NATO-GIPFEL
USA wollen der EU die Türkei aufdrücken
Aus Prag berichtet Severin Weiland
Die USA haben sich auch in Prag für eine Aufnahme ihres strategischen Nato-Partners Türkei in die Europäische Union stark gemacht. Die deutsche Regierung spürt den Druck - und hält einen Zeitplan für die Aufnahme von Verhandlungen offen. AFP/DPA Abschluss der Nato-Tagung: Die Amerikaner setzten sich durch Berlin - Wann immer Verteidigungsminister Peter Struck in letzter Zeit mit seinem Kollegen Donald Rumsfeld gesprochen hat, lag dem Amerikaner ein Punkt ganz besonders am Herzen: Der Beitritt des Nato-Partners Türkei in die Europäische Union. Das, sagte der deutsche Verteidigungsminister auf dem Nato-Gipfel in Prag, "ist für die USA absolut prioritär". Doch das US-Engagement für den strategischen Partner an der Grenze zum Iran und Irak, der möglicherweise in einem kommenden Krieg gegen Bagdad eine entscheidende Rolle spielen könnte, stößt unter den Europäern nicht überall Gegenliebe. Vielleicht auch bei den Deutschen? "Wir haben da kein Problem", sagt Struck, "aber es gibt erhebliche Vorbehalte in Frankreich und anderen Ländern." Welcher Art diese sind, hat Struck seinem Kollegen Rumsfeld mit einem Vergleich klarzumachen versucht: Das sei ungefähr so, als würde Mexiko den USA als neuer Bundesstaat beitreten. Auch beim Nato-Gipfel in Prag wurden die Deutschen von den Amerikanern auf die Türkei angesprochen. Der Bundeskanzler gab sich in öffentlichen Erklärungen zurückhaltend - dass Deutschland "kein Problem" mit einem EU-Beitritt hätte, sondern nur andere Länder, davon spricht er nicht. Aber Gerhard Schröder blockiert auch nicht, hält die Perspektive eines EU-Beitritts für Ankara offen und nimmt dabei sogar starke Worte in den Mund. Deutschland, sagt der Kanzler in Prag, habe ein "nationales Interesse, die laizistischen Kräfte in der Türkei zu unterstützen".
Doch ob Ankara schon auf dem kommenden EU-Gipfel Anfang Dezember in Kopenhagen einen Termin für den Beginn von Beitrittsverhandlungen erhält, darauf legt sich Schröder in der tschechischen Hauptstadt nicht fest. Vieldeutig spricht er davon, die Türkei würde "ein weitergehendes Signal erleichtern", wenn sie die inneren Reformen fortsetzt und die Zypern-Frage löst.
Zypern als Streitfrage
AP Türkischer Wahlsieger Tayyip Erdogan: Reformen für den Beitritt Hier hat es, von türkischer Seite, in letzter Zeit Bewegung gegeben. Die Insel ist seit der Besetzung durch türkische Truppen Anfang der siebziger Jahre in einen griechischen und türkischen Teil geteilt. Sollte die Insel wiedervereinigt werden, würde sie wohl über kurz oder lang Mitglied der EU werden - damit wären die zypriotischen Türken in der Union, das Mutterland aber nicht.
Vor dem Prager Nato-Gipfel hatte Schröder den Vorsitzenden der islamisch-konservativen AKP, Tayyip Erdogan, in Berlin empfangen, der kürzlich die Wahlen in seinem Land gewonnen hatte. Zwar hatte Schröder bei dieser Zusammenkunft sein Wohlwollen über einen EU-Beitritt erkennen lassen, sich aber nicht zu Zeitplänen oder Statusfragen geäußert. Das Thema ist für den Kanzler auch innenpolitisch heikel: CDU und CSU sind gegen eine Vollmitgliedschaft, wollen aber - wie jüngst Volker Rühe vorschlug - mit Sonderbeziehungen das Land am Bosporus an die EU binden.
Das Interesse der US-Regierung für eine EU-Aufnahme der Türkei hat vor allem strategische Gründe. Das Land grenzt an Iran und den Irak, ist eines der wenigen verlässlichen Partner in einer ansonsten unruhigen Region. Zudem liegt auf dem Boden der Türkei mit Incirlik einer der größten US-Stützpunkte der Welt. Von hier aus starten seit Jahren Jets, um die Flugverbotszonen im Irak zu überwachen.
Als wahrscheinlich gilt, dass der Stützpunkt auch bei einem möglichen Krieg gegen Saddam Husseins Regime genutzt wird. Zwar hatte sich die sozialdemokratisch geführte Vorgängerregierung der AKP in diesem Punkt reserviert gezeigt. Einer der an 50 Staaten gesandte Briefe Washingtons mit der Frage um Hilfeleistungen im Falle eines Irak-Krieges ging jedoch auch an die Türkei - die Nutzung des Stützpunktes dürfte darin ein Kernelement amerikanischer Wünsche sein.
Deutsche wollen nichts von Druck wissen
DPA Ein in Incirlik stationierter US-Kampfjet F-15 auf Inspektionsflug zur nördlichen Flugverbotszone Dass die US-Regierung in Prag auf die Deutschen Druck ausgeübt hat, um den Nato-Partner Türkei in die EU zu bugsieren, wurde von deutschen Seite zurückgewiesen. Als der Kanzler danach auf einer Pressekonferenz gefragt wurde, reagierte er scharf: "Sie bringen da etwas in Beziehung, was mit angeblichen, mir nie zur Kenntnis gelangten Forderungen unserer Freunde in den USA zu tun hat".
Vor Wochen hatte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" unter Hinweis auf diplomatische US-Quellen über eine angebliche Liste Washingtons mit Forderungen an die Deutschen für den Fall eines Irak-Krieges berichtet. Unter anderem solle Deutschland sich für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei stark machen. Eine solche Liste wurde und wird von der Bundesregierung dementiert. Auch in Prag wiederholte Verteidigungsminister Struck, es gebe sie nicht.
Der Streit um die richtige Bezeichnung - ob Liste oder nicht - ist allerdings fast schon nebensächlich angesichts der Tatsache, dass in Prag die amerikanischen Gesprächspartner von vier Punkten, die damals in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" genannt wurden, drei durchsetzten: Die Einrichtung einer Nato-Eingreiftruppe ist vereinbart, die Deutschen stemmten sich nicht gegen eine Nato-Resolution zum Irak, die Überflugrechte von US-Stützpunkten in Deutschland sicherte der Kanzler bereits zu. Und der vierte Punkt, die Frage der EU-Mitgliedschaft der Türkei, ist immerhin schon ein halber Punktsieg der US-Regierung - das Thema bleibt auf der Agenda.
Ankara kann also darauf vertrauen, dass die US-Regierung sich weiterhin für sie stark macht. Auch in Berlin. Dass die Aufnahme in die EU kein einfaches Feld für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ist, zeigte sich an den Reaktionen des deutschen Außenministers. Gefragt, ob die US-Regierung in Prag eine Drohkulisse aufgebaut hätten, reagierte Joschka Fischer ungehalten: "Es gibt keine Drohkulisse, es gibt ein nachdrückliches Interesse der Amerikaner". Die Aufnahme der Türkei in die EU könne, betonte Fischer nachdrücklich, "nur in Europa entschieden werden."
Quelle: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,223940,00.html
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