FAZ Sonntagszeitung
"Ich kündige den Generationenvertrag"
Pawel Kuschke, 20 Jahre, Student, will weg. Er beklagt die Macht der Alten, die geringen Chancen der Jungen und plant die Auswanderung
FRAGE: Herr Kuschke, Sie haben der F.A.Z. in einem Leserbrief geschrieben, daß Sie die Nase voll von Deutschland haben. Warum so verärgert?
ANTWORT: Weil mit den jungen Leuten in diesem Land nicht fair umgegangen wird.
FRAGE: Können Sie das erläutern?
ANTWORT: Der Arbeitsmarkt wird immer unsicherer. Wir sollen mehr Geld in die Sozialversicherungen einzahlen, bekommen aber immer weniger heraus, wenn wir mal alt, krank oder arbeitslos sein werden. Und die Steuern werden auch steigen. Wenn man die katastrophale Lage der öffentlichen Haushalte sieht, ist das unvermeidbar. Und eigentlich müßten wir noch privat fürs Alter vorsorgen und möchten Kinder kriegen. Woher das Geld dafür kommen soll, weiß ich nicht.
FRAGE: Also, was werden Sie machen?
ANTWORT: Ich werde die Bundesrepublik verlassen.
FRAGE: Die Koffer sind gepackt?
ANTWORT: Nein, ich studiere zur Zeit in Duisburg Ostasienwissenschaft mit Schwerpunkt Wirtschaft und Chinesisch. In zwei Jahren werde ich damit voraussichtlich fertig sein. Und dann entziehe ich mich dem Generationenvertrag, wenn es den überhaupt jemals gab.
FRAGE: Und lassen die alternde Gesellschaft zurück.
ANTWORT: Ja, ich sehe nicht ein, mit den älteren Generationen teilen zu müssen, die in den letzten 30 Jahren selbst nicht zu teilen bereit waren und die statt dessen den Sozialstaat ausgeplündert haben.
FRAGE: Was meinen Sie mit "Sozialstaat ausgeplündert".
ANTWORT: Das Land lebt seit 30 Jahren über seine Verhältnisse. Die Ausgaben wurden stetig erhöht, obwohl schon lange klar ist, daß die Gesellschaft sich das nicht mehr leisten kann. Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm hat das ja immer noch nicht verstanden, wenn man ihn in Talkshows so reden hört. Und Arbeitsminister Franz Müntefering bringt jetzt ein Gesetz gegen sinkende Renten in den Bundestag ein. Wir sollen einen Wohlfahrtsstaat erhalten, der schon lange nicht mehr finanzierbar ist.
FRAGE: Was sagen denn Ihre älteren Familienmitglieder zu Ihrer Haltung zur Generationengerechtigkeit?
ANTWORT: Meine Eltern können mich verstehen.
FRAGE: Und Ihre Großeltern?
ANTWORT: Mit der alten Generation sind Gespräche heikel. Sie weist darauf hin, daß sie in harten Jahren das Land aufgebaut hat. Das kann ich auch gut verstehen.
FRAGE: Aber Sie halten nichts von Solidarität und Solidargemeinschaft?
ANTWORT: Natürlich bin ich bereit, Steuern und Sozialabgaben zu leisten. Aber die jungen Menschen werden einfach überlastet werden. Ich will eine Familie gründen, Kinder haben, für sie sorgen können. Ich will gar nicht reich werden. Meine Sorge ist, daß ich mir das alles nicht leisten können werde. Die Generation über uns nennt sich Sandwich-Generation, weil sie schon so stark belastet ist. Meine Generation ist die Schrottpressengeneration: Druck von allen Seiten. Deshalb will ich weg.
FRAGE: Was würden Sie wohl sagen, wenn Ihre Kinder in 25 Jahren den Generationenvertrag mit Ihnen kündigen.
ANTWORT: Wenn alles gutgeht, werde ich in einem Land leben, in dem junge Menschen auf die Herausforderungen besser vorbereitet werden.
FRAGE: Sie könnten wenigstens Dankbarkeit verspüren dafür, daß Sie in Deutschland kein Schulgeld und noch keine Studiengebühren bezahlen mußten.
ANTWORT: Das finde ich auch gut. Aber das klingt immer so, als ob Bildung ein Geschenk des Staates an mich und meine Kommilitonen sei.
FRAGE: Ist es nicht?
ANTWORT: Nein. Es ist eine Investition. Bildung ist doch die einzige Chance unseres Landes, wettbewerbsfähig zu sein. Wir brauchen die Ausbildung doch, um überhaupt auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Das sagen doch Politiker wie der Arbeitsminister Franz Müntefering immer. Aber wenn ich meinen Studienalltag betrachte, dann klingt das wie ein Lippenbekenntnis.
