https://www.embl.org/news/science/flexible-corona/
"... Zu Beginn einer COVID-19-Infektion dockt das Coronavirus SARS-CoV-2 mit Hilfe von Stachel-ähnlichen Proteinen an seiner Oberfläche an menschliche Zellen an. Dieses Protein steht im Zentrum der Impfstoffentwicklung, weil es beim Menschen eine Immunantwort auslöst. Eine Gruppe deutscher Wissenschaftler, darunter Mitglieder des EMBL in Heidelberg, des Max-Planck-Instituts für Biophysik, des Paul-Ehrlich-Instituts und der Goethe-Universität Frankfurt, hat sich mit der Oberflächenstruktur des Virus befasst, um Erkenntnisse zu gewinnen, die für die Entwicklung von Impfstoffen und wirksamen Therapeutika zur Behandlung infizierter Patienten benutzt werden können.
Das Team kombinierte Kryo-Elektronentomographie, Subtomogramm-Mittelung und Molekulardynamik-Simulationen, um die molekulare Struktur des Spike-Proteins in seiner natürlichen Umgebung, an intakten Viren und mit nahezu atomarer Auflösung zu analysieren. Mit Hilfe der hochmodernen Kryo-Elektronenmikroskopie-Bildgebungsanlage des EMBL wurden 266 Kryotomogramme von etwa 1000 verschiedenen Viren erzeugt, von denen jedes durchschnittlich 40 Spike-Proteine auf seiner Oberfläche trägt. Subtomogramm-Mittelung und Bildverarbeitung, kombiniert mit Molekulardynamik-Simulationen, lieferten schließlich die wichtigen und neuartigen strukturellen Informationen zu diesen Stacheln.
Die Ergebnisse waren überraschend: Die Daten zeigten, dass der kugelförmige Teil des Spike-Proteins, der die rezeptorbindende Region und die für die Fusion mit der Zielzelle erforderliche Maschinerie enthält, mit einem flexiblen Stiel verbunden ist. ?Der obere kugelförmige Teil des Spike-Proteins hat eine Struktur, die von rekombinanten Proteinen, die für die Impfstoffentwicklung verwendet werden, gut reproduziert wird,? erklärt Martin Beck, Gruppenleiter am EMBL und Direktor des Max-Planck-Instituts (MPI) für Biophysik. ?Unsere Erkenntnisse über den Stiel, der den kugelförmigen Teil des Spike-Proteins an der Virusoberfläche fixiert, waren jedoch neu.?
?Es wurde erwartet, dass der Stiel ziemlich starr sein würde,? fügt Gerhard Hummer vom MPI für Biophysik und dem Institut für Biophysik der Goethe-Universität Frankfurt hinzu. ?Aber in unseren Computermodellen und in den tatsächlichen Bildern entdeckten wir, dass die Stängel extrem flexibel sind. Durch die Kombination von Molekulardynamiksimulationen und Kryo-Elektronentomographie identifizierte das Team die drei Gelenke ? Hüfte, Knie und Knöchel ?, die dem Stängel seine Flexibilität verleihen. ?Wie ein Ballon an einer Schnur scheinen sich die Stängel auf der Oberfläche des Virus zu bewegen und können so nach dem Rezeptor für das Andocken an die Zielzelle suchen,? erklärt Jacomine Krijnse Locker, Gruppenleiterin am Paul-Ehrlich-Institut. Um eine Infektion zu verhindern, werden diese Stacheln von Antikörpern angegriffen. Die Bilder und Modelle zeigten aber auch, dass das gesamte Spike-Protein, einschließlich des Stiels, mit Ketten aus Glykanen ? zuckerähnlichen Molekülen ? bedeckt ist. Diese Ketten bilden eine Art Schutzmantel, der die Stacheln vor neutralisierenden Antikörpern verbirgt: eine weitere wichtige Erkenntnis auf dem Weg zu wirksamen Impfstoffen und Medikamenten ..."
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