manager-magazin.de Biotechnologie: Hausse für Heiler
von Michael O. R. Kröher
Mittwoch 7. Januar 2004, 17:11 Uhr
Die amerikanische Biotech-Branche freut sich über gesundes Wachstum. Neue Produkte drängen in den Markt, die Aktienkurse steigen kräftig. Die deutschen Wettbewerber hingegen sind weit abgeschlagen. Droht ihnen das Aus? Das Ungetüm haust ganz tief drinnen. Anfangs ist es noch winzig, doch alsbald wächst es zu monströser Größe heran. Es nährt sich von dem Organismus, der ihn schützt, saugt ihn aus wie ein gieriger Parasit und bringt ihn früher oder später um. Es sei denn, eine kundige Hand killt ihrerseits den Killer.
Das Ungetüm heißt Krebs - die zweithäufigste Todesursache in den Industrienationen. Jährlich sterben über sieben Millionen Menschen an den verschiedenen Formen der bösartigen Tumore.
Die bedrückend hohe Zahl von Todesfällen könnte schon bald sinken. Der amerikanische Biotech-Konzern Genentech erprobt eine Arznei, die auf neuartige Weise wirkt: Das Mittel Avastin unterdrückt die direkte Blutversorgung, die Geschwulste für ihr Wachstum brauchen. Ohne eigene Adern verdorrt das todbringende Gewebe, oder es vergiftet sich selbst.
Die amerikanische Biotech-Szene sieht in Avastin den Durchbruch für die Krebsmedizin. Als Forscher vor einigen Monaten die Ergebnisse von Tests ihres Präparats veröffentlichten, schoss der Aktienkurs von Genentech um 45 Prozent in die Höhe. Der Börsenwert des Unternehmens - unter den Pharmamultis ein Zwerg mit nur 2,7 Milliarden Dollar Jahresumsatz - betrug Anfang November über 40 Milliarden Dollar.
Auch die Papiere der meisten anderen Biotech-Anbieter in den USA haben sich deutlich erholt. Die Börsenkrise, unter der die Branche ähnlich gelitten hat wie andere Hightech-Segmente, scheint überwunden. "Biotech is back", sagt Anders Hove, Chef von BB Biotech , international das zweitgrößte Unternehmen, das in die Branche investiert.
Amerikanische Biotech-Firmen steigern schon seit Jahren kontinuierlich ihre Umsätze, etliche machen Gewinne. Die positive Entwicklung könnte sich fortsetzen: In den vergangenen Monaten haben mehrere Unternehmen viel versprechende Präparate auf den Markt gebracht. Zudem stecken zahlreiche fertig entwickelte Produkte in den Pipelines - darunter Medikamente gegen Krebs, Rheuma, Schuppenflechte oder Virusinfektionen mit einem Umsatzpotenzial von jeweils über einer Milliarde Dollar pro Jahr.
Ganz anders die Situation hier zu Lande: Von den Blütenträumen einer deutschen Biotech-Arzneibranche ist nichts mehr übrig. Immer mehr Unternehmen wenden sich von der Arzneimittelentwicklung ab: Morphosys , angesiedelt im "Biotech-Valley" von Martinsried bei München, hat die Erfindung, Erprobung und Vermarktung eigener Präparate hintangestellt. Die Heidelberger Lion Bioscience musste solche Projekte ganz aufgeben (siehe "Biotechnologie: Notstand im Labor").
Mittlerweile sieht nur noch eine Hand voll der rund 360 deutschen Biotech-Buden ihr Kerngeschäft in der Arzneimittelentwicklung. Und von den verbliebenen Firmen hat keine einzige ein Präparat auf dem Markt.
Hier Schlappen, dort Wachstum - ein bitterer Befund. Wo liegen die Ursachen? Wie konnte es kommen, dass die Deutschen so weit abgeschlagen hinter ihren amerikanischen Wettbewerbern herhinken?
Langer Anlauf. Hauptgrund für die deutsche Misere ist der enorme Zeitverzug, mit dem die hiesigen Firmen gestartet sind. Fast zwei Dekaden lang lähmte eine technologiefeindliche Stimmung in breiten Kreisen der Bevölkerung die gentechnische Forschung und biotechnische Produktion. Erst in den 90er Jahren nahmen die Deutschen richtig Anlauf.
2000 gingen dann Unternehmen wie Medigene und GPC Biotech , beide aus dem subventionierten Hightech-Reservat von Martinsried, an die Börse und erlösten jeweils ein paar Dutzend Millionen Euro. Minimale Beträge angesichts der Tatsache, dass die Entwicklung eines neuen Wirkstoffs bis zu 800 Millionen Euro kostet und 10 bis 15 Jahre dauert. Kein Wunder, dass Medigene in diesem Jahr die Erprobung eines Krebsmittels aufschieben musste.