FRAGE: Konkret?
ANTWORT: Ich studiere Wirtschaft und Ostasienkunde. Die Pflichtkurse in Wirtschaft besuchen mehrere hundert Leute, einige sitzen draußen auf den Gängen. Wie soll da vernünftig und zügig gelernt werden? Länder wie Indien und China stecken sehr viel Geld in die Bildung, während in Deutschland inzwischen 50 Prozent des Bundeshaushaltes für Arbeit und Soziales draufgehen. Das ist doch nicht produktiv.
FRAGE: Man müßte Rentnern und Arbeitslosen also Geld wegnehmen, um es zum Beispiel in die Bildung stecken?
ANTWORT: Ich weiß, daß es bei manchem Arbeitslosen und bei manchem Rentner kaum zum Leben reicht. Den armen Leuten will ich nichts wegnehmen. Aber ich habe den ganz subjektiven Eindruck, es gibt viele Rentner und vor allem Pensionäre, denen es ausgezeichnet geht. Aber vor allem sollte man die Subventionen kürzen. Aber vermutlich ist es schon zu spät, das Ruder zugunsten besserer Bildung herumzureißen.
FRAGE: Wieso zu spät?
ANTWORT: Die Berliner Rütli-Schule, über die jetzt überall berichtet wird, ist kein Einzelfall. IcANTWORT: h bin in Bochum zur Schule gegangen. Zu meiner Klasse sind die Lehrer nicht durchgedrungen, die Schüler hatten keinen Respekt. Es gab da übrigens kaum Ausländer in der Klasse.
FRAGE: Was wollen Sie damit sagen?
ANTWORT: Daß schon eine Menge Leute durch das Bildungswesen geschleust wurden, ohne auch nur im geringen Maße auf die aktuellen Anforderungen des Arbeitsmarktes vorbereitet zu sein. Ein paar Generationen sind schon verloren. Es wimmelt von Leuten, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Ausbildung haben. Die sind in meinem Alter, alles nette Jungs, aber die haben überhaupt keine Chance. Es bleibt alles an ein paar produktiven jungen Leuten hängen. Und denen wird das ein bißchen viel.
FRAGE: Was würden Sie als Politiker jetzt machen?
ANTWORT: Vieles ist ja längst zu spät. Wir haben seit 100 Tagen eine neue Regierung. Ich sehe gute Laune im Bundestag und keine Reformen. Gesundheitsreform, Föderalismusreform. Das wird alles nichts.
FRAGE: Vielleicht sollten Sie sich politisch engagieren, statt das Weite zu suchen.
ANTWORT: Ich bin ja noch in der Jungen Union, aber nicht mehr lange.
FRAGE: Sie sind doch jung. Warum sind Sie bloß so verzagt?
ANTWORT: Bin ich gar nicht für mich persönlich. Aber für Deutschland.
FRAGE: Wollen Ihre Altersgenossen auch alle weg aus Deutschland?
ANTWORT: Viele meiner Kommilitonen diskutieren darüber. Die Sorgen teilen fast alle. Und die Chancen, die Probleme zu lösen, werden immer geringer, je älter die Gesellschaft wird. Die ältere Generation will nicht teilen, und sie hat bald die Mehrheit. Wenn Finanzminister Peer Steinbrück sagt, er könne nicht 20 Milliarden Euro sparen, weil es sonst zu sozialen Verwerfungen käme, empfinde ich das als Frechheit. Die sozialen Verwerfungen werden wir dann später ausbaden müssen. Manchmal wundere ich mich, daß die jungen Leute in Deutschland nicht auf die Straße gehen wie in Frankreich.
FRAGE: Haben Sie Sympathie mit den jungen Franzosen?
ANTWORT: Ja. Deren Ärger kann ich zumindest verstehen. In Deutschland reden wir ja auch von der Generation Praktikum. Lauter Jungakademiker beginnen ihre Berufslaufbahn mit einem Praktikum und können nicht mit festem Einkommen planen.
FRAGE: Und andere Länder machen es besser als das alte Europa?
ANTWORT: Ich bin nicht blauäugig. In den Vereinigten Staaten haben sie gar keinen Kündigungsschutz. Aber in Ländern, die weniger fürsorglich sind, haben die Leute mehr Chancen. In Amerika können sie schnell einen Job verlieren, aber schnell wieder einen neuen finden.
FRAGE: In welches Land wollen Sie denn auswandern?
ANTWORT: Auf meiner Liste stehen Australien, Neuseeland, Singapur und Taiwan.
Das Gespräch führte Winand von Petersdorff.
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 09.04.2006, Nr. 14 / Seite 37
MfG§ kiiwii
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