31.10.11 13:12 dpa-AFX: HINTERGRUND: Wein anbauen, Schnecken züchten: Junge Griechen fliehen aufs Land ATHEN (dpa-AFX) - Eine solche Zukunft hätte er für sich nie für möglich gehalten - dass er einmal auf einem staubigen, heißen Feld arbeiten würde. Doch der Börsenmakler Giannis Pantoulis ist heute Weinbauer. Vor zwei Jahren packte er seine Familie und sein Hab und Gut in einen Lkw und zog zurück in das Dorf seines Vaters im Norden Griechenlands. Er habe das Platzen der griechischen Schuldenblase kommen sehen und rechtzeitig aussteigen wollen, sagt Pantoulis. Heute schwitzt der 40-Jährige in seinem Weinberg statt über Aktienkursen.
'Anfangs dachten alle, ich sei verrückt', erzählt er. Tatsächlich sei der Neuanfang hart gewesen. Und es brauche Jahre, bis Weinanbau profitabel sei. 'Aber jetzt sehen viele, dass es in den großen Städten nichts für uns gibt. Unsere Politiker haben uns hängen lassen.' Auch viele andere wollten jetzt weg aus Athen, Thessaloniki oder Patras: 'Die Situation ist hoffnungslos.'
Die Fakten sind deprimierend: Die Lebenskosten für die Griechen steigen, doch Löhne und Pensionen sind immer neuen Kürzungen unterworfen. Die Arbeitslosigkeit erreicht Höchststände. Kein Wunder, dass die Anti-Schulden-Maßnahmen der Regierung auf immer größeren Widerstand in der Bevölkerung treffen.
Fast 60 Prozent der Griechen seien gegen das neueste EU-Hilfspaket, heißt es in einer kürzlich von der Tageszeitung 'To Vima' veröffentlichten Umfrage. Die EU-Maßnahmen verletzten die Souveränität Griechenlands, das Land gerate immer stärker in den Würgegriff internationaler Geldgeber. Und das Schlimmste: Besserung ist nicht in Sicht.
Eine Rückkehr aufs Land erscheint da als ein Ausweg. Fast 60 000 Griechen taten diesen Schritt in den vergangenen zwei Jahren. Damit kehren sie einen jahrzehntelangen Trend um. Die Vorfahren der Neu-Bauern hatte es in die Städte gezogen, viele ließen damals Grundbesitz zurück. Dorthin treibt es viele nun.
Dimitris Michaelidis vom griechischen Verband junger Bauern sieht weiter steigendes Interesse. Immer mehr Menschen ohne Arbeit suchten eine regelmäßige Beschäftigung und geringere Lebenshaltungskosten - ein Bauernhof biete genau das, meint er. 'Wir können kaum den Anfragen nachkommen.' Die Leute wollten etwa wissen, 'was wo am besten wächst'.
Die 30-jährige Marketingexpertin Evi Papadimitriou züchtet neuerdings Schnecken. 'Ich konnte es mir nicht länger leisten, in Athen zu wohnen, und meine Familie hatte dieses lange aufgegebene Stück Land', erzählt sie. Große Erwartungen hat sie nicht: 'Falls ich es schaffe, davon zu leben, bin ich schon glücklich.'
Strand statt Büro: Der 22 Jahre alte Computerfachmann Mammas Pashalis taucht im Mittelmeer nach Schwämmen, um irgendwie über die Runden zu kommen. Im gelernten Beruf hat er keine Arbeit gefunden, jetzt hilft er seinem Vater, der am Strand von Rhodos einen kleinen Stand betreibt. Ein Broterwerb ist das bestenfalls, mehr nicht.
Andere wollen weiter weg. Vor Jahrzehnten waren es Hunderttausende Arbeiter und Bauer, die aus Griechenland vor allem in die USA und nach Australien zogen. Heute sind es dagegen vor allem junge, gebildete Griechen, die das Land verlassen. Die stark sinkenden Einkommen und eine Jugendarbeitslosigkeit von geschätzten 28 Prozent für 2011 treiben sie fort. Nicht zuletzt fliehen sie vor der Schuldenlast, die die Elterngeneration angehäuft hat.
Das Internet ist voll mit Tipps für potenzielle Auswanderer. Nach Angaben der internationalen Arbeitsagentur haben im September mehr als 13.000 Griechen ihre Lebensläufe ins Netz der Agentur gestellt. Noch im September 2008 waren es lediglich 2200. Fast zwei Drittel der Bewerber seien unter 30.
Die Biologin Evgenia Tsakili ist eine von ihnen. Sie hat so Arbeit in einem Forschungslabor auf Zypern gefunden. 'Ich konnte in Griechenland keinen Job finden, und ich glaube, die Situation wird sich in den nächsten Jahren nicht verbessern', sagt sie.
Das Frankfurter Büro des World Council of Hellenes Abroad, einer Organisation für Auslandsgriechen, wird mit Anfragen überhäuft. Die Mehrheit der Anrufer seien junge, gebildete, aber arbeitslose Leute zwischen 30 bis 35, erzählt Giorgos Amarantidis. 'Sie wollen in Deutschland arbeiten und suchen unseren Rat und Hilfe.'
Nach seinen Schätzungen sind etwa 4000 Griechen in den vergangenen drei Monaten nach Deutschland gekommen - viele ohne konkrete Aussicht auf einen Job. 'Ich sage ihnen als allererstes, dass sie Deutsch lernen müssen. Sie sind hier im Wettkampf mit hochgebildeten Arbeitern aus der ganzen Welt'.
Junge Griechen seien entsetzt vom Zustand des griechischen Staats und hätten das Vertrauen in das System verloren. 'Und sie sagen, dass sie nicht nach Griechenland zurückkehren werden.' /cp/DP/jsl
--- Von Christine Pirovolakis, dpa ---
----------- Finanzielle Probleme lassen sich am besten mit anderer Leute Geld regeln. (J. Paul Getty)
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