INTERVIEW-Krebs-Immuntherapie hübscht Medigene für Investoren auf - von Patricia Weiss Frankfurt, 19. Dez (Reuters) - Vor knapp drei Jahren stieg das für seine Genitalwarzensalbe bekanntgewordene Biotechunternehmen Medigene in die Immuntherapie von Krebs ein - nun zahlt sich dieser Schritt für die Bayern zunehmend aus. "Es gibt ein Rieseninteresse an unseren Immuntherapien", sagte Vorstandschefin Dolores Schendel in einem am Montag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters. "Die Ausrichtung auf die Immunonkologie war der Wendpunkt für Medigene." Jetzt ist die Firma, die eines der Gründungsmitglieder des TecDax war, nach sechs Jahren Abstinenz in den Index der 30 größten deutschen Technologiewerte zurückgekehrt und erhofft sich davon weiteren Auftrieb. "Das erleichtert uns die Zusammenarbeit mit vielen Investoren - wenn man nicht drin ist, ist man außerhalb des Radarschirms", sagte Dave Lemus, der im Vorstand das operative Geschäft verantwortet. Vor allem das Interesse von Investoren aus den USA sei groß. Medigene hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Das Unternehmen ging 1994 aus einer Ausgründung des Münchener Genzentrums hervor. Im Juni 2000 ging die Gesellschaft zu 42 Euro je Aktie an den Neuen Markt der Frankfurter Börse; zum Höhepunkt der Internet-Blase kosteten die Aktien vier Monate später 133 Euro. Danach ging es steil abwärts. Seit 2002 notieren die Titel ununterbrochen unterhalb der Marke von 20 Euro, zwischen 2005 und Anfang 2015 sogar unter zehn Euro. Der Tiefpunkt war im April 2013 mit einem Kurs von 0,735 Euro. Auch von anderen Hoffnungen musste sich das in Martinsried bei München ansässige Unternehmen verabschieden, wichtige Medikamentenprojekte brachten nicht den erhofften Erfolg. Zumindest kann Medigene aber für sich beanspruchen, mit der Genitalwarzensalbe Veregen die erste deutsche Biotechfirma gewesen zu sein, die ein eigenes Produkt auf den Markt gebracht hat. Sie bringt Medigene noch heute Umsätze von rund drei Millionen Euro im Jahr ein. DER "RIESENSCHRITT" Auftrieb kam mit der Ende September vereinbarten Partnerschaft in der Krebs-Immuntherapie mit der US-Biotechfirma Bluebird Bio. Sie spült Medigene eine Vorabzahlung von 15 Millionen Dollar in die Kassen. Zusätzlich winken Meilensteinzahlungen von über eine Milliarde Dollar, wenn alle präklinischen, klinischen, regulatorischen und kommerziellen Ziele innerhalb der Partnerschaft erreicht werden. Seit Bekanntgabe der Partnerschaft Ende September haben Medigene fast 50 Prozent zugelegt, während der TecDax im gleichen Zeitraum kaum vom Fleck kam. Medigene-Vorstand Lemus bezeichnet den Deal als "Riesenschritt". "Finanziell ist das wichtig, aber vor allem ist es eine Validierung unserer Technologie." Sie habe die Gesellschaft zudem in den Fokus von Unternehmen gerückt, die bislang kein größeres Interesse an Medigene gehabt hätten. "Viele Firmen, die wir vor dem Deal versucht haben zu kontaktieren, melden sich jetzt von alleine wieder und das Interesse ist spürbar gestiegen," sagte Lemus. Medigene hofft daher, eine weitere Partnerschaft abschließen zu können, macht aber keine Angaben über einen möglichen Zeitpunkt. Ein Kaufangebot sei für das Management momentan aber nicht interessant. "Unsere Bewertung spiegelt derzeit gar nicht den Wert wider, den Medigene nach unserer Auffassung hat." Lemus geht aber davon aus, dass sich der Wert von Medigene deutlich erhöht, wenn erste Produkte in die klinische Entwicklung gehen und erste Studienergebnisse vorliegen. "Dann dürfte das Interesse nochmal steigen, da dann auch das Risiko für potenzielle Übernahmeinteressenten sinkt." Medigene hat sich auf T-Zell-gerichtete Immuntherapien zur Krebs-Behandlung spezialisiert. Dabei werden T-Zellen, eine der Hauptwaffen des Immunsystems, so ausgerüstet, dass sie gezielt den Tumor angreifen. Die Immuntherapie gilt als eines der vielversprechendsten Felder der Krebsmedizin. In der Pharmabranche ist ein regelrechtes Wettrennen um die Vorherrschaft in diesem Milliardenmarkt entbrannt. Bislang gibt es weltweit noch kein einziges T-Zell-Rezeptor-Produkt auf dem Markt. In diesem Bereich könnten Marktzulassungen möglicherweise schon nach klinischen Phase II-Studien erfolgen. Das wäre bei Medigene laut Lemus frühestens in viereinhalb bis fünf Jahren der Fall. Den Zukauf von weiteren Wirkstoffen zur Stärkung der Pipeline hält er nicht für nötig: "Wir könnten meine Lebenszeit und noch drei weitere mit unserer eigenen Technologie verbringen. Die Technologie ist so flexibel, wir haben so viele denkbare Projekte und hätten nie die Zeit und das Geld alle selbst zu entwickeln." (Mitarbeit von Hakan Ersen, redigiert von Till Weber. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 069-7565 1312 oder 030-2888 5168.) ((patricia.weiss@thomsonreuters.com; +49 69 7565 1281; Reuters Messaging: patricia.weiss.reuters.com@reuters.net, www.twitter.com/REUTERS_DE, www.reuters.de))
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