Von einer Investition von einer Mrd. war nie die Rede gewesen - das ist im Falle von Osram eine Riesen Investition, die mit enormen Risiken verbunden ist.
Ach? Und auf anderen Geschäftsfeldern spezialisierter Hightech-Nischenanbieter zu sein, die zusammen ein Investitions- und Kapitalbindungsvolumen von mehreren Milliarden Euro haben, ist nicht riskant?
Wie ich neulich schon schrieb, alles hat seine spezifischen Risiken. Produziere ich Massenmarkt-LEDs und somit einen Artikel der bereits in der Reifephase seines Produktlebenszyklus ist, dann brauche ich große, hoch effiziente Produktionsanlagen um genügend produzieren zu können, allein schon damit meine Kostenstrukturen halbwegs rentabel sind wenn der Stückgewinn bei wenigen Cent liegt, damit ich im Preiskampf bestehen kann. Das bedeutet eine hohe Kapitalbindung für den Bau einer neuen Fabrik. Aber wenn ich spezialisierter High Tech-Nischenanbieter für irgendetwas bin, dann sind meine unternehmerischen Risiken nicht kleiner. Ich werde mutmaßlich einen hohen Forschungs- und Entwicklungsaufwand haben der auch Millionen betragen kann, und wenn ich so eine Strategie auf mehreren Geschäftsfeldern fahre kann mein F+E-Aufwand auch über einer Milliarde liegen. Diese Anfangskosten bevor überhaupt eine einzige Produkteinheit produziert und abgesetzt ist stellen ein hohes Risiko dar, ebenso wie die Tatsache dass mein hoch spezielles Produkt vielleicht sehr schnell obsolet wird, und dass es für den Produktkern keine alternativen Anwendungen gibt weil das Produkt so speziell ist. Ich setze mit so einer Strategie sehr viel auf eine Karte. Und selbst wenn ich mich in allerfeinstem Marketing-Gewäsch damit brüste dass ich "zusammen mit meinen Kunden maßgeschneiderte anwendungsorientierte Lösungen" entwickle - was mache ich wenn dieser eine Kunde das alles nicht mehr braucht?
Was Osram betreibt ist ein Hedging seines Produktmixes. Die Allgemeinbeleuchtung als bisheriges Massen-Segment wird abgestoßen, und nun investiert man halt mit LEDs in ein neues Massen-Segment. Das ist m.E. nach dem Wegfall der Allgemeinbeleuchtung ein sehr weiser Risikoausgleich gegenüber den Hightech-Nischensegmenten. Vergessen dürfen wir dabei nicht, dass Osram hier ja nicht wie die Jungfrau zum Kind kommt, sondern dass sie bereits die weltweite Nummer zwei unter den LED-Herstellern sind und somit über Kernkompetenzen verfügen die mit dem neuen Werk in Malaysia sinnvoll erweitert werden können. Und noch viel wichtiger: in dem Werk in Malaysia sollen nicht nur LED-Chips für allgemeine Anwendungen produziert werden, sondern auch Beleuchtungseinheiten für Autos. Auch wenn Osram bereits die nächste Generation von Kfz-Beleuchtung vorgestellt hat mit der neuen Laserlicht-Technik, sind LED-Frontscheinwerfer immer noch ein Wachstumsmarkt.
Die Konzernstrategie von Osram ist daher in meinen Augen sehr gesund, sie ist ein ausgewogener Risiko-Chance-Mix der auf langfristige Profitabilität ausgerichtet ist. Und wer sich ein bisschen mit Finanz- und Investitionsmanagement auskennt, der wird wissen dass es für den letztendlichen Erfolg einer langfristigen Investition nicht immer darauf ankommt, ob sie sofort im ersten oder zweiten Jahr Gewinne abwirft. Und es ist dann auch egal wenn bei Osram nächstes Jahr die Marge stark sinken wird, solange es nicht die Unternehmensliquidität gefährdet.
Um mal etwas BWL-technischer zu werden: für den abgezinsten Bar- und auch den aufgezinsten Endwert einer mehrperiodigen Zahlungsreihe ist es schnurzpiepegal ob es in (oder nach) der Anfangsperiode zunächst stark negative periodenbezogene Zahlungssalden gibt, solange in den Perioden danach die Zahlungssalden ordentlich positiv sind. In den meisten BWL-Vorlesungen zu Investition und Finanzierung wird in den Rechenaufgaben sogar implizit immer vorausgesetzt dass es eine Weile braucht bis eine Investition überhaupt positive Zahlungsströme generiert. Kann mich jedenfalls nicht erinnern dass ich in meinen Klausuren damals Investitionen "ausrechnen" musste die aus dem Stand, und dazu noch ohne jegliches Risiko, sofort große Gewinne abwarfen.
Dass solche Erwägungen unter den ganzen kurzfristig orientierten "Gier-frisst-Hirn"-Spekulanten und Hedgefonds keinen Anklang finden und dass sie so eine Strategie mit 28 Prozent Kursverlust abstrafen, sagt mehr über deren Kompetenz aus als über die Kompetenz des Osram-Managements.
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