächsische Presse hat rüdere Attribute für seine Person gefunden. Die "Financial Times" nennt ihn den "Rottweiler der Motorwelt", für "Business Week" ist er ein "streitsüchtiger Straßenkämpfer". Noch schillernder als seine berufliche Laufbahn ist sein Privatleben. Zwölf Kinder aus mindestens drei Beziehungen hat Piëch.
Wenn es dagegen um sein öffentliches Image geht, versteht Piëch keinen Spaß mehr. So zog er einmal gegen die "Wirtschaftswoche" vor Gericht, weil diese ihn mit der Aussage zitierte, dass er gar nicht genau wisse, wie viele Kinder er habe. Seinen Anwalt Matthias Prinz lässt er wegen Petitessen Gegendarstellungen schreiben - ganz gleich ob es um die Motive auf seinen Krawatten geht oder die Frage, ob er sich mit Gerhard Schröder duzt.
So detailverliebt wie nach außen, so machtbewusst und willkürlich wütet Piëch nach innen. "Er ist nachtragend. Wenn er die Macht hat, sich zu revanchieren, tut er dies gnadenlos", sagt ein Unternehmensberater, der nicht namentlich zitiert werden will. Damit ist er in guter Gesellschaft. So gut wie kein Weggefährte, weder ehemalige Vorstände noch Bereichsleiter noch unabhängige Berater, will sich öffentlich über den Enkel des Porsche-Gründers und VW-Käfer-Erfinders Ferdinand Porsche äußern.
Dabei hätten so einige der ehemaligen Weggefährten allen Grund dazu. Franz-Josef Kortüm etwa. Gleichzeitig mit Piëchs Wechsel an die VW-Spitze in Wolfsburg 1993 wurde Kortüm Chef bei Audi in Ingolstadt. Nach wenigen Monaten schrieb die Marke mit den vier Ringen auf einmal Verluste. Kortüm musste wenig später gehen, obwohl Kritiker einen Teil der Probleme dem Vorgänger anlasteten. Und der hieß Ferdinand Piëch.
Dass er so frei walten kann, hat viel mit den Allianzen zu tun, die er stets zu schmieden versteht. Schon vom ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder, der im VW-Aufsichtsrat das Land Niedersachsen vertrat, bekam der damalige Vorstandschef einen Freibrief ausgestellt. "Solange der Aufsichtsrat und ich Vertrauen zu Piëch haben, soll und muss er diese Dinge selbst entscheiden", sagte Schröder 1995.
Der Kernmarke VW hat diese Diktatur keinesfalls gutgetan. Das Unternehmen zählte schon unter Piëchs Regentschaft zu den unproduktiveren in der Branche - und daran hat sich bis heute wenig geändert. Laut VW-Markenvorstand Wolfgang Bernhard brauchte VW mit 50 Arbeitsstunden für einen Golf fast doppelt so lange wie manche Wettbewerber. Entsprechend schlecht ist es seit Jahren um den Börsenwert von VW bestellt. Toyota zum Beispiel ist mit einem Jahresumsatz von 165 Milliarden Euro Umsatz nicht mal doppelt so groß wie VW (95 Milliarden Euro). Aber die Japaner sind trotz des zuletzt kräftigen Anstiegs der VW-Aktie an der Börse sechsmal so viel wert.
Wenn es um seine eigene Leistung geht, legt der Aufsichtsratschef keinesfalls die gleichen Maßstäbe an sich wie an sein Umfeld. Nie scheint Piëch persönliche Konsequenzen auch nur in Erwägung zu ziehen, wie das Desaster um den Luxuswagen Phaeton zeigte: "Für solche Fehler hätte er Leute unter sich kurzerhand rausgeworfen", sagt ein Aufsichtsrat.
Wie milde der 69-Jährige sein kann, wenn es um seine eigene Person geht, zeigt auch seine Reaktion auf den Sex-Skandal im vergangenen Jahr. Das System der Vetternwirtschaft zwischen Management und Betriebsrat hatte zwar in den neun Jahren Piëchs als Vorstandschef seine Blütezeit. Doch der Aufsichtsratsvorsitzende redete schon kurz nach Ausbruch des Skandals so, als habe er mit alldem nichts zu tun. In den drei Jahren als Aufsichtsratschef sei er nur alle drei Monate in Wolfsburg gewesen, sagte er damals dem "Spiegel": "Ich wollte meinem Nachfolger die Arbeit nicht erschweren und habe mich stärker rausgehalten, als mir das viele zugetraut hätten."
Derzeit wird sogar darüber spekuliert, dass Piëch nicht wie geplant 2007 abtreten werde, sondern vielleicht doch noch eine weitere Amtszeit dranhängen könnte. Das aber ist gar nicht nötig. Mit Porsche als Großaktionär, VW-Chef Winterkorn an der Spitze und gefügigen Gewerkschaften hat Porsche-Großaktionär Piëch so viel Macht, dass er den offiziellen Posten des Aufsichtsratschefs gar nicht mehr braucht, um die Strippen zu ziehen.
Gut möglich, dass Piëch die Rolle des Drahtziehers trotzdem nicht reicht. Investmentbanker rechnen damit, dass Porsche eines Tages die Aktienmehrheit an Volkswagen übernehmen wird. Schließlich hat Piëch nie einen Hehl daraus gemacht, dass er ganz hoch hinaus will: "Es war immer mein Ziel, einmal eine größere Firma zu leiten als mein Großvater."
Artikel erschienen am 12.11.2006
WELT.de 1995 - 2006
|