... dann ist wieder "Willy-Wahl". Diesmal der kleine Willy, der ist härta. ;O)
Hinter der Fassade
Ohne Hemmung spielt Schröder mit dem antiamerikanischen Ressentiment. Damit bedient er Nationalkonservative und Linke - und beweist, daß der rot-grüne Lernprozeß in Fragen von Krieg und Frieden ein oberflächlicher geblieben ist.
Was Kohl aus Vorsicht nicht zu wünschen wagte, scheint unter Schröder Wirklichkeit geworden zu sein: Deutschland ist aus dem Schatten seiner Geschichte herausgetreten. Die alarmistische Leidenschaft ist erkaltet, mit der noch vor wenigen Jahren über die "Wehrmachtsausstellung" oder Martin Walsers Versuche, Auschwitz aus dem Sinn zu bekommen, debattiert wurde. Die Republik hat es nicht mehr nötig, in imaginärer Abstoßung vom Nationalsozialismus ihre Daseinsberechtigung zu finden. Sie scheint sich vielmehr aus eigenem Recht zu begründen. Und zwar ihrer selbst so sicher, daß sie - wie mancher unkt - des Berufsstands der Geschichts- und Gegenwartsdeuter gar nicht mehr bedarf. Zu Zeiten von Rot-Grün hätte sich, so gesehen, die Ära der Geschichtspolitik selbst abgeschafft. Als Indiz dafür wird der Umstand betrachtet, daß Schröder nicht den geringsten Versuch unternommen hat, sein grundsätzliches Nein zu einem militärischen Schlag gegen den Irak in der alten bundesrepublikanischen Melodie des "Nie wieder!" zu intonieren.
Es spricht freilich einiges gegen diese freundliche Deutung. Schröder, der an Geschichte wenig Interessierte, ist instinktsicher genug, um zu wissen, daß er mit dem aus dem Hut gezauberten Wahlkampftrick Irak die antiamerikanische Seite des deutschen Volkskörpers kräftig zum Schwingen gebracht hat. Über die Grenzen von Generationen und Parteien hinweg kann er sich der erlösten Zustimmung all derer sicher fühlen, die so lange niemand Ernstzunehmenden mehr hatten, der ihre Verachtung gegenüber Amerika und ihre rückwärtsgewandte Sehnsucht nach der alten Bundesrepublik im stillen Winkel der Geschichte bedient und gepflegt hätte.
Der Kanzler ist viel zuwenig Sozialdemokrat von altem Schrot und Korn, um national oder gar nationalistisch zu sein. Doch mit der Art und Weise, wie er zu betonen beliebt, daß über Deutschlands Geschick nur Deutsche zu befinden hätten, schlägt er einen Herr-im-Haus-Ton an, der noch von keinem Regierungschef der Bundesrepublik zu hören war. Und die Lektüre von Heinrich August Winklers "Der lange Weg nach Westen" muß ihn darüber belehrt haben, wes Geistes Kind jene sind, die sich an solchen Tönen begeistern. Schröder versichert sich eines trüben Bündnisses: Die alten Nationalkonservativen (die schon lange von der Union enttäuscht sind) werden ihm ebenso zustimmen wie viele Bürger im Osten Deutschlands, die von der antiwestlichen und antidemokratischen Propaganda des DDR-Regimes nicht unbeeinflußt geblieben sind; die Friedensbewegten der achtziger Jahre, die um der Kontinuität der eigenen Lebenserzählung willen ihre Schieflage von damals nie begreifen wollten, sehen sich ebenso bestätigt wie die neuen, jungen Friedensaktivisten, die gerade eben das Pathos der Friedensrhetorik entdeckt haben. Eine nationale Koalition, in welcher der Streit um die deutsche Geschichte wahrhaft "aufgehoben" ist.
Daß sich Deutschland ausgerechnet unter Rot-Grün erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv an Kriegen beteiligt hat, ist als eine besonders subtile List der Geschichte gedeutet worden: Nur so habe der pazifistische Grundreflex der Republik, der in Wahrheit Ausdruck einer konsumbürgerlichen Ohne-mich-Haltung gewesen sei, überwunden werden können. Das sieht im Licht des neuen Spiels Schröders mit dem Isolationismus nun doch ganz anders aus. Der Kosovo-Krieg - der insbesondere vom Außenminister und vom damaligen Verteidigungsminister nicht aus der Gegenwart, sondern mit Rückgriff auf Auschwitz begründet worden ist - könnte so etwas wie das Stahlgewitter gewesen sein, durch das eine aus der Tradition des einäugigen Pazifismus kommende Linke hindurchmußte, um hernach mit reinem Gewissen zum Status quo ante zurückkehren zu können. Die Tatsache, daß mit einem antiamerikanisch grundierten Pazifismus wieder Stimmung gemacht werden kann und gemacht wird, läßt befürchten, daß sich die Mehrheit der rot-grünen Akteure doch nicht allzuweit von den Ausgangspositionen der goldenen achtziger Jahre entfernt hat. Jetzt zeigt sich: Es zählt und es fällt ins Gewicht, daß Rot-Grün nie die Bereitschaft oder das geschichtsphilosophische Vermögen aufgebracht hat, selbstkritisch den Geburtsfehler der Friedensbewegung einzugestehen - ihre faktische Einseitigkeit, ihre Blindheit gegenüber der sowjetischen Bedrohung und vor allem ihren naiven und daher politisch unverantwortlichen Glauben an die Möglichkeit einer Welt ohne Waffen und Kriege.
Der Außenminister versteht es, auf so weihevoll-zerknirschte Weise transatlantisch dreinzublicken, daß man den Eindruck gewinnt, seit Adenauers Zeiten habe es nie den geringsten Zweifel am Segen der Westbindung gegeben. Um so empörender ist es, daß sich - wie nun schlagartig klar wird - hinter dieser Regierungsfassade ein ganz anderes Denkgebäude verbirgt. Man denkt durchaus noch auf die alte Weise. In Washington regiert, wie nicht anders zu erwarten, ein ungehobelter Cowboy, dem nicht einmal die Deutschen die Einsicht in die Notwendigkeit von Frieden und Zivilität beibringen konnten. Die Hybris der Friedensbewegung, die in Deutschland nicht frei war vom Gefühl deutscher - aus Schuld geborener - Auserwähltheit, ist noch längst nicht verdorrt. Es hat etwas Schamloses, wenn sich Deutsche, die Amerika Freiheit und Frieden verdanken, in der Welt beliebt machen wollen, indem sie sich auf dem Rücken der Vereinigten Staaten als die einzig wahren Friedensspezialisten zu profilieren versuchen.
Rot-Grün hat sich nicht gescheut, am Ende dieser Legislaturperiode teilweise zu den eigenen Urgründen zurückzukehren. Die Lernprozesse waren weniger nachhaltig, als es aussah. Das ist sehr schade. Hätte die Linke ihren weltblinden Friedensrigorismus überwunden, hätte sie den Anteil des militärischen und gleichermaßen moralbegründeten Realismus am Erfolg der Bundesrepublik Deutschland wirklich anerkannt: Es wäre, anders als Schröders Spiel mit dem nationalen Sentiment, ein Beitrag zur nationalen Selbstfindung gewesen.
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