21. Mai 2008, 11:10 Uhr Von Wolfgang Thierse Krisendebatte Das Finanzmarkt-Monster gibt es tatsächlich Horst Köhler hat die Finanzmärkte mit einem Monster verglichen ? und dafür viel Kritik eingesteckt. Doch warum eigentlich, fragt Wolfgang Thierse. Auch der Vizepräsident des Bundestages schlägt Maßnahmen vor, mit denen das Ausufern der Märkte begrenzt werden könnte. Das war ein Interview mit Paukenschlag! Bundespräsident Horst Köhler, einst höchstrangiger deutscher Finanzexperte, national wie international, könnte mit seinem Bild von den Finanzmärkten als Monstern einen Weckruf ausgelöst haben. Adressat ist diesmal nicht die Bevölkerung, sondern jene sogenannten neuen Eliten, denen noch kein Gedanke kam, dass etwas nicht stimmen kann, wenn Armut und Reichtum gleichzeitig und nun unübersehbar auch bei uns wachsen.
Was aber stimmt eigentlich nicht? Das Bild vom Monster verweist auf schwer beherrschbare Akteure, auf unbändige Gier, eine Geld verschlingende Abart des bekannten Krümelmonsters aus der "Sesamstraße". Die Debatte dreht sich daher vor allem darum, wie man dieses Wesen im Zaum hält, was schon ein Fortschritt ist, nachdem die Fachwelt des Bankenwesens und die neoliberalen Modernisierer das Bild vom Kapital als scheuem und flüchtigem Reh pflegten, das ja keine Grenzen kenne und nur bei gutem Futter im Lande bleibe. Es geht, um im Bilde zu bleiben, auch um das Fressen an sich: Wie konnte aus dem scheuen Reh ein überfressenes Monster werden? Woher kommt das viele Kapital, das, statt in die reale Wirtschaft zurückzufließen, sogenannte Blasen auf den Aktienmärkten treibt, die nun, nach dem New-Economy-Boom 2001 zum zweiten Mal platzen?
Von 1970 bis 2005 sind die Finanzvermögen der Welt um das 12-Fache, von 12 Billionen Dollar auf 140 Billionen Dollar angewachsen, die realwirtschaftliche Produktion stieg in derselben Zeit nur um das Vierfache, von 10,1 auf 44,5 Billionen Dollar. Da Finanzvermögen dazu da sind, Rendite abzuwerfen, bedeutet schnelleres Wachstum von Finanzvermögen gegenüber der realen Wirtschaft, dass die Renditen sinken, weil die Gewinne auf mehr Anlagekapital verteilt werden müssen. Also wächst der Druck, die Renditen zu erhöhen oder neue Renditequellen zu erschließen. Offenbar entfalten sie auf diesem Wege ein unerwünschtes Eigenleben, üben einen zunehmenden Druck auf wirtschaftliche Entscheidungen aus, deren negative Kennzeichen Kurzfristigkeit und Arbeitsplatzabbau sind. Die Größe des Geschäfts kann man ermessen, wenn man sich klarmacht, dass 2006 der weltweite Aktienhandel ein Volumen von fast 70 Billionen Dollar hatte. Das lag um 40 Prozent über dem Volumen des Boomjahres 2000. Schlagworte Köhler Thierse Finanzmärkte Monster Banken Debatte Dieser Fehlentwicklung muss Einhalt geboten werden: mittels einer Korrektur offensichtlicher Auswüchse, zum Beispiel durch eine effektive europäische Bankenaufsicht, durch den Internationalen Währungsfonds, durch strengere Regeln der Ordnung des Finanzmarktes. Dass sich die Finanzmärkte so schnell von der realen Wirtschaft lösen, sollte dazu veranlassen, den Zufluss so ungeheurer Mengen an Kapital in die Finanzmärkte zu bremsen, wenn nicht gar umzuleiten in notwendige reale Investitionen. Mit Börsenumsatzsteuer, mit der Besteuerung von kurzfristigen Kapitalmarkt- und Devisentransaktionen kann die Gefräßigkeit des Monsters gebremst werden. Monster sind keine Naturerscheinungen, sondern Geschöpfe der menschlichen Fantasie. Man sollte ihnen nicht die Wirtschaft überlassen.
www.welt.de ----------- "Es gibt nichts, was so verheerend ist, wie ein rationales Anlageverhalten in einer irrationalen Welt.
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