aus: Wolfgang Ebert: Was steht uns noch ins Haus?, Lübbe, '85
Wird in Bonn wirklich etwas gegen die Arbeitslosigkeit getan oder tut man dort nur so? Als ich das neugeschaffene Referat Arbeitsbeschaffung aufsuchte, um mir ein Bild von der Lage zu machen, lief der Betrieb auf Hochtouren. Als ich den zuständigen Hauptreferenten an mir vorbeisausen sah, packte ich ihn am Schlafittchen, er aber rief mir schweißtriefend zu "Keine Zeit, keine Zeit, habe schrecklich viel zu tun", hatte dann aber doch ein paar Minuten für mich übrig. "Woran arbeiten Sie gerade?" erkundigte ich mich und bemühte mich, mit ihm Schritt zu halten. "Ich koordiniere die verschiedenen Referate, die das Arbeitslosenproblem bearbeiten." Vor der nächsten Tür blieb er stehen. "Die I C. Wir nennen sie scherzhaft 'Apotheke', weil hier täglich im Schnitt 172 Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit analysiert werden. Aber trotz vieler Überstunden schaffen sie ihr Pensum nicht." Wir hasteten weiter. "Hier wird gearbeitet. Bitte nicht stören", las ich an einer Tür. "Das ist unsere II B oder auch der 'Stall'", sagte er, "denn hier zerbricht man sich den Kopf darüber, warum die Pferde nicht saufen wollen. Also warum nicht mehr investiert und konsumiert wird." Lautes Zanken drang durch die Tür zum nächsten Büro. "Die IV D oder die 'Streithammel'", wurde mir erläutert, "sicher spielen sie gerade das 'Millionenspiel'. Dabei geht es um den zu erwartenden anderthalbmillionsten frischgebackenen Arbeitslosen, der vermutlich nicht mal ahnt, daß er demnächst gefeuert werden wird. Manche unter uns schlagen vor, ihn vielleicht durch eine kleine Feierstunde zu ehren, während andere meinen, ihm sei vielleicht mehr gedient, wenn wir dem Jubilar einen Arbeitsplatz verschaffen." "Und wo soll er den kriegen?" wollten wir wissen. "Bei uns natürlich. Wir brauchen Arbeitskräfte noch und noch." Er zog mich mit sich fort. Hinter der nächsten Tür ertönte Gelächter. "Die VI B, unsere 'Kosmetiker'." Ich sah ihn irritiert an. Er gab mir Bescheid: "Nun, immer wenn Franke in der 'Tagesschau' ungünstige Beschäftigungszahlen nennen muß, werden sie bei uns kosmetisch behandelt, damit sie etwas lieblicher aussehen. Unsere 'Friseure' frisieren auch häßliche Worte wie arbeitslos in unterbeschäftigt um; auch verdanken wir ihnen Wortkreationen wie konjunktureller Aufschwung und Verschlankung." Wir kamen an einer Tür vorbei, hinter der einer laut schnarchte. "Die VII G, unsere 'Sandmänner'. Sind wohl vor Übermüdung selber eingeschlafen. Ist ja auch ein harter Job, der Öffentlichkeit immer Sand in die Augen zu streuen, damit niemand merkt, daß Investitionsspritzen nur dazu verwendet werden, Arbeitsplätze zu vernichten, und nicht etwa zu schaffen. "Und woran wird hier gearbeitet?" fragte ich vor einer schildlosen Tür. "Hier wird überhaupt nicht gearbeitet. Das ist der Simulationsraum, wo sich unsere Mitarbeiter bemühen, sich in die Lage ihrer Kunden, wenn ich sie mal so nennen darf, zu versetzen." An der nächsten Tür las ich warnend: 'Geheim!'. "Unsere Propagandaabteilung. Ihre Mitarbeiter werden auch scherzhaft 'Erpresser' genannt, sie verbreiten nämlich, daß wir die Arbeitslosigkeit nur beseitigen können, wenn wir mehr Kernkraftwerke haben und mehr Waffen exportieren." Wir standen vor der letzten Tür "Das ist unsere IX A, unsere 'Wetterfrösche'. Ihnen verdanken wir die optimistischen Krisenprognosen bis 1986. Nein, bitte nicht anklopfen. Diese Kollegen wollen anonym bleiben, damit sie später keiner zur Rechenschaft zieht." "Und was ist denn nun Ihr spezielles Arbeitsproblem?" fragten wir ihn, bevor er sich endgültig davonmachen konnte. "Ich halte Sprechstunden für Arbeitslose, sozusagen als 'Seelenmasseur'. Ich erkläre meinen Besuchern, warum ihr Opfer für unsere Stabilitätspolitik notwendig ist, und daß sie trotz allem nicht den Glauben in die soziale Marktwirtschaft verlieren mögen. Am Schluß stelle ich sie dann vor die Kernfrage: arbeitslos oder Sozialismus? Da spürt man direkt, wie es in ihnen arbeitet..."
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