FRANKFURT (Dow Jones)--Die Zinsperspektiven für das kommende Jahr sind zuletzt nicht unbedingt klarer geworden. Wenngleich sich die Inflation im Euroraum im September deutlich verringert hat, erwarten viele Ökonomen und auch Repräsentanten der Europäischen Zentralbank (EZB), dass der Preisauftrieb schon zu Jahresende oder spätestens Anfang 2007 wieder Fahrt aufnimmt. Gleichzeitig sind mit Blick auf Deutschland die Wachstumsprognosen für das kommende Jahr trotz der Mehrwertsteueranhebung nach oben revidiert worden. Es wird zwar immer noch eine Wachstumsabschwächung gegenüber 2006 erwartet, dies aber längst nicht mehr so deutlich wie noch vor einiger Zeit.
Vieles weist darauf hin, dass auch die gesamte Wirtschaft des Euroraums im kommenden Jahr stärker als bisher erwartet expandieren wird. So ist der Ölpreis in den vergangenen Wochen um rund 25% gefallen, was - vorausgesetzt, die Ölnotierungen ziehen nicht wieder kräftig an - dem Konsum 2007 zusätzlichen Spielraum geben sollte. Darüber hinaus haben sich die Anzeichen für eine härtere Landung der US-Konjunktur - mit entsprechenden Folgen für den Euroraum - bislang nicht verdichtet. Vor allem der Abschwung auf dem US-Immobilienmarkt hat noch keinen spürbar negativen Einfluss auf den privaten Verbrauch ausgeübt.
Trotz dieser zunehmend robusten Rahmenbedingungen haben sich bis zuletzt Erwartungen gehalten, dass die EZB Anfang des kommenden Jahres eine längere Zinspause einleiten wird. Zwar wird noch einmal für Anfang Dezember eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte vorhergesagt, die den Hauptrefinanzierungssatz der Notenbank auf 3,50% bringen würde. EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und andere Mitglieder des EZB-Rates haben diesen Schritt in den vergangenen zwei Wochen unzweideutig signalisiert. Mit Blick auf 2007 hat sich das 18-köpfige zinspolitische Gremium der Notenbank in jüngster Zeit aber sehr zurückgehalten.
Die Gründe für die vorsichtigen Zinserwartungen und eine defensivere EZB-Rhetorik sind immer noch zahlreich: die EZB-Leitzinsen nähern sich zunehmend dem neutralen Bereich und die Unsicherheit hinsichtlich der konjunkturellen und inflationären Folgen der Mehrwertsteueranhebung in Deutschland sind weiterhin groß. Daneben könnte der Ölpreis im Winter wieder hochschießen und in puncto US-Konjunktur ist noch längst nicht das letzte Wort gesprochen. Nach wie vor herrscht bei der Mehrheit der professionellen EZB-Watcher die skeptische Auffassung vor, dass einer oder mehrere dieser Faktoren die EZB Anfang 2007 zu einer abwartenden Haltung bewegen dürften.
Dennoch sind Zweifel unüberhörbar. Auch wenn es zuletzt Meldungen aus dem Dunstkreis der Eurosystems gegeben hat, die EZB könnte wegen der genannten Faktoren tatsächlich ab Januar in eine längere Zinspause gehen, ist ein gehöriges Maß an Vorsicht angebracht. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass die Konjunktur im Euroraum 2007 robuster als erwartet sein wird, ungeachtet einer restriktiveren Fiskalpolitik nicht nur in Deutschland und womöglich auch trotz eines abermaligen Anstiegs der Ölpreise. Eine robuste Wirtschaft und Inflationsraten von über 2% könnten die Tür für einen Leitzins in Richtung 4,00% sehr weit offen halten.
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