Seit der vormals krebskranke Lance Armstrong 1999 zum ersten Mal die Tour de France gewann, verfolgen ihn Dopingverdächtigungen. Auf dieser Frankreich-Rundfahrt muss sich der Radsport-Superstar auch mit Außenseiter Felippo Simeoni auseinandersetzen, der Armstrongs Trainingsberater Michele Ferrari schwer belastet.
Sportlich stellt Felippo Simeoni keinerlei Gefahr für Lance Armstrong dar. Sein größter Erfolg in diesem Jahr war ein Etappensieg bei der Österreich-Rundfahrt, und als 159. des Gesamtklassements liegt der italienische Domina-Vacanze-Profi schon fast 40 Minuten hinter dem fünffachen Tour-Gewinner zurück. Dennoch dürfte es dem US-Postal-Kapitän sehr zupass gekommen sein, dass Ausreißer Simeoni auf der neunten Etappe 30 Meter vor der Ziellinie in Guéret vom Peloton gestellt wurde. Denn als Tagessieger hätte Simeoni, Weltranglisten-329., auf einmal im Zentrum des Medieninteresses gestanden. Und der 32-Jährige aus Desio hat eine Geschichte zu erzählen, die Armstrong überhaupt nicht gerne hört. Sie handelt von Doping.
Simeoni ist der Hauptbelastungszeuge im Prozess gegen den italienischen Sportarzt Michele Ferrari, 50, Armstrongs Trainingsberater und Freund. Der Mediziner aus Ferrara ("Epo ist nicht schädlicher als fünf Liter Orangensaft") muss sich seit Anfang 2002 wegen Beihilfe zum Doping vor einem Gericht in Bologna verantworten. "Ich habe nach Anweisung von Ferrari Epo und Wachstumshormone genommen", hat Simeoni ausgesagt, der sich von 1996 bis 1997 von dem berühmt-berüchtigten Sportmediziner behandeln ließ. Außerdem habe Ferrari ihm beigebracht, wie er einen überhöhten Hämatokritwert senken kann, um den Dopingfahndern zu entkommen. "Ich war fasziniert von ihm", begründet Simeoni, der von 1992 bis 1999 mit unerlaubten Hilfsmitteln ein besserer Radfahrer zu werden versuchte, warum er damals den Kontakt zu Ferrari suchte.
"Armstrong macht einen Fehler"
Seit Journalisten seine eigene Zusammenarbeit mit "Dottore Epo" während der Tour de France 2001 enthüllten, verteidigt Armstrong Ferrari uneingeschränkt. "Die Medien halten ihn für schuldig. Ich versichere, dass er es keineswegs ist, und erkläre: Michele Ferrari ist absolut unschuldig. Man will ihn diskreditieren. Er ist kein Mediziner mehr, sondern ein Verfolgter", erklärte Armstrong zum Beispiel vor zwei Jahren im italienischen Fernsehen.
Damit lehnt sich der US-Amerikaner sehr weit aus dem Fenster. Denn in Ferraris Sportmedizinischem Institut der Universität Ferrara hatte die italienische Staatsanwaltschaft detaillierte Unterlagen über rund 60 Radprofis gefunden, teilweise mit genauen Trainingsplänen inklusive Dopinganweisungen. Es tauchen prominente Namen auf wie Ivan Gotti, Pawel Tonkow, Abraham Olano, Mario Cipollini oder Kevin Livingston. Und nach Simeonis Aussage haben auch andere Fahrer ihr Schweigen gebrochen und Ferrari belastet. "Es war großartig, wie Armstrong den Krebs besiegt hat und dann zur Tour zurückkam und sie gewonnen hat. Aber er macht jetzt einen Fehler, indem er sich auf die Seite von Ferrari schlägt", kritisiert Simeoni.
Von Armstrong als Lügner beschimpft
Für den Italiener, der für seine Dopingvergehen vier Monate gesperrt war, hat Armstrong nur noch Verachtung übrig; er hält Ferrari weiter für einen "Ehrenmann". Im vergangenen Sommer schimpfte der US-Amerikaner seinen Gegner aus der letzten Reihe öffentlich einen Lügner. "Ich habe begriffen, dass ich mir Armstrong zum Feind gemacht habe, indem ich die Wahrheit sagte", reagierte Simeoni schockiert. Doch zurückweichen will er vor dem mächtigsten Mann im Peloton nicht: "Ich habe Armstrong wegen Doping niemals persönlich angeklagt, das würde ich mir niemals erlauben. Aber ich habe das Richtige getan, als ich vor Gericht ausgesagt habe." Gegen den Vorwurf, die Unwahrheit zu sagen, hat Simeoni eine Verleumdungsklage angestrengt.
"Wir werden die Presse bald darüber informieren, wie das Urteil ausfällt", sagt der Italiener lächelnd, als wisse er mehr, "ich bin sehr zuversichtlich." Egal wie die Richter in Latina entscheiden, das Verhältnis zwischen Simeoni und Armstrong wird sich nicht verbessern. Als sich die ungleichen Rivalen vor einigen Tagen am Start zufällig begegneten, bekam Simeoni fast eine Gänsehaut: "Armstrong war eiskalt. Er tat so, als würde ich nicht existieren."
http://www.spiegel.de/sport/sonst/0,1518,308726,00.html
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