Handelsblatt Nr. 232 vom 30.11.05 Seite 17
Software prüft automatisch das Kreditrisiko und den Kundenwert Mit elektronischen Kreditvergabe-Instrumenten ermitteln Banken die Bonität JÜRGEN HOFFMANN | DÜSSELDORF Wer einen neuen BMW auf Pump kaufen will, wird für einige Sekunden elektronisch abgecheckt: Die BMW-Bank nutzt eine Software aus Martinsried bei München, um das Kreditrisiko abzuschätzen. " Guardean" heißt die Lösung der SHS Informationssysteme, die bei BMW Financial Services immer dann im Einsatz ist, wenn ein Kunde nach einer Finanzierung fragt. In weniger als einer Minute hebt oder senkt der elektronische BMW-Banker den Daumen. Für die Antwort erkundigt sich das System in Sekundenschnelle bei bis zu 25 europäischen Auskunfteien nach dem Interessenten.
Gerhard Haupt, bei BMW Financial Services für die Prozess-Harmonisierung in-nerhalb Europas verantwortlich, lobt das System. Es biete ihm " für jedes Land die besten Auskunfteien und Datenchecks" . So sei es seiner Firma gelungen, den Antragsvorgang und die Kreditsteuerung in elf Ländern zu optimieren, zu automatisieren und transparenter zu machen. Durch die Reduzierung der Risiko-, Prozess- und IT-Kosten spart das Finanzunternehmen Geld. Außerdem wähnt es sich durch die beschleunigten Kreditentscheidungen im Wettbewerbsvorteil. Das Kalkül: Ein Kunde, der von seinem BMW-Händler sofort ein " Ja" zum Kredit hört, unterschreibe möglicherweise sofort den Kaufvertrag, statt sich bei an-deren Autohäusern zu erkundigen.
SHS-Vorstandschef Dirk Roesing: will in Zukunft noch mehr Funktionen in die Software einbauen: Neben der Kreditrisikoprüfung sei es eben für Banken und Finanzdienstleister wichtig, realistisch einschätzen zu können, welches Ge-schäft sie mit ihrem Kunden noch machen können. " Der Kundenwert rückt zuneh-mend in den Mittelpunkt, um gezielt ein vertriebsorientiertes Kreditrisikomanagement betreiben zu können" , sagt Roesing. Daher werde das System künftig auch das Umsatzpotenzial des Kunden checken. Kann ihm ein grö-ßerer Wagen angeboten werden? Mit Kundenwert- und Lifestyledaten gefüttert, gibt der Berater aus Bits und Bytes auch darauf Antwort.
Markus Bergmann vom Frankfurter Beratungsunternehmen Pass Consulting Group attestiert der deutschen Bankenbranche mittelfristig " einen erhöhten Druck, die Prozesse bei der Kreditvergabe weiter zu verschlanken und zu automatisie-ren" . Alte, unflexible Systeme müssten ausrangiert werden: " Ausländische In-stitute sind weiter, weil sie in innovative, kostengünstige und hoch produktive Kreditplattformen investieren." Anbieter solcher IT-Systeme sind neben SHS etwa die amerikanische Fair Isaac mit Deutschlandsitz in München sowie Experian.
Welche Instrumente eine Bank bei der Bonitätsprüfung einsetzt, hängt von der Kreditform ab. Die so genannten Scoring-Modelle, wie sie für die Konsumenten-kredite bei BMW, aber auch Neckermann oder Vodafone genutzt werden, verarbei-ten Einzelmerkmale wie Beruf, Familienstand und Einkommen. Hinzu kommen Informationen wie Negativeinträge der Schufa und Meldungen anderer Auskunf-teien.
Edda Müller vom Verbraucherzentrale Bundesverband in Berlin ist der Ansicht, dass Scoring-Verfahren die Kreditnehmer " zum Spielball der Banken" machen. Sie fordert, dass " abwegige Kriterien" wie die Anzahl der Kreditanfragen des Kunden oder eine obere Altersgrenze bei den Verfahren ausgeschlossen werden. Stefan Stein, Geschäftsführer des Instituts für Kreditwirtschaft an der Ruhr-Universität in Bochum, hält Scoring-Methoden dagegen auch für die Kunden für sinnvoll. Er lobt die Objektivierung durch den Kollegen Computer: " Mit Ent-scheidungen aus dem Bauch heraus liegen Bankenberater viel häufiger schief als bei der Nutzung von Ratingverfahren." Hoffmann, Jürgen
30. November 2005
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