Während die Deutschen zurückfallen, preschen die Amerikaner voran. Die heutigen Branchenriesen wurden bereits in den 70er Jahren gegründet. Pionier Genentech emittierte 1980 seine Papiere an der New Yorker Börse. Dank des frühen Starts verfügen Amgen , Biogen und Co. seit Jahrzehnten über Massenmedikamente - Mittel zur Blutbildung für Nierenkranke, lebensrettende Injektionen bei Herzinfarkten oder Wachstumshormone. Diese Arzneien spülen den Unternehmen Milliarden Dollar in die Kassen.
Viele neue Produkte. Die Erlöse investieren Giganten wie Amgen (gut 10.000 Mitarbeiter, Jahresumsatz: knapp sechs Milliarden Dollar) großenteils in neue Wirkstoffe. Anzeige Der größte Biotech-Arzneihersteller der Welt gibt jährlich 1,16 Milliarden Dollar für Forschung und Entwicklung aus.
Der hohe Einsatz zahlt sich aus. Genentech zum Beispiel hat sich mit 10 Präparaten am Markt etabliert. 20 weitere Produkte befinden sich in den verschiedenen Phasen zur Erprobung ihrer Wirkung auf den Menschen. Rund 90 Prozent aller Arzneien, die so weit entwickelt wurden, schaffen die strenge Überprüfung durch die Zulassungsbehörden - und werfen wenig später hohe Gewinne ab.
Gegen die schiere Masse an fast fertigen Substanzen, über die viele amerikanische Firmen verfügen, kommen die kleinen deutschen Biotechies nicht an. GPC hat zwar fünf eigene Medikamente in der Pipeline, Medigene vier. Die meisten dieser Arzneikandidaten stehen jedoch noch am Anfang der Erprobung.
Richtiger Fokus. Die deutschen Firmen sind spät gestartet, fast immer mangelt es ihnen an Kapital. Obendrein haben sich die meisten bei der Produktentwicklung verzettelt.
Die Konkurrenten in der Neuen Welt hingegen konzentrieren sich. Die US-Firma Genzyme etwa ist auf angeborene, besonders schwere Defekte spezialisiert. Genentech legt den Schwerpunkt auf Krebsmittel. Medimmune stellt Impfstoffe her.
Die Fokussierung bringt zwei Vorteile. Zum einen kommen die Biotech-Firmen mit einer kleinen Vertriebsmannschaft aus, ihre Werbung beschränkt sich auf überschaubare Gruppen. Folge: Geringe Streuverluste, niedrige Kosten und traumhafte Renditen - bei einzelnen Präparaten zum Beispiel über 60 Prozent.
Zum anderen wird der Forschungsaufwand eingegrenzt. Biotech-Präparate wirken an bestimmten "Targets", etwa an einzelnen Rezeptormolekülen auf der Oberfläche von Krebs- oder Immunzellen. Diese Ziele zu finden ist aufwändig. Jede Biotech-Firma ist somit gut beraten, anfangs nur nach wenigen "Targets" zu fahnden.
Von Selbstbeschränkung halten deutsche Biotech-Arzneientwickler jedoch wenig. Medigene forschte gleichzeitig an fünf Präparaten - einem Herzmittel, einem Wirkstoff gegen Genitalwarzen, einem Impfstoff gegen Melanome, einem Medikament gegen Geschwulste in der Leber und einem gegen Hirnkrebs. Außerdem kaufte Medigene die Vertriebsrechte für eine Arznei gegen Prostatakrebs.
"Bei allem Verständnis für Risikostreuung", sagt Alexander Burger, Biotech-Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), "ein so buntes Produktportfolio ist in einer kleinen Firma kaum zu managen - und lässt sich unmöglich vermarkten."
Potente Partner. Auch im Vertrieb sind die US-Firmen den deutschen Nachzüglern weit voraus. So haben die Amerikaner frühzeitig erkannt, dass sie den riesigen Pharmaweltmarkt nicht ohne potente Partner durchdringen können.
Daher lässt zum Beispiel Imclone sein Darmkrebsmittel Erbitux von der deutschen Merck vermarkten. Die Kooperation beschert dem Biotech-Unternehmen ein weltweites Vertriebsnetz mit vielen hundert gut geschulten Vertretern und Beratern. Imclone braucht keine teuren Auslieferungslager für die empfindlichen Medikamente; ebenso entfällt das lästige Inkasso oder das Abarbeiten von Reklamationen.
Immerhin sehen sich jetzt auch die deutschen Biotech Arzneientwickler nach Partnern um. GPC kooperiert in der Forschung und Entwicklung schon länger mit seinem Großaktionär Altana und mit Aventis . Medigene ist auf der Suche nach einem kompetenten Vertriebspartner für das Krebsmittel Leuprogel, das Medigene in Lizenz herstellen darf.
Schnelle Bürokraten. Den jüngsten Vorteil im weltweiten Wettbewerb hat den US-Branchengrößen die Bürokratie beschert: Seit Jahresbeginn wird die Food and Drug Administration (FDA), die mächtige US-Behörde für die Zulassung von Arzneimitteln, wieder von einem entscheidungsfreudigen Chef geführt. Der Posten war nach der Wahl von Präsident George W. Bush vorübergehend verwaist, Zulassungsanträge für Medikamente stauten sich.
