EHEBRUCH UNTER STRAFE
Streit zwischen EU und Ankara eskaliert
Der türkische Premier Erdogan hat sich scharf gegen eine Einmischung der Europäischen Union in die Diskussion um Strafen für Ehebrecher in der Türkei verwahrt: "Wir sind die Türkei, wir sind Türken. Wir werden selbst entscheiden." Der Streit könnte CDU-Chefin Merkel in die Hände spielen.
REUTERS Tayyip Erdogan: "Wir werden selbst entscheiden" Ankara/Berlin - Regierungschef Recep Tayyip Erdogan reagierte heute selbstbewusst auf Kritik von EU-Kommissionssprecher Jean-Christophe Filori, der zuvor Ankara davor gewarnt hatte, die Bestrafung von Ehebruch doch noch in die Strafrechtsreform aufzunehmen. "Dies wäre ein falsches Signal", sagte Filori mit Blick auf die von der Türkei angestrebte Aufnahme in die Europäische Union.
Erdogan deutete dagegen auf einer Pressekonferenz in Ankara trotzig an, dass den umstrittenen Paragrafen im Gesetz zu lassen. Niemand sollte den von der Türkei angestrebten EU-Beitritt dazu nutzen, Druck auf sein Land ausüben. Die Türkei habe alle Bedingungen der EU für den Beginn von Beitrittsgesprächen erfüllt. Seine Partei werde aber die Gefühle der Türken und die eigenen Prinzipien bei der Gesetzesarbeit berücksichtigen.
Im Moment ist die Reform im türkischen Parlament vorerst auf Eis gelegt worden. Mit der geplanten Reform soll das 78 Jahre alte Strafrecht in Einklang mit der EU-Gesetzgebung gebracht werden, um einen Beitritt der Türkei zu ermöglichen. Am Dienstag wurde das Paket im Parlament eingebracht. Nach massivem Druck in der Türkei und auch der Europäischen Union hatte die Regierung den Gesetzentwurf zum Ehebruch zurückgezogen. Doch gestern versuchten konservative Mitglieder der Regierungspartei AKP, einen modifizierten Paragrafen zur Abstimmung zu bringen, mit dem "sexuelle Untreue" geahndet werden sollte.
Verheugen: "Die Entwicklung ist sehr beunruhigend"
AP Günter Verheugen: Reform des Strafgesetzbuches ist eine Grundvoraussetzung Auch EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen äußerte heute große Besorgnis über eine Verschiebung der türkischen Parlamentsentscheidung über ein neues Strafgesetzbuch. Das Gesetzbuch sei ein zentrales Kriterium für die Beurteilung, ob die Türkei ein Rechtsstaat sei, sagte er im belgischen Leuven. "Die Entwicklung in der Türkei ist sehr beunruhigend", sagte Verheugen.
Er rief die Türkei auf, ihr neues Strafgesetzbuch zügig noch vor dem 6. Oktober zu verabschieden. "Ich kann nur sagen, es wäre bedeutend besser, wenn das neue Strafgesetzbuch beschlossen wäre. Denn dies ist das zentrale Kriterium für die Frage, ob die Türkei die Bedingungen eines Rechtsstaates erfüllt", sagte er. Verheugen machte deutlich, dass die Kommission ihren Bericht über die politischen und wirtschaftlichen Reformen der Türkei hin zu EU-Standards nicht wegen der türkischen Debatte verschieben werde. Es gebe keinen Grund, den Bericht nicht planmäßig vorzulegen.
Der Bericht ist vorentscheidend dafür, ob die EU Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufnimmt. Die endgültige Entscheidung liegt bei den 25 Staats- und Regierungschefs der Union im Dezember. Verheugens Sprecher sagte, eine Bestrafung von Ehebruch "würde selbstverständlich Zweifel an der Richtung der türkischen Reformanstrengungen wecken und könnte die europäischen Aussichten der Türkei verkomplizieren".
EU-Diplomaten hatten bereits zuvor mit Unverständnis darauf reagiert, dass sich wegen des Streits die Annahme des Strafgesetzbuches verzögern dürfte. "Ausgerechnet wenn alles so gut läuft, scheinen sie (die Türken) sich selbst in beide Füße zu schießen", sagte ein EU-Diplomat in Ankara.
In der Türkei hatten Liberale und Frauenrechtsgruppen Empörung über die Pläne geäußert, untreue Ehepartner in Gefängnisse zu sperren. Sie sahen darin die Einführung islamischen Rechts.
Merkel-Initative bleibt umstritten
DDP CDU-Chef Merkel: Augf der Suche nach Unterstützung für ihre Anti-Türkei-Koalition Der Beitrittswunsch des Landes ist innerhalb der EU ohnehin umstritten. Mit einem Appell gegen einen türkischen Beitritt löste in Deutschland die CDU-Vorsitzende Angela Merkel eine Debatte aus, die die CDU nach Einschätzung aus Parteikreisen in Brüssel mindestens bis zum 6. Oktober am Laufen halten will. Merkel hatte in einem Brief an konservative Parteiführer, Regierungschefs und Mitglieder der EU-Kommission für ihr Konzept der "privilegierten Partnerschaft" mit der Türkei geworben. Sie kündigte zugleich an, ihr Konzept auch im Bundestag erneut zur Debatte zu stellen.
Der Vorsitzende des Europa-Ausschusses des Bundestages, Matthias Wissmann, und CSU-Landesgruppenchef Michael Glos warnten heute abermals vor einer finanziellen und wirtschaftlichen Überforderung der EU bei einer Aufnahme der Türkei. Von einer "klaren Abschottungspolitik" sprach dagegen der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Hakk Keskin. Er zeigte sich über Merkels Initiative empört. Keskin warf der Union vor, sich mit ihrer Position gegen die größte kulturelle Minderheit in Deutschland auszusprechen.
Vorbehalte gibt es allerdings besonders deutlich auch in Österreich, wo sich auch Regierungsmitglieder skeptisch geäußert haben. Andere auch konservative Regierungen unterstützen dagegen die Türkei. Die Bundesregierung hat dem Land Unterstützung zugesagt. Beitrittsverhandlungen des islamisch geprägten Landes mit seiner wachsenden Bevölkerung von derzeit 70 Millionen Menschen dürften nach Einschätzung von Befürwortern zehn bis 15 Jahre dauern.
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