Schröder oder Stoiber? Josef Joffe fordert den Wechsel. Schröder hat seine Chance vertan. Ihm fehlt die Kraft zu Reformen, die das Land braucht Von Josef Joffe, Die Zeit Regierungen werden nicht gewählt, sondern abgewählt - wie zuletzt und zu Recht die von Kohl nach einer Ära der Stillstandsverwaltung. Und die Regierung Schröder? Auch sie hat die Wiederwahl nicht verdient. Denn Rot-Grün hat nach einem fulminanten Start seine große Chance so kleinmütig wie opportunistisch verspielt. Die Regierung hat ein fast hundert Jahre altes "Blut und Boden"-Staatsbürgerrecht in die europäische Moderne getragen. Sie hat Staatskonzerne (teil-)privatisiert, eine respektable Steuerreform vorgelegt - mit einer Entlastung von 57 Milliarden Mark. Sie hat versucht, dem Kollaps der Sozialsysteme mit der privaten Vorsorge entgegenzutreten. Nichts konnte die Absage an das alte Denken plastischer illustrieren als die Entmachtung ihres Lordsiegelbewahrers Oskar Lafontaine, nichts die Geburt der Neuen Mitte so zelebrieren wie das Schröder-Blair-Papier von 1999. Das Papier strotzte vor richtigen Einsichten. Nie dürfe sich der Staat als "Ersatz für die Wirtschaft betrachten". Chancengleichheit dürfe nicht mit "Ergebnisgleichheit verwechselt" werden. Die "Stärken des Marktes" dürften nicht länger "unterschätzt" werden. Dazu der Ausbruch aus dem Ghetto außenpolitischer Verantwortungslosigkeit. Kühn die Klientel missachtend, haben Schröder und Fischer für den Frieden nicht demonstriert, sondern agiert: mit der Bundeswehr auf dem Balkan, mit dem Antiterrorkampf in Afghanistan. Rot-Grün war im Westen angelangt. Vorbei. Heute muss Schröder an seinem eigenen Standard gemessen werden, und das Urteil lautet: "Vier Jahre Opposition." Von der "uneingeschränkten Solidarität" zum kodierten Antiamerikanismus, von der gereiften Mittelmacht zum zipfelmützigen Gartenzwerg war es nur ein kurzer Schritt. Wenn er's doch wenigstens für die Staatsräson getan hätte, als er Amerikas "Abenteuer" geißelte, als er selbst einem UN-Mandat gegen den Irak die Gefolgschaft verweigerte, als er sich gar brüstete, Bush das Telefongespräch versagt zu haben! Plötzlich kannte der Kanzler keine Staatsräson mehr, sondern nur noch zwei deutsche Parteien, die seine wie die grüne. Leider lässt es sich nicht gnädiger ausdrücken, als es die deutsche Financial Times getan hat: Mit seinem National-Populismus habe "Schröder bewiesen, dass er bereit ist, den Interessen des Landes zu schaden, um seinen eigenen zu nutzen". Das Fatale daran? Schröder wusste, was er tat. Sonst wären nicht schon die Beschwichtigungskünstler unterwegs: "Bitte nicht ernst nehmen, das gilt nur bis zum Montag nach der Wahl." So kann man einen SPD-Kreisvorsitzenden besänftigen, nicht einen "weiß glühenden" George Bush, wie aus Washington vernommen wird. Es geht aber nicht ums Liebkindsein. Jeder Juniordiplomat hätte Schröder zwanzig Wege zeigen können, auf denen er den Häuserkampf in Bagdad ebenso vermeiden konnte wie den Tiefschlag gegen Deutschlands ältesten und mächtigsten Verbündeten. So aber signalisiert Berlin, dass es nur zwischen Wahlkämpfen berechenbar sei und sonst gern auf Einfluss, Gemeinschaft und strategisches Interesse verzichte. Zu dem gehört, dass Saddam keine A-Waffen in die Hand bekommt. Nicht minder hart fällt das Urteil in der zweiten Schicksalsfrage aus, der Wirtschaftspolitik. Als "Motor der Modernisierung" hatte Schröder die mittig gewendete SPD gepriesen. Bloß begann der