Der neue Leiter der FDA, Mark McClellan, hat die Verfahren für jene Arzneien beschleunigt, für die großer Bedarf besteht. Von dieser Regelung profitieren besonders die amerikanischen Biotech-Firmen, da sie die meisten Arzneien fertig entwickelt und dafür Zulassungsanträge gestellt hatten. Resultat: Im ersten Halbjahr 2003 wurden neun US-Präparate zugelassen, für die zweite Jahreshälfte rechnen die Experten mit mindestens sechs positiven Bescheiden.
Immerhin fiel auch für die Deutschen ein Brosämchen ab: Die Anti-Krebspille Satraplatin von GPC durchläuft in den Vereinigten Staaten nun ein vereinfachtes, schnelleres Zulassungsverfahren. Mithin könnte das Mittel bereits im nächsten Jahr fertig erprobt sein.
Ferne Hoffnungsschimmer. Ähnlich wie GPC vermelden auch andere deutsche Biotechnologiefirmen einzelne Erfolge. Zum Beispiel hat die kleine Münchener Firma Trion Pharma unlängst eine frühe Patientenstudie für ein Mittel gegen Eierstockkrebs abgeschlossen - mit positivem Ergebnis. Und bei der Berliner Mologen , der ältesten deutschen Biotech-Aktiengesellschaft, laufen Tierversuche für neuartige Impfstoffe.
Die Branche ruhe "auf einem soliden Fundament", sagt hoffnungsfroh Alfred Müller, Vorstand der Unternehmensberatung Ernst & Young. Leider bezieht sich Müller vor allem auf die Hersteller von Laborbedarf wie Qiagen oder auf Dienstleister wie Evotec OAI . Die Arzneimittelanbieter hingegen müssen sich mit winzigen Fortschritten begnügen, die den Abstand zu den US-Titanen allenfalls punktuell verringern.
Natürlich kann sich der Vorsprung der Amerikaner durch Rückschläge verringern. So ist noch längst nicht ausgemacht, dass das Krebsmittel Avastin von Genentech tatsächlich den Durchbruch für eine neue Form der Tumortherapie bringt.
Kann also alles noch anders kommen? Können die deutschen Biotechies beim Rennen um die Milliardenmärkte mit neuen Arzneien womöglich aufschließen - wenigstens in kleinen Segmenten?
Für die Börse ist die Entscheidung bereits gefallen. Der Höhenflug der amerikanischen Biotech-Aktien hält an. Dagegen ist im deutschen Tec-Dax 30 mittlerweile nur noch ein einziges Biotech-Unternehmen notiert, das seinen Schwerpunkt in der Arzneimittelentwicklung sieht. Die Martinsrieder Medigene schied im September aus.
Zudem musste das einstige Vorzeigeunternehmen, vor zehn Jahren vom Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Ernst-Ludwig Winnacker, gegründet, seine Führungsspitze verkleinern: Ausgerechnet der Vorstandsposten für Forschung und Entwicklung wurde gestrichen, ein Armutszeugnis für eine Hightech-Firma.
Nebenan, bei GPC, steht es ähnlich schlecht: Das Unternehmen muss in diesen Tagen mehr als 20 Prozent der Belegschaft entlassen.
So bleibt nur noch eine Hoffnung: Pharmamultis kaufen die fast ausgebluteten deutschen Biotech-Arzneientwickler. Passiert das nicht bald, droht denen eine düstere Zukunft.
Amerikanische Übermacht
Warum die US-Firmen viel besser dastehen als die deutschen
Marktkapitalisierung: Die drei größten amerikanischen Biotech-Firmen Amgen , Genentech , Biogen-Idec , haben zusammen einen Börsenwert von über 130 Milliarden Dollar. In Deutschland ist nur noch ein Biotech-Arzneientwickler im Tec-Dax 30 notiert: Die Martinsrieder GPC (Börsenwert: etwa 180 Millionen Euro). Die benachbarte Medigene listet seit September nicht mehr im Prime Standard.
Forschungsaufwand: Allein Amgen, der Weltmarktführer unter den Biotech-Arzneientwicklern, gibt jährlich über 1,1 Milliarden Dollar für die Entwicklung und Erprobung neuer Produkte aus. Die deutschen Unternehmen können hierfür jeweils nur zweistellige Millionenbeträge investieren.
Produktpipeline: Die US-Branchengiganten setzen mit ihren Blockbuster-Präparaten jährlich Milliarden Dollar um. Einige, etwa Biogen, investierten ihre Erlöse bislang komplett wieder in die Produktentwicklung. Genentech hat deshalb zum Beispiel 20 neue Wirkstoffe in der Pipeline. Die deutsche Medigene kann dagegen nur vier eigene Produkte weiterentwickeln, GPC fünf. Die meisten Wirkstoffe der deutschen Firmen sind jedoch noch in der Frühphase der Erprobung, oder die klinischen Tests mussten aufgeschoben werden.
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