schon Ende 2000 zu husten. "Man kann doch nicht den Mehltau aus 16 Jahren Kohl beklagen und nach zwei Jahren mit den Reformen aufhören." Das sagte Grünen-Chef Fritz Kuhn. Das war "Vorwärts in die Vergangenheit!" Die Riester-Rente wurde zum bürokratischen Monstrum, die weitere Ladenschluss-Liberalisierung blockiert. Statt Lockerung des versteiften Arbeitsmarktes weg mit dem 630-Mark-Gesetz, her mit dem Knüppel gegen die "Scheinselbstständigkeit", rauf mit den jobvernichtenden Sozialabgaben. Das Betriebsverfassungsgesetz wurde verschärft. Bloß: Wer brauchte neun statt sieben Betriebsräte in Firmen mit über 200 Leuten? Antwort: die Gewerkschaften, die konservativste Kraft im deutschen Korporatismus. Und wer brauchte die Gewerkschaften? Antwort: Schröder, im nächsten Wahlkampf - daher sein "taktisches Schielen" (der Grüne Oswald Metzger). Heute ist "Schlusslicht D" auch Vorletzter unter 49 Industriestaaten im Ranking "Flexibilität und Anpassungsfähigkeit". Die Quittung ist der fast historische Höchststand der Arbeitslosigkeit. Schröders apologetischer Verweis auf die Weltkonjunktur ist nicht mal halb richtig. Warum wächst Frankreich fast dreimal, Spanien fünfmal und Euroland insgesamt doppelt so schnell wie Deutschland? Die Hauptkrankheit ist hausgemacht, und versagt hat Dr. Schröder, weil er die Immunkräfte der deutschen Wirtschaft noch geschwächt hat. Hartz? Das ist bloß die effizientere Verteilung des Jobmangels, nicht die Befreiung des Arbeitsmarktes von seinen Fesseln. Kann es Edmund Stoiber besser? Wenn's darum ginge, mit wem man lieber einen Bordeaux, eine Doble Corona aus Kuba genießen möchte, würde Schröder die Zweidrittelmehrheit kassieren. Stoibers Charme- und Charisma-Defizite sind so bekannt wie seine neue Kantenlosigkeit, die ihn daran hindert, auf dem Markt der Möglichkeiten mit eindeutigen Konkurrenzprodukten zu trumpfen. Aber dieser Markt ist schmal in Deutschland, wo jeder bereit ist, den Gürtel enger zu schnallen - bloß beim anderen. Deshalb geht es um die Wahl des kleineren Übels - nicht darum, das Steuer herumzuwerfen, sondern um fünf, zehn Grad zu drehen. Das kann Schröder nicht. Man huldigt nicht den Jesuiten in Partei und Gewerkschaft, um hinterher den Calvin zu geben. Die Chance, linke Orthodoxie von links zu reformieren, wie angeblich nur die Rechte Frieden machen kann, hat Schröder vertan. Auch Stoiber kann Deutschland nicht neu erfinden, aber die Union (zumal Merkel-Merz) ist im Kern marktwirtschaftlicher angelegt als die SPD und ihre IG- und ver.di-Bundesgenossen. Auf dem Programm stehen folglich mehr Tariffreiheit für die Einzelbetriebe, ein größerer Niedriglohnsektor in einem Land, wo niedrig qualifizierte Arbeit zum Kartellpreis keine Nachfrage findet, die Lockerung eines Kündigungsschutzes, der Arbeit vernichtet, indem er sie schützt. Annette Schavan wird keine Bildungspolitik à la Edelgard Bulmahn betreiben, die wähnt, dass man dem Wohlfahrtsempfänger Universität mit einem Gebührenverbot zur Weltgeltung verhelfen könne. Und ein Schäuble wird sich wie Stoiber hüten, den Wahlkampf zur Richtschnur aller Außenpolitik zu machen. Denn im Zweifel obsiegt bei den Bürgerlichen die Staatsräson. Es wird nicht gewählt, sondern abgewählt. Schröder gebührt die Abwahl umso mehr, als er einst sehr wohl wusste, wohin dieses Land zu führen sei. Im Inneren wie im Äußeren: Sein Leitstern von 1998/99 ist im Opportunismus versunken.
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